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Mittwoch, 12. Dezember 2012

Staatsentschuldung

Wie eine Staatsentschuldung im Prinzip funktioniert, und wer sie bezahlt, zeigt sich in Griechenland. Dort hat man Anfang Dezember den Besitzern von Staatsanleihen - viele Jahre galten Staatsanleihen für die sicherste Anlageform - das Angebot gemacht, Staatsanleihen, die man ohnehin kaum bedienen kann, zurückzukaufen. Und zwar zum Preis von 32 Cent pro Euro Nominalwert, bezogen auf insgesamt 30 Mrd. Anleihensumme. Damit erhofft sich Griechenland die schlagartige Senkung seiner Staatschulden von 300 Mrd. um 20 Mrd.

Selbstverständlich ist das ein Zahlungsausfall, und wird von den Ratingagenturen auch so bewertet. In Wahrheit ist es sogar eine Enteignung, weil man mit Enteignung droht - dem Totalausfall der Papiere in naher Zukunft. Also kann man davon ausgehen, daß viele Anleger auf das Angebot eingehen, um einen Totalverlust zu vermeiden.

Nun sind Staatsanleihen keine Spekulationspapiere, sondern gleichen durch Sicherheit aus, was an niedrigerer Verzinsung geboten wird. Also haben sie eine wichtige instituionelle Funktion - entscheidend wichtig für Renten- und Versicherungsfonds, aber auch Kleinanlegerformen, und vor allem Banken - weil ihr Nominalwert normalerweise auch als "Kapital" zu Buche steht, also hohen Besicherungswert hat. 

Aber alle bauen eben auf diese Sicherheit: Daß ein Staat, der sämtliche seiner Einwohner als Bürgen hat, auch am verläßlichsten zurückzahlt, was er ausleiht. Bricht diese Sicherheit, bricht ein wesentlicher Pfeiler einer Volkswirtschaft heutigen Zuschnitts zusammen, weil diese selbst ihren Rückhalt verliert. Das betrifft weniger die Produktionsbereiche realer Werte (Landwirtschaft z. B.), als die allesamt darauf aufbauenden Sekundär und Tertiärkreise unseres Wirtschaftens, also Handel und Dienstleistung. Sowie sämtlichen darauf orientierten Produktionsbereichen. (Der Primärsektor braucht keinen Computer oder Autobahnen oder Autos.) Diesen aber erst verdanken wir den heutigen Wohlstand.

Ohne den verläßlichen Rahmen eines Staates, ohne die Rechtssicherheit (auch des Eigentums) und die Vertrauenssicherheit, kann eine Volkswirtschaft nicht in diese Bereiche aufblühen. Die individuelle Initiative zieht sich zurück auf Selbstrettung und Notwehr, aber auch Raub, das Recht des Stärkeren und partielle Sicherheit wird zum Handlungsprinzip der Einzelnen.

Das Kreditwesen, wie wir es kennen, stand am Anfang der Industrialisierung. Die eine abstrahierende Verlagerung von Wert von der individuellen Arbeit als Lebensvollzug und Bedürfnisreaktion hin auf die mathematische Logik von Geld und Maschine war (physisch, oder in Form der Organisation von hochgradig arbeitsteiligen Prozessen). Es wäre nicht möglich gewesen, wenn - zuerst in London im 18. Jhd. - nicht der Staat als Bürge und letztlich Zahler für die Banken erst indirekt, später direkt eingestanden wäre. Weil so erst die für diese Dynamik notwendige Überschreitung der Einlagesummen durch die Kredite als volkswirtschaftliches Prinzip möglich gemacht wurde. Nach und nach sind sämtliche Staaten der Welt dem Londoner Beispiel gefolgt. Mit einer Neudefinition von Allgemeinwohl, wo Wohlstand zur bloßen mathematischen Zählung wurde, aufbauend auf entsprechende Produktionsweisen: Massengüter und Konsum.

Anders als viele glauben, ist Geld aber keine Erfindung des Staates. Er hat sich dessen nur mehr und mehr angenommen, und es für sich selbst verwendet. Gewisse Wirtschaftsdynamik ist aber nur möglich, wenn die Rechtssicherheit der Zahlungsmittel gewährleistet ist. Und das ist der Ursprung der staatlichen Symbole auf den Zahlungsmitteln - Garantie. Die Symbole auf den Zahlungsmitteln waren in dem Maß Garantie, als der Bezogene verläßlich war. Aber jeder arbeitende Mensch ist "Herausgeber von Geld", und im reinen Tauschsystem war das auch noch deutlich erkennbar. Und noch heute ist Geld nur so viel wert, als individuelle Glaubwürdigkeit einer Leistungsbereitschaft oder Leistung es deckt. 

