Einer der am schwierigsten zu handhabenden Grundsätze im Verkauf lautet: der Verkäufer muß besser als der Kunde wissen, was dieser will. Nur bei wirklicher Entsprechung läßt sich Kundenzufriedenheit bei Abschluß, läßt sich überhaupt die Zustimmung zu einem Kauf erreichen. Verkaufstechniken konzentrieren sich sehr häufig aber nicht darauf, und sehen dort auch ihre Grenzen - es GIBT den Kunden, dem man nichts verkaufen KANN - sondern versuchen, die bloßen Wortgeflechte in eine Richtung zu drehen, die den möglichen Käufer in einen für ihn nicht mehr auflösbaren Widerspruch zwischen Gefühltem und Bewußtem, Sprachlichem treiben, mit dem letztendlichen Hebel, ihn der bewußten Logik zu folgen als das Richtigste zu bewegen.
Aus vielfacher Erfahrung hat der Verfasser dieser Zeilen gesehen, daß das bewußt vorgebrachte Wollen von Kunden nicht sein wirkliches Wollen ist, sowenig das auch überhaupt klar ist, ja klar sein KANN. Denn positives Wollen ist immer offen, kaum je in einem wirklichen Bild faßbar, eher nur in dem faßbar, was es nicht ist. Die Kaufentscheidung bleibt deshalb immer in ihrem wesentlichen Prozeß eine ambivalente, vielschichtige Gefühlsentscheidung. Sie ist immer auf eine Weise "offen", nie ein geschlossener Prozeß, will sie menschlich bleiben, und damit wirklich für alle Seiten erfüllendes Wirtschaften sein.
Das kann so weit führen, daß Kunden mit sehr festen Vorstellungen auftreten, in die sie sich so verrannt haben, daß es zu einem unlösbaren Konflikt führen würde, die "eines besseren zu belehren". Weil man weiß, daß ihre Idee verrückt ist, niemanden glücklich macht. Gerade der sogenannte "Individualismus" der letzten Jahrzehnte hat diese Käuferschichte geweckt, die meint, ihr Glück konkret zu kennen. Manche setzen diese verrückten Ideen denn auch um, und sind dann gezwungen, ihr Unglück für sich zu behalten - sie "haben es ja selbst so gewollt". Die meisten dieser Fälle freilich besinnen sich eines besseren, und greifen dann auf weit vernünftigere, meist schlicht allgemeinere, weniger "individuelle" Lösungen zurück. Manchmal mit den für den Unerfahrenen überraschendsten Ergebnissen. Wo - z. B. im Hausbau - der Kunde mit den ursprünglich "individuellsten" Ideen schließlich das simpelste Standardhaus kauft. Zufrieden, eine winzige Lieblingsidee zu retten, uns sei es der Servierwagen, dessentwegen man die ganze übrige Küche gekauft hat.
Trifft man als erster Verkäufer auf solche Kunden, sind sie meist verloren. Sogar aus Scham über ihre Selbsttäuschung, kommen sie nicht zurück, und kaufen beim nächsten. Die Konzepte der "individuellen Bedarfsdeckung" sind deshalb fast immer gescheitert.
Klaren Vorstellungen sollte man deshalb im Verkauf immer höchst vorsichtig gegenüberstehen. Hier ist die Ebene der Pseudologien, des Wahns, der zeitgeistigen Dynamiken öffentlicher Strömungen und Meinungen, der Propaganda, aber auch der Schwächen, der Absicherungen. Nur ganz wenige Menschen kennen sich wirklich gut, heute mehr denn je.
Ein Faktor, der so gut wie immer übersehen, weil gar nicht gewußt, wird, ist aber der Entscheidende - es ist der des Schöpferischen. Alles muß geschaffen werden. Es gibt also "den Markt" gar nicht als etwas, an dem sich Maß nehme ließe. Er ist ein dynamisches Zueinander von Schöpferischem auf beiden Seiten. Auch der Kunde ist nämlich mit seinem Kauf schöpferisch, er gestaltet sein weiteres Leben, das weit mehr ist als eine simple Folge bisherigen Verlaufs. Das ist der Grund, warum Märkte "dynamisch" sind, es immer sind, so sie Märkte sind. Das ist der Grund, warum Wachstum sogar eine unerläßliche Grunderscheinung von Kultur ist. (Ohne ihre Perversion in heutiger Form damit gutzuheißen. Denn wenn der immer häufiger zu vernehmende Ruf nach Zufriedenheit einfach Stillstand heißen soll, ist er neuerlich nur der Aufruf zum Tod, nicht zum Leben.) Das Schöpferische, das mit dem Vorhandenen nicht zufrieden ist, sondern Neues sucht, und als Produkt der eigenen Arbeit als Lebenswirklichung in die Welt stellt.* Und das etwas völlig anderes ist, als das technische Perfektionieren, das Verlagern von Lebensvorgängen in technische Vervollkommnung, in Loslösung technischer Möglichkeiten vom eigentlichen Leben und Bedürfen.
