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Montag, 12. November 2018

Sklaverei - ein nützlicher, aber schädlicher Mythos (1)

1. Kapitel




Einer jener Mythen, die wir dringend neu schreiben sollten, weil sie unser Selbstverständnis durch irrige Aussagen verkrüppeln, ist die Geschichte der Sklaverei. In der so gut wie nichts stimmt, was uns tagtäglich vorerzählt wurde. Meist wird schon einmal vergessen, welche Rolle die Sklaverei zu allen Zeiten der Vergangenheit spielte. Sie war weltweit üblich, ist (sogar bis heute) weltweit zu finden, und keineswegs eine Geschichte böser Weißer, die arme Schwarze auspreßten. Alle Rassen, alle Völker waren davon betroffen. Die Geschichte der Unfreiheit ist umfangreich, sie ist vor allem sehr komplex.

Die Geschichte der Geschichtsschreibung aber ist eine Geschichte des verhinderten Wahrheitszugangs und der Instrumentalisierung von Legenden, die oft genug klare Absichten verraten. Besonders die britische Geschichtsschreibung vergangener Jahrhunderte vermochte die eigene Wirklichkeit recht lückenlos zu verfälschen und im Interesse herrschender Klassen zu beschönigen.

Oder wußte der geneigte Leser, daß im 17. Jahrhundert fast ein Drittel der Engländer in mehr oder weniger sklavenhaften, zumindest unfreien Verhältnissen lebte? So, wie ein guter Teil der damals 500.000 Seeleute jener Flotte, die Britannia zur Herrscherin auf allen Weltmeeren machte. Zwar weist die Historie darauf hin, daß die meisten davon "mit Vertrag"* ihren harten und oft lebensgefährlichen Dienst leisteten, aber diese Verträge, wie sie die heutige Geschichtsforschung findet, waren oft nur verdeckte Formen von Sklaverei. Sie hatten obligatorisch Klauseln, die bei Verstößen gegen Pflichten die Laufzeit automatisch verlängerten.

Viele waren zu diesen Diensten gepreßt, oder durch die Unmöglichkeit nach der Reformation unter Heinrich VIII., sich noch zu ernähren, zum Selbstverkauf gezwungen. Oder aus Not zu Kriminellen geworden und daraus erwachsend strafverpflichtet. Oder sie wurden gleich und buchstäblich geraubt und als Sklaven behandelt. Letzteres gilt vor allem für die Iren und Schotten, die eine sehr bedrückende Geschichte der Versklavung haben. Die nicht nur in unseren Ländern so gut wie unbekannt ist. (Wobei auch bei uns eine Geschichte der Sklaverei zu schreiben lohnen würde, nur scheint sich dafür niemand zu interessieren.) Armut hieß damit nicht nur oft (vor allem Klein-) Kriminalität, sie hieß auch oft Sklaverei. Wenn nicht direkt durch Menschenraub (viele Arme wurden von den Straßen regelrecht weggefangen), dann durch Fremdherrschaft. Die englische Elite führte über Jahrhunderte buchstäblich "Krieg gegen die Leute von der Straße". So daß man davon ausgehen muß, daß im 17. und 18. Jahrhundert EIN DRITTEL der Menschen im britischen Bereich einen Hintergrund der Unfreiheit hatten.

Solche Zustände gab es in England bis ins späte 19. Jahrhundert, ja in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie sogar besonders schlimm, denn der sprichwörtliche englische Liberalismus ist ein schönes Märchen, sonst gar nichts. Er legitimierte nur Raub und Ausbeutung. Das zu sagen stört natürlich das romantische Bild eines glücklichen viktorianischen Zeitalters, das uns durch Film und Fernsehen vorgesetzt wird. Wahr ist dabei lediglich, daß in einer sentimentalen Gegenreaktion gegen die Sklaverei das viktorianische England die political correctness erfand. Als "positive Diskriminierung" der ehemaligen Sklaven, als die man die Schwarzen zu sehen begann.

Aber die volle geschichtliche Wahrheit wird in England bis zum heutigen Tag geschickt unterdrückt. Man sollte eben die Perfektion der britischen Geheimdienste nicht unterschätzen, die es (auch durch romantisierte Bilder vom gutaussehenden Gentleman-Agenten) verstanden haben, den schwarzen Peter anderen wie den (abtrünnigen)² Amerikanern zuzuschieben, während ihre Tätigkeit weit umfassender, skrupelloser und effektiver ist. 

