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Samstag, 17. November 2018

Die Schatten des Wirklichen in der deutschen Gegenwart (2)

Teil 2)



Zurück aber zu Münkler, zurück zu seinem Vortrag und seinem Zeigen von vier Grundlinien, die das Geschehen, das wir 30jährigen Krieg nennen, trugen und vielfach verstehen lassen. Da ist einmal die staatlich-konstitutionelle Ebene, in der das Kaiserreich seine Souveränität nicht angezweifelt lassen konnte, wie es die Böhmen (und die Niederländer) taten. Denn damals wie heute ist die Reputation eines Staates wichtigstes Instrument in der Außenpolitik, und damit im Eigensein eines Landes. Denn jedes Land findet sich ja in einem größeren geographischen Raum wieder, mit Ländern und Völkern und Interessen, mit denen er wechselwirkt. Zeigt ein Land Schwäche, kann es seine Interessen in diesem Raum nicht mehr ausreichend wahrnehmen, so daß die Entwicklung im Volksleben (kulturell, wirtschaftlich) leidet.

Dann ist da die logistisch-wirtschaftliche Ebene, die den Verlauf des Krieges so wesentlich bestimmte. Und in der die Eskalation der Kriegshandlungen davon getragen war, daß von überall her Geld und Soldaten kamen, die die Konflikte erst möglich machten, dann nährten, und immer wieder neu entfachten. Bis sich ausländische Mächte (Schweden, Frankreich) direkt weil militärisch einmischten. Vieles am Verhalten Wallensteins ist daraus erklärbar: Er steckte in einem Dilemma. Wirklich zu gewinnen war dieser Krieg nicht, er war ein Krieg der Erschöpfung, in dem er gar nicht gewinnen konnte. Er selbst wollte ihn zunehmend nicht, aber er mußte ihn (wie eine Pachtpflicht) führen, weil er sonst ins wirtschaftliche Nichts gefallen wäre.

Dann gibt es die konfessionelle Ebene. Aber die spielt in gewisser Weise nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn viele den 30jährigen Krieg als "Religionskrieg" darstellen wollen, vornehmlich, um dem Christentum und noch mehr dem Katholizismus am Zeug zu flicken. Diese Frage war rein politisch gesehen aber eher Unterfutter als Motiv, wenn darin auch nicht unbedeutend. (Man sieht es am deutlichsten am Verhalten des Sachsenkönigs.)

Am ehesten trug diese Frage noch zur Schärfe jenes Konflikts bei, den Kaiser Ferdinand durch Verschiebung des Kurfürstentitels der Pfalz zum Bayrischen Herzog hin riskierte. Den er wiederum aus militärischen Gründen brauchte. Damit aber verschob sich das Gewicht unter den Kurfürsten, die ja den Kaiser wählten, zugunsten der Katholiken.

In diesen Fragen zeichnet sich bereits die Frage um die Natur der Herrschaft ab, die dann in den Absolutismus mündete. Wie er in Frankreich vorbildlich (gewissermaßen) für den Rest Europas wurde. (Schon aus diesem Grund ist das Studium von Ludwig XIV. - mit seinem Kanzler Richelieu ("Könige herrschen, Regierungen regieren") so interessant, der in vielem an den Stauferkaiser Friedrich II. anknüpft, ohne es zu wissen. Sie endete auch in Österreich im Absolutismus der Aufklärung, endgültig in Maria Theresia und ihrem Sohnes Josef II. Sie schufen ein künstliches Österreich. Was sonst hätte 1918 zerfallen können?

Es ist alles also viel grundsätzlicher, als es scheinen mag, die Fragen sind (bis heute) dieselben. Und kamen in der Geschichte Bayerns, als Beispiel, unter Ludwig II. zu tragischer neuer Bedeutung. Weil gerade an diesem entscheidenden Punkt eines neu entworfenen Bismarck'schen "Deutschen Reiches" als "Deutschland". Das aber nur nebenbei. Der Leser möge damit angeregt sein nur nicht glauben, daß diese Herren alle "auf der Nudelsuppe daher geschwommen" kamen. Die wußten schon, welche Bedeutung ihre Fragen hatten. Wissen wir das aber heute noch? Der VdZ meint - nein. Wir sind ein völlig ahnungsloses Zeitalter, ja - ein extrem dummes, vertrotteltes Zeitalter.)
Dann gibt es die europäische Ebene, wo es vielen Mitspielern um Position wie Selbstbehauptung in Europa ging. Den Franzosen, den Spaniern, den Habsburger Kaisern, den Schweden, den Engländern, den Niederländern ... Ja sogar die Türken spielten eine bedeutende Rolle, weil deren Kriege im Osten erst ein so intensives Engagement der Habsburger in Böhmen ermöglichten, weil Truppen im Südosten nicht mehr notwendig waren. Als sich das änderte, die Türken sich wieder dem Balkan zuwandten, hatte das die umgekehrte Wirkung - und trug 1648 zur Bereitschaft bei, Frieden zu schließen. Und die Russen, die Balten, die Polen, weil sie die Schweden in eine gefährliche Situation brachten, in diesem Raum ein Machtvakuum entstanden war, in das Kräfte drängten, mit demselben Effekt wie bei den Habsburgern.