(Im Gegenteil, gerade die "Folgen", das Statische, ist meist das, was man allgemein, als Kulturstimmung gar, als abzuschüttelnder Zwang empfindet, weshalb man seinen Lebensweg zu ändern vorzieht. Etwas, das keine Marktanalyse je wird wirklich aufzeigen können, was jeden Markt letztlich unberechenbar macht, wie das Leben selbst.)
Weder gibt es deshalb statisch festzustellende "Bedürfnisse" (die saloppe, höchst grobe, etwas provokante Verallgemeinerung sei hier gestattet), noch gibt es einen Verkauf, der zum technischen Vorgang reduziert werden könnte. Ein Verkauf, der wie eine Gummiwand "Bedürfnisse" zu befriedigen vorgibt, muß deshalb scheitern. Verkauf muß schöpferisch tätig sein, dem Kunden muß ein klares "Etwas" gegenüberstehen, zu dem er sich dann verhalten kann. Weder ist Kauf einfach "reaktives" Verhalten, noch ist Verkauf die Seite, die zu handeln hätte. Der Kaufvorgang ist immer dynamisch, zweiseitig, eine Hochzeit, der Neues entsprießt, wenn sie fruchtbar ist.
Teil 2 morgen: Was das bedeutet. Anhand zweier (und einiger mehr) Beispiele.
*Excursus: Deshalb ist es auch schlicht falsch zu meinen, Schulden an sich wären verwerflich, genauso wie Zinsen an sich Unrecht wären. Das sind sie nicht, sie sind Entgelt für nicht zum Eigennutz verfügten Eigentums. Man muß nur wissen, und insofern sehr vorsichtig damit umgehen, daß Schulden und Zinsen als Abstraktum des Nutzens eine gefährliche Eigenlogik bergen, und eine Dynamik entwickeln können, die leicht Oberhand gewinnt und damit Geld zum allein bestimmenden Faktor eines damit unmenschlich werdenden Wirtschaftens machen können. Immerhin ist das allererste Grundverhältnis des Menschen der Schöpfung gegenüber ... Schuld! Schuld noch dazu, die gar nicht rückzahlbar ist. Denn er verdankt sich, in jeder Hinsicht, er hat sich sich nicht selbst gegeben, und vermag das auch nicht. Schuld, die mit jedem Moment wächst, wo er dem Begegnenden die richtige Antwort, die Selbsthingabe, vorenthält. Genauso besteht selbstverständlich der Gesellschaft gegenüber, dem umfeld gegenüber, ein Schuldverhältnis, das im Einzelnen gar nicht eingrenzbar oder spezifizierbar ist - man hat sich als konkretes Selbst in der Welt seinem Umfeld, in allen konkreten Kreisen, bis hin zum Staat, zu verdanken. Das Ich konnte nur MIT diesem weitergegebenen Stoff zum konkreten Selbst werden. Darin gründet das 4. Gebot, darin gründet die Pflicht zur Ahnenehrung generell. (Freilich, auch im Schlechten, Seinsverfehlenden, das es zu überwinden gilt.) Daraus erst wird das heutige Wesen der Überschuldung, in Zusammenhang mit den verfehlten gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen, als gesamtkulturelles Symptom begreif-, nicht zum verbrecherischen Handeln einiger Weniger erklärbar.
Des Menschen Verhältnis zur Welt selbst ist also das eines "Bittleihers". Nicht ein essentieller Lebensvorgang ist "machbar", er ist immer Geschenk, Leihe, auch verspielbar. Eigentum ist also immer eine "Leihe", ein "Lehen" des Seins, das ihm seine Gesetze gab. Wer es dieser Natur widrig behandelt, wird es verlieren. Was ihn gleichzeitig zur Verantwortung diesem Ding gegenüber - auch im Außenverhältnis zu den Mitmenschen - verpflichtet. DARIN gründet unser heutiger Eigentumsbegriff, darin gründet die Schutznotwendigkeit von Eigentum: weil alles jemandem zur Verantwortung unterstellt ist, ihm nicht einfach entzogen werden DARF. In gleicher Weise muß es ihm unterstellt bleiben. Allgemeine Eigentumslosigkeit, wie sie oft gefordert wird, entspricht also keineswegs - als Kulturerscheinung - dem Wesen des Menschen. Und sie ist zum Gegenteil Erscheinung der Dekadenz - als allgemeiner Verantwortungslosigkeit, die ihr folgt, als Desinteressement an den Dingen.
Ein recht guter Beitrag, der auf diese Thematik Bezug nimmt, findet sich dazu auch auf TheEuropean aus der Feder von Alexander Görlach. Wer über Wirtschaft sprechen will, muß erst die Anthropologie klären!
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