Bagehot zeigt in "Lombardstreet", wie sehr das Vertrauensproblem das Bankenwesen Londons bestimmte. Denn es war das zentrale Problem beim Umstieg von persönlicher Haftung auf abstrakte Haftungssysteme. Der Staat begann, Vertrauenswürdigkeit, der die Personen abhanden kamen, zu ersetzen. Immerhin war aber der englische Staat damals noch mit dem Privatvermögen des Adels abgesichert. Auf dieser Basis wurde London zum Finanzier der halben Welt, auch der Staaten.

Es war aber die mathematisierte Neubewertung von Kapital, aufbauend auf dem Vertrauen in die Wissenschaften, die Wirklichkeitssubstanz menschlichen Denkens, wie es seit der Renaissance herrschte, nicht menschliche Fehleranfälligkeit oder schöpferische Evolution, die die Verlagerung individueller Risken auf die Allgemeinheit (in die Eigenlogik abstrakter Systeme) zur Regel machte, die sich zwangsläufig über alle gesellschaftliche Bereiche ausdehnte. Weil das hauptsächliche Treibmittel auch des individuellen Wirtschaftens vom Menschen weg zum Abstraktionsmittel Geld wanderte. Das seine Eigenlogik in immer abstrakter werdender Werthaltigkeit allmählich zu entfalten begann. Bis es, so wie heute, auch die Politik aushebelt. Um sich furchtbar zu rächen. Weil es seine selbständig gewordene Logik allem aufzwingt.

Um irgendwann in sich zusammenzustürzen. Worauf es nur noch Verwüstung hinterläßt: wenn das Phantom Geld sich heute zurückzieht, bleibt nur noch das entfleischte technische Gerüst ehemals menschlicher Landschaft zurück. Darin hatte Marx ziemlich recht.

Unser Rechtsempfinden aber wurde gründlich geändert. Es ist heute geprägt von relativ jungen Prämissen. Die selbst eine Maßnahme wie in Griechenland bereits als Kavaliersdelikt sieht, oder gar nicht mehr versteht. Weil sie mit der Verläßlichkeit des Staates gar nicht mehr rechnet. Darin zeigt sich eine klare Veränderung des Verhältnisses der Menschen zueinander.

Heutige Staatsbankrotte abzuwiegeln, indem man auf die Geschichte verweist, denn Staatsbankrotte gab es immer und häufig, ist aber völlig unzulässig, weil nicht vergleichbar. Nie war der Staat grosso modo derartig in die einzelnen Vorgänge involviert, wie heute. Im wesentlichen bestanden unsere Staaten aus unzähligen kleinen, selbstregulierten Einheiten, die öffentliche Vorgänge, ja selbst Kriege, nur wenig oder abgegrenzt betrafen. Das Leben der meisten Menschen eines Landes war nur wenig davon betroffen. Das hat sich erst im 19. Jhd. gründlich zu ändern begonnen.

Wenn im 17. ein Staat pleite ging, so betraf es eine relativ begrenzte Wirtschaftseinheit, wenn nicht gar nur die Herrscherfamilie. Je zentralistischer aber der Staat wurde, je mehr er an sich zog, je mehr er sich in die einzelnen Vorgänge einmischte, um sie zu gestalten - Frankreich ist darin allerdings Vorreiter: Seine Staatsbankrotte waren schon im 17. Jhd. landesweit fatal - desto mehr wurde die gesamte Bevölkerung davon betroffen. Und es konnte aus dieser Spirale nicht mehr aussteigen. 

Aber damit zerfiel das Land innerlich. Was seine Gestalt und Wirkmächtigkeit endgültig in der französischen Revolution fand. Sie richtete sich ganz gezielt gegen alle bestehenden Formen selbständiger Organismen und deren Selbsterhaltungskraft, einschließlich der Familie, als logischer totalitärer Zentralismus. Kristallisationspunkt einer langen Entwicklung, die in Napoleon  ihre Erfüllung fand. Als einziger Kraft, die das Land noch als Ganzes bewahren konnte, auf Mythen - moderner Propaganda schon sehr verwandt - aufgebaut. Was eine Kettenreaktion in Europa, ja in der Welt auslöste. Ohne Napoleon hätte es das moderne Deutschland, wie wir es heute kennen, nicht gegeben. Das genau durch diese technizistischen Mechanismen groß wurde, und darin Frankreich bald übertraf. Der vielzitierte Bruderhaß der beiden Länder ist (oder, angeblich, war) also ein Kampf von Rivalen um denselben Siegerkranz. Ausgehend von einer preußischen - ortslosen, wurzellosen - idealistischen Staatsidee, die sich am Geiste Frankreichs entzündet hatte.*