Aber selbst unter Engländern ist es unbekannt oder Tabu, über die sogenannte "Hungersnot der Iren" 1842ff. in Termini zu sprechen, die der Wahrheit näher kommen - daß es nämlich ein Genozid war, der nach vorsichtigen (und belegbaren) Schätzungen fünf Millionen Iren (der halben Bevölkerung der Insel) das Leben kostete, und keineswegs durch eine "Kartoffelseuche" bewirkt war, sondern durch eine systematische Entfernung der Lebensmittel - unter Militäreinsatz - von der Insel. Einmal, um die Engländer selbst zu versorgen, dann aber auch, weil dieses störrische Volk dem Londoner Establishment immer schon ein Dorn im Auge war, und oft ganz offen davon gesprochen wurde, daß man es ausrotten sollte. Und da kam eine Hungersnot gerade recht.

Ein Nebeneffekt davon aber war auch, daß viele Iren in die Sklaverei fielen. So mancher, der sich Rettung in der Neuen Welt versprach, wachte als Sklave auf. In Kanada, oder auf britisch beherrschten Inseln wie Barbados, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen und ohne jede Freiheit den Zucker einbrachten. Der dann die Europäer mit dem gefragten Rum versorgte.** Und wer sich mit der Geschichte Australiens und Neuseelands befaßt - weit besser dokumentiert als die britische Geschichte mit der Kolonie in Nordamerika - kann nicht übersehen, daß auch darin versklavte und quasi-versklavte Engländer eine große Rolle spielten.

Die gut dokumentierten Vorgänge damals wurden für die Oligarchen notwendig, als die Kolonie Amerika durch die US-Revolution von 1776 verloren ging und keine Sklavenarbeit dort mehr möglich war. Also suchte man Ersatzgebiete. Die Schätzungen für die 100 Jahre zuvor, wieviele Sklaven - Engländer, Iren, Schotten - es in Nordamerika gab, reichen bis 100.000.

Morgen 1. Kapitel - Teil 2)



*Die Geschichte der Gültigkeit von Verträgen ist ebenfalls ein Kapitel des Kapitalismus. Spätestens mit der Renaissance (und dem Nominalismus) setzte sich eine neue Rolle der Verschriftlichung durch - Verträge wurden immer absoluter gesetzt, bis sie in der Aufklärung überhaupt als gesellschaftsbegründend (Staat als contract sociale) erklärt wurden. Nun war nicht mehr der innere Wert des Vertrages maßgeblich, wo Freiheit mit Wahrheit gleichgesetzt wurde, sondern dessen Verschriftlichung wurde absolut und in jedem Fall bindend, wichtiger als die innere, mündliche Form. Unmoralische, unsoziale, in Notlagen abgefaßte, christlichen Vorstellungen (Wucher, Zinsnahme ist eine Todsünde, nach wie vor) widersprechende Verträge wurden zuvor in der Geschichte des christlichen Abendlandes immer als nichtig angesehen. (Die sogenannten Judenpogrome waren deshalb praktisch immer eine "Vernichtungsaktion gegen unmoralische Verträge," verbunden mit einer "Rückerstattung von unrechtmäßig weil unmoralisch erworbenem Eigentum.") Ein Rest davon lebt noch in der "Mündigkeit" als Vertragsfähigkeit vor dem Gesetz, die die zuvor entstandene Vertragsfreiheit wieder eindämmte. Das ist im übrigen eine alte römische Idee.

²Den Enthüllungen des Briten Carroll Quigley nach haben britische Geheimgesellschaften (denen er selbst angehört hat) das Ziel, alle ehemaligen Kolonien und damit auch die USA wieder ins britische Reich zu integrieren, enormen Einfluß. Denn nur am britischen Wesen kann in ihren Augen die Welt genesen. 

**Man spricht hier von einem "Kreislauf der Handelsschifffahrt": Sklaven aus Europa und Afrika nach Amerika und den Westindischen Inseln, Felle, Baumwolle, Zucker und Rum nach England, Fertigwaren nach Indien, Tee und Gewürze von dort nach England. Ein Schiff mußte also nie leer fahren, jede Fahrt war immer hoch profitabel. Dieser Kreislauf wurde später durch Opium für China (von Indien aus), von wo dann u. a. Seide nach England zurückging, Südafrika (Fertigwaren hin, Gold und Diamanten sowie Lebensmittel und Wein zurück) und Australien/Neuseeland (Fertigwaren hin, Wolle zurück) erweitert. Noch Fragen, warum die englische Industrie derartig produktiv und als Folge die englischen Banken so groß wurden, daß sie ab dem 18. Jahrhundert die ganze Welt mit Krediten finanzierten? Das tun sie übrigens noch heute.






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