Zwar versucht der
Spiegel-Artikel die Psychotherapie letztendlich zu rechtfertigen, man müssen nur dies und das korrigieren, aber er verrät einige Fakten, die man selten in dieser Form liest - Folgewirkungen aus Psychotherapien. Und die sind sogar für zeitgeistige Augen beträchtlich.
So wird das Debriefing nach traumatischen Erlebnissen - das sind Erlebnisse, in denen sich der Mensch in seiner Selbstmächtigkeit unzureichend für seine Lebensbewältigung erlebt, die Erlebnisse seine Verankerung in sich selbst überrennen, er also jeden Persönlichkeitsgrund verliert, aus dem heraus er weiterleben könnte - als unzulängliche Methode kritisiert. Mit der Aufarbeitung dieser Erlebnisse in Gesprächen soll verhindert werden, daß sich posttraumatische Belastungsstörungen bilden. Das sind psychische "Konstrukte", in die der Leidende seine Erfahrung einbettet, mit dem Ziel, sich vor ihnen zu schützen kapselt er sie quasi ab, rührt diesen Themenbereich nicht mehr an. Tatsache aber ist, daß sich bei den solcherart Behandelten nach Jahren dieselben Erlebnisse in den Erinnerungen zurückmelden, und dann noch quälender sind, als wären sie nicht "behandelt" worden.
Dies charakterisiert ja einen großen Teil der gängigen Psychotherapien. Die (meist ohne es selbst zu wissen) davon ausgehen, daß Erlebnisse rein oberflächlich-"psychische" darstellen, die keinen absoluten Wert besitzen. (Im Grunde definiert die gängige Psychologie ja "Psyche/Seele" überhaupt so: als rein erlebenszentrierte Vorgänge; die uralte Auffassung des Menschen als mit einer Geistseele begabt, sodaß sich seine seelischen Probleme aus geistig-metaphysischen Grundkonstellationen heraus darstellen, ist längst passé.*)
So wird - bis auf wenige Ausnahmen, die Logotherapie sei als eine davon genannt - in den Psychotherapien meist darauf hingearbeitet, keine objektiven Probleme zu suchen, sondern die spezifische psychische Reaktion darauf aufzulösen. Was praktisch immer so weit geht, die Persönlichkeit zu destruieren, aufzulösen, um bestimmte Funktionalität wieder herzustellen. Der Erleichterungseffekt rührt aus der Auflösung der Persönlichkeit, bei Gruppentherapien in eine Gruppenpersönlichkeit.
Damit wird die persönliche Geschichte des Menschen generell relativiert. Zeit und persönliche Geschichte, in der jemand allmählich wieder lernt, sich zur Welt hin zu öffnen, wird bedeutungslos, seelische Aufarbeitung zur gewaltvollen Methode, Schutzreflexe aufzubrechen (was "mit Zustimmung" deshalb dem Mißbrauch vergleichbare Folgeerscheinungen zeitigt) oder durch Umleitungen zu übergehen. Erleichterungseffekte, "Erfolge" sind deshalb immer auch Effekte der Depersonalisierung, das Tragen seiner selbst ist nämlich immer eine Last, davon befreit zu werden wird aufs erste erleichternd gefühlt.
Es gibt sogar Therapien, die als Ziel versprechen, "Sorgen" wegzunehmen. Nun haben aber Sorgen sehr reale Zusammenhänge, auch die subjektive Reaktion darauf ist nicht zufällig, und sie ist auch kein "Krankheitsfall", sondern gerade der Wunsch nach Wiedergewinnung der ganzheitlichen Freiheit ist Anlaß, daß der Einzelne allmählich wieder umfassendere Wirklichkeitsöffnung will und probiert. In seiner Umgebung, adäquat, nicht in neutralen Situationen geknackt, und dann in seine alte Welt zurückgestoßen. Wo er, eiderdautz, dann nicht selten Bindungen und Beziehungen löst, weil sie seinem "neuen" Selbst nicht mehr entsprechen. (Real-ontologische Bindungen wie Ehen sind deshalb sehr häufig unter den ersten Opfern solcher Therapien. Denn natürlich ist eine Bindung Spannung, und insofern belastend.)
Kein Wort also von ontologischen Vorgängen und Verfaßtheiten, kein Wort von sehr wirklichen Konstellationen, in denen sich jeder Mensch findet, und die auf eine Weise komplex sind, wie sie sich dem Menschen immer (!) entzieht. Vielmehr wird die Beziehung zum Absoluten - Gott - als Gegenüber durch die Beziehung zum Therapeuten ersetzt.
In praktisch allen Fällen kommt deshalb dazu, daß die Psychotherapie - wieder: ohne es zu wissen - Deutungsschemata implantiert. Es passieren dieselben Vorgänge, wie die, wo Jesus verlangt, "an ihn zu glauben". Am deutlichsten werden solche Prozesse in Methoden wie Reiki, die direkte Initiationen als Identitätseinbrüche benötigen. Reiki ist ja eine spezifische Form von Persönlichkeitschanneling, in der für "die große Weltenergie" (als Mediatisierung) aufgebrochen wird, an dem teilnimmt, wer sich selbst mediatisiert, als Mittel zum Zweck benützt.
