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Donnerstag, 6. Dezember 2012

Ohne Rolle - nichts

Da wundert sich also Karl Hohenlohe als Kulturkolumist des Kurier darüber, daß bei der Verleihung der diesjährigen Nestroy-Preise der Aufforderung eines der Geehrten, Karl-Heinz Hackl, an das Saalpublikum, bei einem Lied mitzusingen, so genant begegnet, ja ausgewichen worden sei. Alle hätten sich geniert, kaum einer hätte den Schneid gehabt, mitzusingen, den sprichwörtlichen Mut zur Blamage vermissen lassen. Dabei seien das doch alles Schauspieler, Theatermenschen gewesen, denen angeblich die Bretter die Welt bedeuteten.

Tja, von diesem Mut zur Blamage hat Herr Hohenlohe also schon mal gehört. Aber diesen Spruch auch richtig einordnen, das ist doch ein zweites Paar Schuh. Wer nämlich das Wesen des Schauspiels kennt, des wirklichen, des künstlerischen Schauspiels wohlgemerkt, der weiß, daß der Schauspieler nur in einer Rolle, in einem Stück, in einem Sinnganzen diese Bretter liebt, weil sie genau dann die Welt, und zwar wirklich die Welt, die einzige Welt für ihn sind.

Eine Welt, die er sonst nicht besitzt, weil er keine Merkmale mit sich herumträgt. Mario Adorf sagt einmal völlig richtig: Jeder Klempner ist ein Klempner, jetzt und auch später vor dem Fernseher oder in der Kneipe. Aber ein Schauspieler? Was ist ein Schauspieler, wenn er keine Rolle hat? Nichts.  

Er ist nackt, ja weniger als nackt, er ist nichts in der Welt, gar nicht vorhanden. Weshalb Schauspieler mit Anstand - so sie denn Künstler sind, und insofern vom künstlerischen Handwerk etwas verstehen, was ja ihr eigentlicher Lebensgegenstand wäre, sofern sie also nicht Komödianten sind, die ja gerade ihre private Gefallsucht, ihre reale (und real vorhandene!) Identität zum Bühnengegenstand machen -  auch Kollegen niemals "privat" behelligen.

So, wie jeder Künstler erst in seinem Werk zu sich selbst wird, ja NUR im Werk überhaupt er selbst ist, so ist es der Schauspieler in seiner Rolle. Aus ihr lernt er wirklich, in ihr erkennt er sich, in ihr - nur in ihr! - besitzt er sich. Kaum verläßt er die Bühne aber, diese Bretter, kaum senkt sich der Vorhang, verliert er auch seine Welt. Es sei denn, er ergreift rasch eine nächste Rolle, so er denn will, so er denn dazu aufgelegt ist, in einer Privatvorstellung, aber das ist ein ganz anderes Paar Schuh. 

"Wir spielen immer" titelt deshalb Will Quadflieg seine Lebenserinnerungen. Der Schauspieler braucht immer eine Rolle. Sonst ist er nicht. Und sich dieser Rolle hinzugeben - DAS ist der zitierte "Mut zur Blamage", als Schlüssel zum Schauspiel. Er bezieht sich genau auf das Nichtvorhandensein einer privaten Identität, einer Figur im Leben selbst, außerhalb der Bühne. Erst wenn ein Schauspieler so gestorben ist, dann kann er die Rolle anziehen. Dann wird sie zu ihm, er zu ihr. Indem er ihr genau das überläßt, was die Figurenanteile des Menschen sind, die äußeren, die weltlichen Identitätsschichten, das weltliche Selbst. Wie beim Klempner, Fußnagelbohrer oder Rußgaukelschwörer.  Der ja auch die Inhalte seines Berufs in sein Selbst integriert. Er gibt ihm die Rolle.*

Es war, glaubt der Verfasser dieser Zeilen sich richtig zu erinnern, Gert Voss, der einmal meinte, daß er deshalb ältere Schauspieler so liebe - denn ihre Biographie sei dann so wächsern. Sie, immer freier (von sich!) geworden, immer bereiter, immer knetbarer für das Schauspiel (das es ohne Rolle ja nicht gibt), würden ihre Rollen immer vollkommener ausfüllen, anziehen, in sie eingegossen werden. Sodaß ihre Rollen ihre Biographie darstellen. In die hinein sie immer vollkommener sterben, was viel Mut braucht. Immer. Weil es Todesangst ist, die es zu überwinden gilt.

Und wäre das nicht so, bräuchte man keine Schauspieler. Die nicht dafür bezahlt werden, weil sie einen Lackfuß auf dreißig Meter treffen und noch im Handstand mit den Ohren wackeln, sondern weil sie ihr Leben fortgeben. Ohne Bühne hilflos, ja aus existentieller, tiefer Angst vor diesem privaten Nichts, extrem verletzbar, privat deshalb oft scheu, unbeholfen, wenn nicht bösartig sind, um sich zu schützen. Weil ihnen niemand ihr Rollenbuch vorgeschrieben hat.

Im übrigen ein sich gefährlich ausbreitendes Miß-, nein, Unverständnis. Offenbar weil der Schauspieler als Künstler so selten ist, während immer mehr Menschen immer neue Schauspielschulen besuchen und glauben, Schauspieler sein zu können, nur weil sie Identitäts- und Narzißmusprobleme haben und deshalb immer schon gerne in die Kameras gewunken und die Oma gegrüßt haben. 

Wenn also Herr Hohenlohe privat schauspielerisches Verhalten sucht, so soll er sich an die Eitelkeitsclubs der Hauptstadt wenden. Aber Künstler soll er, bitte, in Ruhe lassen.





*Weshalb es vorkommt, daß ein Schauspieler, der zu lange eine bestimmte Rolle spielt, von dieser über Gebühr geprägt werden kann, sie nicht mehr losbringt, sozusagen. Während umgekehrt ein Schauspieler eine Rolle dann ablegt, wenn er fühlt, daß sie ihm bekannt genug ist, er sie bis in die letzten Winkel erkannt hat. Dann hält er sie nicht mehr aus, denn sie hindert ihn zu leben, und leben heißt: wachsen, weiter werden. Ein Schauspieler, der Künstler ist, muß sich deshalb für jeden Abend etwas Neues finden, das er an einer Figur ausleuchtet, dem er nachzugehen sich vornimmt. Sonst wird sie ihm unerträglich, weil er erstarrt. Das Gesagte gilt allerdings nur für die Bühne. Der erwähnte Mario Adorf hat zum Film einmal sehr offen gesagt: er hat dort begonnen, weil es gut bezahlt war ...





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