Es fallen einem einige Dinge auf, spricht man mit Kroaten, vor allem älteren. Neben dem Umstand daß das Land über modernste Infrastruktur zu verfügen scheint. Und da bestehen Zusammenhänge, zwischen den Erzählungen, und dem Beobachteten. Und dem auch vielen Kroaten nicht verständlichen Drang ihres Landes, der EU beizutreten. Die man geneigt sein könnte unter dem Titel "Flucht vor der Verantwortung" zusammenzufassen. Denn was könnte dieses Land sonst gewinnen? Reise- oder Niederlassungsfreiheit? Die kann auch auf anderem Weg erreicht werden. Man müßte nur aufhören, diese seltsamen Kontrollbögen zu verlangen, die jeder Vermieter auszufüllen verpflichtet ist, und wie eine kleine Inquisition wirken. Die kann es in einer EU ohnehin nicht mehr geben.
"Wir haben doch alles," sagen auch die Zimmerwirte, um dann mit den Achseln zu zucken: "Höhere Politik, damit wollen wir nichts zu tun haben."
Aber ein Thema ist auf eine Weise gegenwärtig, das man fast schon vergißt - der Krieg am Balkan. Plötzlich sitzen einem Menschen gegenüber, die in der vormaligen Kriegsindustrie tätig waren. Sie erzählen unisono, daß sie schon lange, damals, gar nicht mehr bezahlt, dafür nach Kriegsende zu guten Konditionen in oft recht frühe Pension geschickt wurden. Kriegsfinanzierung auf die Zukunft verschoben, nennt man das. Wer hat auch diese moderne Infrastruktur bezahlt? Kredite, was sonst.
Man ahnt etwas, hört man genauer zu. Man ahnt von den Vermögen, die nun viele besitzen, von Häusern, die "keine Besitzer" mehr hatten. Plötzlich fällt einem das Gespräch mit den serbischen Kulturschaffenden ein, die von den enormen Enteignungen erzählen, unter denen man die Serben vertrieb, oder zu erschwerten Bedingungen in Kroatien weiter leben ließ. Davon hört man im Rest Europas rein gar nichts. Der böse Mann am Balkan ist ja per Dogma festgeschrieben.
Man hört aber mit spitzen Ohren Ältere klagen, daß viele junge Leute kaum noch arbeiten wollen, auch so existieren können, von staatlichen Geldern, von kaum zu definierenden Geldern. In einem Land, das eine enorm lange Küste dazu verleitet, drei Viertel des Jahres gemütlich an den nächsten Disneyland-Kulissen zu bauen, um die wenigen Sommermonate wie die Mücken auf die Touristen zu stürzen, um ihnen jeden Blutstropfen auszusaugen, der noch in ihnen ist.
Während die alltäglichen Agenden in den Händen der Frauen zu liegen scheinen. An der Universität stellen sie, geht man von den Beobachtungen aus, vier Fünftel der Studierenden, in ihren engen Jeans und Stiefeletten als Einheitskleidung. Ein und derselbe Frauen- und Mädchenschlag, der mit konzentriertem Blick durch die Aula wandert, den Korzo und die Bars in den Seitengäßchen bevölkert, und uns (als Nachbarn) auch im gemieteten Appartement in Rijeka mit seiner Subwoover-Rockmusik jeden Schlaf raubt. Während die Männer in den Straßencafés sitzen und Kava trinken. Auch im November. Selbst die Restaurants aber, die wir besuchen, gute, hervorragende darunter, sie gehören Frauen, Männer sieht man nur ab und zu, als Kellner,m als Buschaffeure, und sie sehen - anders als in Ungarn - nicht sämtlich aus wie flauschige Teddybären. Aber im Supermarkt, in den Geschäften ... Frauen, voller Geschäftigkeit.
Und man verläßt das Land mit gemischten Gefühlen wieder. Mit sehr gemischten Gefühlen. Angesichts der Brutalität, mit der die Autobahnen durch die Landschaften gebrochen sind. Angesichts dieses seltsamen Amerikanismus, der in mancher Lebensweise auffällt. Angesichts der weiten Landstriche, die wie Niemandsland wirken. Nicht nur des Steines wegen. Angesichts der alten Städtchen auf Krk, in denen gar kein Leben außerhalb des Tourismus zu existieren scheint. Angesichts der Vermieter, die ein Haus nach dem anderen kaufen, nach Lust und Laune, in aller Gemütlichkeit sanieren, um sie dann an Rentner aus Deutschland zu vermieten, solange keine Touristen kommen.
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