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Mittwoch, 25. März 2020

Neulich unter Stalin (4)

Erst als Alexander Solschenizyn auf der Gefängnispritsche lag, hat er über diese seine Vergangenheit nachgedacht, über seine Offizierslaufbahn in der Roten Armee. Und sich an die Grauen der ersten Jahre seiner eigenen Ausbildung erinnert, an die Erlebnisse mit schikanierenden Vorgesetzten, mit Menschen, die seiner nicht würdig waren, wie er damals, als Leidender, zu erkennen meinte. Aber dann kamen die Sterne aufs Schulterstück, einer, zwei, drei, vier, fünf, und plötzlich war alles Schlimme ... vergessen.

Und er erinnert sich an jene 'glücklichen' Jahre als Offizier. An den Moment, wo er einfach begann, die "Freude des Moments" zu genießen, in diesem "einfach so leben", einfach dazugehören. Wo er Offizier unter Offizieren war, und nicht nachdenken mußte. Auch er erlebte die Freude, zu einer Art zu gehören, zu leben wie alle lebten, sich darein einzufügen, wie es halt Brauch war.  Wo der zufriedene Augenblick manche Erinnerung auszulöschen schien.
Die Freude, manche seelische Finesse zu vergessen, die man von Kind an in mir gepflegt.
[Dabei - wie war er selbst als junger Soldat sinnlos, auch mit Schlafentzug, geschunden worden! Aber sieh da ...] Endlich hatten wir die Würfel am Kragen! Und es war noch kein Monat vergangen, da ließ ich, als ich im Hinterland eine Batterie formierte, den Soldatenjungen Berbenjow wegen einer Unachtsamkeit zur Schlafenszeit vom widerspenstigen Sergeanten Metlin schleifen ... (Ich habe es VERGESSEN, habe es in all den Jahren aufrichtig vergessen! Jetzt beim Schreiben kommt mir die Erinnerung ...) Und ein alter Oberst, der gerade Revision hielt, ließ mich zu sich kommen und redete mir ins Gewissen. Ich aber (nach der Universität, wohlgemerkt!) rechtfertigte mich damit, daß man es uns in der Schule so beigebracht hat. Das heißt also: Wozu das Alle-Menschen-sind-Brüder, wenn wir in der Armee sind?
Es setzt das Herz den Stolz an wie das Schwein den Speck.
Und er erinnert sich, wie er seine Untergebenen geschunden, sinnlose Befehle gegeben, die manchem sogar das Leben gekostet hatten, oft sogar nur, um seinen Vorgesetzten zu genügen. Wie er respektlos und gierig gewesen war, wie er Vorteile ausgekostet und sogar ausgeschlachtet hatte, wie sie das Offiziersdasein eben gewährte.
Das alles machen die Achselstücke aus einem Menschen. Und wo sind nur Großmutters Unterweisungen vor der Ikone geblieben! Und wo die Träume des kleinen Pioniers über das künftige Reich der Gleichheit!
Und als mir die 'Smersch'-Leute beim Brigadekommandant damals diese verfluchten Achselstücke samt der Koppel herunter rissen und mich vor sich her schoben zu ihrem Auto, da war ich angesichts dieses Trümmerhaufens meines Daseins auch noch dadurch zutiefst betroffen, daß ich nun in solch' degradiertem Zustand durchs Zimmer der Telefonisten gehen sollte, o Schreck, daß mich Gemeine in diesem Aufzug sahen! 

Am darauffolgenden Tag begann mein Fußmarsch in Richtung Sibirien.

 Wird fortgesetzt