Und dann ist da natürlich noch die rein militärisch-strategische und taktische Seite, die die übrigen Geschehen ebenso maßgeblich bestimmte. Die Art zu kämpfen, die Überlegungen der Feldherren und deren Bedeutung im Schlachtengeschehen, die Militärtechnik und ihre Konsequenzen, die Natur von Soldaten als Söldner, die den Großteil aller Heere ausmachten, was viele Konsequenzen nach sich zog, sich nicht zuletzt entscheidend auf die Länge des Krieges auswirkte, weil sie ihren Broterwerb nicht aufgeben wollten. Alles wieder mit seinen logistisch-wirtschaftlichen Seiten.*

Alle diese Ebenen wirken in- und nebeneinander, sind unaufflechtbar verwoben, eines bedingt das andere. Münklers Darstellung ist deshalb auch so erhellend. Weil er bereit ist, alle diese Bereiche zu überschreiten, und auf die Einflüsse der anderen hin aufzubrechen. So werden interessante Details, die er schildert - so wie Taktik konventioneller Heere, auf den Schlachtfeldern zu kämpfen - nicht zu Ablenkungen, sondern zu Illustrationen. Aus seinen Ansätzen heraus wird das Einzelgeschehen jeweils verständlich, oder viel verständlicher, und man hat am Ende des Vortrags das Gefühl, endlich das Gesamtgeschehen in seinen Dimensionen und seiner historischen Bedeutung hinlänglich zu erfassen.

Sogar die Problematik von "Deutschland" wird greifbar, um das heute so viel kreist. Wie es in der Reaktion des späten 18. Jahrhunderts begann (wo erst der 30jährige Krieg zum "deutschen Krieg" erklärt wurde). Als sich nach und nach diese "Nation" als Staat in Vorahnungen und spätromantischen Sehnsüchten abzeichnet. Obwohl es nie eine solche Identität real gab, nie ein solches "deutsches Volk" gab; sondern eben immer nur spezifische, regionale, kleinräumige Identitäten und damit staatsbildenden immanenten (!) Willen weil dessen immanente, natürliche Voraussetzung. (Erst dann wird ja Staat zur Kulturstufe, und nicht zum Diktat, notwendig zum nur noch zweitwirklich, propagandistisch zu stützenden Korpus eines Zentralismus.)

Wir gehen auf diesen Punkt, den wir hier schon öfter behandelt haben, deshalb näher ein, weil man aus dem Begreifen des 30jährigen Krieges sicher auch besser begreift, warum der VdZ immer davon spricht, daß die Ereignisse von 1871 (wo Deutschland als Staat - wenn man es auch Reich nannte, was aber eher nur noch Camouflage war, um Zustimmung bei allen Einzelstaaten formell zu rechtfertigen - entstand) eine Fehlgeburt war, die scheitern mußte. Und heute dabei ist, zu zerfallen.

Das Geschehen auch in der Gegenwart wird somit in vielerlei Hinsicht vielleicht auch dem Leser begreifbarer. Weil wir ständig mit politischem Geschehen konfrontiert sind, das man nur als "Auflösung des Staates und des Rechts" bezeichnen könnte. Eine solche Entwicklung läßt sich (der Leser sei an die vor kurzem hier beschriebenen Thesen des amerikanischen Militärhistorikers William S. Lind erinnert) somit historisch-zeitlich bestimmen: Sie begann 1648, und endet ... im Heute. Da endet ein aus Irrtümern, die in der Zeit lagen und uns bis heute bestimmen, fehlgeschlagenes Experiment. Es endet die Aufklärung als deren letzte weil mortale Phase.**


Morgen Teil 3)



*Ein Detail, an das man sonst kaum denkt: Es gab nämlich auch Profiteure, die in dieser Zeit aufblühten und reich wurden. Hamburg als logistisches Zentrum etwa. Oder Städte wie Nürnberg, Steyr, Waidhofen/Ybbs, die Waffenschmieden waren. Nicht zuletzt wurde Wallensteins Nordböhmen und -mähren reich, weil es Lebensmittel liefern konnte, was den Schweden freilich nicht verborgen blieb.

**Robert Spaemann zeigt in seinem großartigen Buch über Rousseau, wie der heutige Mensch in allen seinen Regungen, Denk- und Lebensweisen sich in diesem Gipfelpunkt der Aufklärung bereits vorfindet, daß man nur verblüfft sein kann. Auch das ist ein Hinweis darauf, daß wir heute nur die Vollendung der Aufklärung sind, diese also heute ihre Verwirklichung erlebt.





*161018*