Der Behandelte lernt in den Psychotherapien schlicht und ergreifend, bestimmte Brillen aufzusetzen, wie die Welt wirklich sei - meist schlicht und ergreifend die immanenten Ansichten des Therapeuten, diesem gar nicht immer selbst bewußt. Er beginnt daraus folgend, auch seine Mitmenschen diesen Sichtweisen gemäß zu psychologisieren, anstatt zu erkennen, beginnt sie unter bestimmten Kriterien zu "sehen".
Das ist aber nur in sehr spezifischen Grenzlagen überhaupt möglich, nämlich genau in der Unfreiheit, der bloßen Weltimmanenz. Der Therapierte setzt also seine Mitwelt generell als unfrei und mechanistisch voraus, seine transzendente Dimension muß ihm ja gegenstandsfremd sein. Glaube und Religion wird also zur bloßen Kontingenzbewältigung, kann gar nicht absolut sein. (Gerade "Geistmethoden" behaupten ja deshalb genau das Gegenteil: daß die Mediatisierung die Methode der Transzendenzöffnung sei, was eine glatte Täuschung ist. Transzendenz kann es nur in die konkrete, reale, komplexe und immer geheimnisvolle, weltantinomische Wirklichkeitsoffenheit hinein geben.)
Wo der Therapeut dies nicht tut, wo er also alles "offen" läßt, fehlt ihm aber jede Grundlage überhaupt von Heilung zu sprechen, denn was sollte dann von Mensch zu Mensch übergehen, im Identifikationsvorgang, außer seine Weltsichten, seine eigene geistige Substanz? (Das Grundproblem jeder Psychotherapie im übrigen, das nur durch Wechsel der Identifikationspartner in einer Endloskette "zu lösen" ist - jeder Psychotherapeut hat deshalb "Übertragungsprobleme", und braucht selbst "Supervision".)
Dann ist er nicht mehr Gesprächspartner als der Mayer Franz am Stammtisch, und die weltkluge, erfahrene Frau Bozena, die man am Gang trifft. Von den immer häufigeren Therapien, die "Geistheilung" versprechen, und sei es mit "ewigen Energieströmen" (natürlich wissenschaftlich bewiesen) zu arbeiten, gar nicht erst zu reden.**
Damit entwertet er analog zur selbst erfahrenen Entwertung als Ganzer seine Mitmenschen, womit sie natürlich ihre "Bedrohung" (als Andere - nun sind sie ja "erkannt") verlieren. Womit er selbst aber auch seine Chance verliert, überhaupt noch in die Welt hinein zu werden. Er bleibt zunehmend in sich. Solche Effekte an Therapierten sind keineswegs Einzelfälle, sie sind generelles Merkmal. Und aus den heutigen Geisteshaltungen heraus sehr klar weltanschaulich (geistig) zuordenbar.
Heimito von Doderer nannte deshalb einmal die Psychologie eine "Erkrankung des Geistes". Eben weil sie die Wirklichkeitsoffenheit durch eine Lähmung ersetzen, die gar keinen Zugang zur Welt selbst mehr möglich macht, sondern eine Neurose der Deutung implantiert.
Es ist deshalb auch alles andere als ein Zufall, daß der Spiegel anführt, daß Erhebungen ergeben haben, daß es völlig gleichgültig sei, welche Ausbildung und in welchem Ausbildungsstand der Psychotherapeut sei. Entscheidend sei die Beziehung zwischen Patient und Behandelndem. Damit belegt er, daß die Psychotherapien der Gegenwart alles andere als "wissenschaftliche" Grundlage haben, sondern rein persönliches Geschehen ist. Dessen Wirkung auf ganz anderen Ebenen liegt, als vorgegeben wird.
*Florenski schreibt dazu: "Und wenn die zeitgenössische Psychologie immerfort wiederholt, daß sie keine Seele kenne als Substanz, so läßt das nur den sittlichen Zustand der Psychologen selbst in einem sehr üblen Lichte erscheinen, welche in ihrer Mehrzahl offenbar "verlorene Männer" sind. Dann ist es allerdings so, daß nicht "ich tue", sondern "mit mir getan wird", nicht "ich lebe", sondern "mit mir geschieht". In dem Maße des Erlöschens der schöpferischen Kraft, der Selbsttätigkeit und der Freiheit im Bewußtsein, wird die ganze Persönlichkeit durch mechanische Prozesse im Organismus verdrängt und, indem sie die Folgen der eigenen Schwäche nach außen projiziert, belebt sie die umgebende Welt."
**Es ist ein einziges Zeitphänomen, entstammt denselben Wurzeln, wenn einerseits vor allem Frauen (in Österreich 70 %) Psychologie studieren und betreiben, und anderseits die USA das Internet erfunden hat und beherrscht. Beides ist eine Form der Machtergreifung durch Bindung des anderen in seinen geistigen Grundlagen. An sich schließt das an die weibliche Art der Weltpräsenz an, als Schooß des Geistes, in dem sie das Männliche in Liebe bindet und zu seiner Gestalt führt - in dieser Form (als Form der Nicht-Liebe) ist es aber eine Perversion des Weiblichen durch Explizierung, durch Beherrschung des Männlichen, des Logos. An der Spitze des weltweiten Reikinetzes steht ... eine Frau, als Urmutter, an der alle Reikipriester hängen.
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