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Freitag, 13. März 2020

Der Zwang der Wahrheit (2)


Teil 2)



Erst eben wo dieses verloren geht, ist der Schriftsteller jener, der das Ja des Ja, das Nein des Nein sucht und (hoffentlich) findet und wieder verfügbar macht. Indem er die Verbuschungen beseitigt, die die Wahrheit ersticken wollen, weil dem Alltäglichen der Welt und Weltbewältiger die Prioritäten des Nützlichen mit der Zeit durcheinander gekommen sind. So daß ihr Wirken allmählich zum Verderben, zum Zerstören wurde oder/und werden wird.

Deshalb verdienen sie höchste Ehrfurcht und Hochachtung. Aber genau deshalb werden sie diese nur selten bekommen. Weil dem Nützlichkeitsverwobenen diese Prioritätendefekte nie klar sind, sonst würde er anders handeln und denken. Ihm fehlt bereits dieses Vertrauen in das Wahre als Gutes (und Schönes), das den Alltäglichen ursprünglich noch vertrauensvoll ins Sein hinein geborgen hat. Es ist also Vertrauensverlust, der die Sprache zerstört, der die Wahrheit der Sprache zerstört, und der das Denken verwirrt. 

Dem Schriftsteller aber ist diese Wahrheit lebensnotwendig, ja sie ist das, wonach er mehr als die Übrigen lechzt, weil er sonst stirbt, weil er sonst nicht zu sich selbst wird, sondern zur Karikatur seiner selbst, wenn er nicht dem innersten Wesen der Sprache - der Wahrheit! - folgt. Die sich aus der Grammatik heraus zur Welt regelrecht zwängt (und das ist durchaus als Zwingen, als Zwang zu verstehen).

Aber nur sie können von einer Welt erzählen, wo sich Transzendentes mit Diesseitigem vermählt. Nur sie können wie Leuchttürme jene Markierungen setzen, die die Fahrrinne einer Kultur bestimmen, die jeder benützen kann, ohne zu stranden oder zu zerschellen. Denn nur ihnen ist die Sprache so lebensnotwendig, und ihre Grammatik so zwanghaft, daß ihr Zeugnis in der Sprache glaub- und vertrauenswürdig wird.
Wehe einer Kultur, die diese Leuchttürme aber zu verhüllen sucht, die andere, scheinbare Leuchttürme aufstellt, die wie Sirenen die Schiffe in die Klippen führen. Mehr als die Ziele, sind es für eine Kultur, eine Gesellschaft, ein Volk somit die Leuchttürme, die erkannt werden müssen. Denn in diesen ist das Ziel zwanghaft-notwendig real und dargestellt.

All die Bücher also, die - hier George Steiner - uns umgeben, sind nicht mehr (und nicht weniger) als Versuche von immer mehr Schriftstellern und Philosophen, sich aus dem Nutzenleben heraus in das Leben der Wahrheit hinein zu wagen. Und sie sind immer nur teilhaft, zum einen, und sie sind immer nur mangelhaft und Zeugnisse eines letztendlichen Scheiterns. Denn die Essenz eines solchen Lebens ist letztlich das Finden des einen Wortes, der einen Gestalt, in der alles enthalten ist und das Sakrament ist: Wo sich Himmel und Erde in einem Punkt vermählt haben.


George Steiner, + 3. Februar 2020, in seinem Arbeitsraum

Postscriptum: Anders als so mancher Nachruf schätzt der VdZ den kürzlich in Cambridge verstorbenen George Steiner NICHT als großen Denker, und damit auch nicht als großen Sprachmeister. Steiner hat viel geahnt, aber er hat es leider nie vermocht, das in Denken - also in die wahre Grammatik - umzusetzen. Steiner war ein großer AHNENDER, in dessen Tiefe sich das Wehen des Wahren abgespielt hat, das aber durch eine dem VdZ nur über Spekulation erfaßbare gläserne Decke nicht nach oben, in ein Gerüst wahrer Sprache, dringen konnte. Das macht seine Bücher seltsam verschwurbelt, neblicht, und unklar weil inkonsistent. Genau deshalb aber hat er in liberalen Kreisen so großen Zuspruch gefunden. Er litt an derselben Krankheit wie der Liberalismus.