Bei Staatsquoten von 60 % - wie in Österreich - wäre bei einem Staatsbankrott mittlerweile die gesamte Volkswirtschaft verwüstet. Es geht also weltweit bereits nicht mehr darum, wie die Staaten ihre Schulden zurückzahlen (was nur über Steuern geht), sondern darum wie sie es schaffen, sich so "sanft" über Enteignungen seiner Bürger zu entschulden, daß die jeweilige Volkswirtschaft dabei nicht kollabiert.

Das zeigt Griechenland vor. Das seine Schulden niemals mehr zurückzahlen wird können, die daraus zu erwartenden Verluste sind überall bereits eingepreist. Sämtliche Finanzhilfen der EU dienen lediglich der sanften Gestaltung dieses Übergangs, in Griechenland wie in den Geldgeberländern, um ihn mathematisch darstellbar zu machen. Weil das aber eine Frage der Glaubwürdigkeit ist, wird bewußt so viel verschleiert und gelogen.




*Man spricht es nicht aus, aber das heutige Deutschland geht exakt in dieser historischen Traditionsspur. Es ist überhaupt kein Wunder, daß die "Energiewende" erstmals in Deutschland stattfindet. Nur dort konnte sie so radikal verfügt werden, nur dort haben Abstraktionen - wie "Klimawandel" - so hohe Wirkmacht. Das ganze Land ist eine Abstraktion. Diese "Energiewende" ist nur einem ortslosen (das belastete Wort "raumlos", "Volk ohne Raum", tut nichts anderes: es weist genau darauf hin, nur anders, als meist verstanden) Land unter einer preußischen Ministerpräsidentin möglich. Die sogenannten "erneuerbaren Energien" zielen sämtlich darauf ab, das Land selbst zu enträumen, der Technik zu unterwerfen, schätzen es selbst gering, machen Deutschland zur Ruinenlandschaft einer technischen Struktur. Es ist der Schüler Frankreichs, das darin sogar noch im 20. Jhd. voraus war, und nun hinterdreinhinkt. Aber nicht zufällig hat Frankreich die Concorde erfunden, den TGV etabliert, so massiv auf Atomkraft gesetzt. Es hat seinen Lebensraum traditionsverbunden weiter enträumt. Seine Staatsidee ist pseudologisch, und war es fast von Beginn an. Als Karl der Große die Idee des Reichs wieder installierte. Auch wenn diese in ihren Wurzeln, in ihrer wahren Gestalt, tief metaphysisch zu verstehen wäre

Die Reichsidee selbst hat sich aber schon in seinen Söhnen gespalten, und Deutschland wie Frankreich je eine eigene entwickelt, aus der schließlich selbst die Träger des Reichs - damals Habsburg, Österreich - hinauskomplementiert wurden. In Deutschland unter Bismarck. Die Todfeinschaft Frankreich-Österreich bestand bereits viele Jahrhunderte lang, und fand in St. Germain 1919 - "l'Autriche - c'est le reste" - seinen Endpunkt. Der Kampf beider Staaten gegen Österreich war also sehr wohl ein Kampf gegen das Abendland selbst. Dessen Kultur in Vollgestalt nur noch in Österreich - wenn auch schon da im Todeskampf mit der Moderne - am Leben geblieben war. Mittlerweile, und in historischer Folgerichtigkeit, beherrscht Deutschland ganz Europa, und hat im Instrument der EU ganz Europa seinen Wirtschaftstechnizismus aufgezwungen - an dem die südlichen Länder zerplatzt sind. Wenn Deutschland (mit dem engen Partner Frankreich, beide auf derselben Grundlage) heute diese Länder "rettet", so rettet es seine eigene Wirtschaftsmacht. Es besteht für den Verfasser dieser Zeilen kein Zweifel, daß das Nachbarland am direktesten - weil nämlich real, nicht dem Wortgewitter nach - auf einen idealistischen, technizistischen Zentralstaat Europa hinarbeitet, zu dem es im Rahmen der derzeitigen Politikprämissen gar keine Alternative mehr gibt. Mit einem dankbar hechelnden Österreich im Schlepptau.
 



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