Es
ist primär die Sprache eines Volkes, das sein Denken bestimmt, und
deren Niveau entscheidend ist, ob dieses Denken, dieses Sprechen, das
immer ein allgemeines Sprechen ist, oder ein Sprechen ist, das auf
Allgemeinheit ausgerichtet ist, auch das "Fühlen" umfaßt, faßt und in
die Wahrheit trägt. Eine Kultur in ihrem Weg zur Reife (sonst ist sie
weder Kultur, noch kann sie lange bestehen) differenziert immer mehr
aus, was in ihren Anfängen noch amorph in jedem ihrer Mitglieder
vorhanden ist. So kommt und so kam es zur Ausbildung des "Berufs des
Denkers", als Schriftsteller, als Dichter, als Autor, als Philosoph.
Der deshalb - mehr noch als der Schriftsteller, der eine Spätform des Dichters ist - immer in ihrer Spät- und Verfallsphase auftritt, weil er thematisiert, was in einer Kultur in ihrer Hochblüte noch allen und allem immanent und durch unhinterfragte Tradition geschützt ist.
Deshalb
ist dieses Bild von George Steiner so typisch. Wo der Philosoph
zwangsläufig inmitten des bereits Gesprochenen steht. Ohne dieses kann
sein Denken niemals "auf der Höhe" sein, weil Denken und Sprache damit
immer in einer Korrespondenz zum historisch gegenwärtigen Sprech- und
Sprachniveau steht.
Dieses
bereits Gesprochene als bereits Gedachtes ist als Erinnerungsvolumen in
Büchern zeichenhaft präsent, das heißt, daß die Buchstaben, die Worte,
die Aufschreibungen Hinweismarken auf ontologische Gegebenheiten sind,
Bojen die zeigen, daß hinter allem real (und durch alles Faktische
hindurch erkennbaren) Vorhandenem "etwas, nämlich dies und jenes,
isset", also anwesend, wirksam, deshalb als Wirklichkeit wirklich ist.
Insofern
ist Denken immer auch ein Nachgehen der Grammatik der Sprache. Denn
mehr noch als in den Symbolen, die Worte und Sätze und Werke in ihrer
Ganzheit (als Bilder) sind, ist das "Dazwischen", das Unausgesprochene
sohin, das, was es eigentlich zu denken und zu sagen gibt. Das von der
Sprache "umstanden" wird, das bestenfalls in der Dichtung, in der Poesie
darstellbar wird und wurde.
Hat
sich also ein Schriftsteller oder Philosoph herausgebildet, dann ist
dies nur dadurch real (und wirklich), weil sich in dieser
Spezialisierung auch das Lebensfluidum dieser aus allem übrigen
Alltagsleben ausgeschiedenen Menschen gebildet hat. In der
Selbstüberschreitung selbst werdend, hat er nur die Sprache und das
Denken als jenes Material, an dem er selbst zu seinem wahren "Ich"
herausgebildet wird.
Es
ist also auch hier nicht der Eloquente, der Sprachgewandte, der
Virtuose, der den Schriftsteller und Philosophen kennzeichnet, sondern
die ausschließliche Lebensnotwendigkeit, in der er der Sprache
gegenübersteht. Nur im Sprechen, nur im Denken wird er zur Welt geboren
und nimmt Gestalt an. Verwundbar von allen, die nützlich im Alltag
stehen, diesen allen unterlegen und wehrlos gar, muß er auf die Reifen
warten, die aus dem Alltag heraustauchen und herausgetaucht sind und
begriffen haben, was die Welt wirklich wirklich macht. Und deshalb die
Notwendigkeit der Sprache erkannt haben.
Aber auch jene sind recht eigentlich bereits Leidende, an der Kultur Verwundete, die sich zu dieser Sprache heben (oder: neigen, je nachdem, wie man es sieht). Die jene beneiden, die nur ein Kriterium des Alltags kennen, als engstes, eigentlichstes Kriterium der Sprache: Wo das Ja ein Ja, das Nein ein Nein ist.