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Freitag, 23. November 2018

Von der Wahrheit und dem Künstler (1)

Es ist bei vielen Künstlern zu beobachten, daß sie einen groben Denkfehler begehen, wenn sie an die Gestaltung ihres Lebens gehen. Zwar haben die meisten den richtigen und ein Künstlerleben erst gründenden Impuls, daß es vor allem einmal ums Tun gehe, aus dem sich dann alles weitere ergebe (wir kommen darauf unten zu sprechen), und daß sie dazu - auch das ist ein richtiges Ahnen - im Kopf frei und offen bleiben müßten, sich deshalb also in keine Bindungen begeben dürften, um so von Interessen gelenkt zu werden statt universal und damit quer zur Welt stehend. Doch meinen sie mit dieser Freiheit und Bindungslosigkeit auch die Wahrheit, und das macht sie zu tragischen Fällen. Die Auswirkungen sind mit der Zeit erkennbar.

Sie meinen mit der Wahrheit damit auch die Kirche und Gott. Denn dort ist ja die Wahrheit fleischlich, konkret, also Welt geworden. Also lehnen sie den entscheidenden Ritus ab, der sie selbst zur Wahrheitsgestalt MACHT - den Kult, die Religionsausübung. Ein schwerer Fehler. Der verkennt, daß die Wahrheit der Kirche und Religion zwar zu bestimmten festen Aussagen und Urteilen befähigt, aber nur deshalb, WEIL sie eben "dynamisch" ist. So daß die Archetypen gewissermaßen, die die Wahrheit eigentlich darstellen, auf jede konkrete Situation passen und die Welt damit ordnen und in ihrer Gestalt, die eine Inkarnation der (unsichtbaren weil geistigen) Wirklichkeit ist, erkennen lassen.

Dieser Fehler verdirbt die Künstler heute reihenweise, und behindert sie oft entscheidend. So daß sie oft genug zu Dienern von Interessen (im Speziellen deshalb von Ideologien) werden, um Halt zu finden, den ihnen das Tun seltsamerweise nicht zu bringen vermag.

Warum? Weil sie sich so gegen das stellen, was ihnen im Inneren erst "sich selbst" (als Gottes Ebenbild, als Geist) gibt und "stabilisiert", so daß sie auch in ihrer Distanz zur Welt, in der sie zwar Sinn, aber keine "Funktion" haben, leben könnten.

Stattdessen bleiben sie in einem historisch-faktischen Zustand, in dem sie eben gerade sind, und ihre Freiheit wird mangels Wahrheit notwendig zu Zufall und Willkür. Zufall heißt aber genau nicht - schaffen, heißt nicht im eigenen Urteil gestalten. Denn weil es die Wahrheit ist, die erst zur Vernunft kommen läßt - ein langer, immer vitaler und dynamischer Prozeß der Entflechtung aus dem Alltäglichen - fehlt ihnen somit jener Stand, aus dem heraus sie in der Lage wären, die verlangte, notwendige Freiheit im Urteil zu erlangen und zu bewahren. 

So werden sie zu Opfern zufällig einfallender Einflüsse und innerer Zustände, die zu beurteilen sie gar nicht mehr in der Lage sind. Sie beginnen somit, sich "in sich selbst" zu drehen, und das hat zur Folge, daß ihnen jede innere Basis zwischen den Fingern zerrinnt. Sie lösen den Grund auf, auf dem sie stehen. Und verlieren so erst recht ihre Freiheit! Was sie einst die Wahrheit hat ablehnen lassen, die Angst vor starren Aussagen und Urteilskriterien, kommt über die Hintertür, nur sind ihre Kriterien nun nicht mehr "selbstbestimmt", aus der Vernunft also, sondern fremdbestimmt. Denn ohne festen Grund kann kein Urteil bestehen. Woher aber kommt dann der feste Grund, Entscheidungen zu treffen, Material zu gestalten? 

Nur wer fest steht, kann urteilen, nur wer fest steht, kann ästhetische Entscheidungen treffen. Und nur wer vernünftig ist (also die Wahrheit "hat" und "hält") kann frei, also wirklich unabhängig urteilen. Wer die Wahrheit ablehnt, lehnt damit Freiheit ab, und damit den einzigen Grund, auf dem der Mensch in Vernunft frei - "selbstbegründend" - stehen und damit sein Wirken erst gestalten kann. Stattdessen wird er Opfer fremder Kriterien, die er noch dazu nie wirklich erkennt. In Wahrheit wird er damit Opfer des Zeitgeists und immer mehr zum Symptom. Denn auch die Entscheidung, die Wahrheit abzulehnen, ist bereits dessen Frucht. Sie ist nie überlegt, durchgedacht, nie als wirkliches Vernunfturteil getroffen worden. Sie ist zufällig.


 Morgen Teil 2) Wahrheit, Tun und Material





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