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Donnerstag, 6. Dezember 2012

Eine andere Wirklichkeit (1)

Von J stammt der Hinweis auf dieses Video, das eine Ansprache des  neu gewählten Barack Obama anläßlich der gewonnenen Wahlen zeigt. Und nun lesen Sie, was J dazu schreibt: "Es ist das gruseligste Video seit langem."

Warum? Weil er lieber Mick Romney am Präsidentenschreibtisch gesehen hätte? Nein, alles das sei ihm so egal, schreibt er glaubwürdig, als würde in China ein Fahrrad umfallen. In zahlreichen Einstellungen aber sieht man, daß die Menschen ihren Helden nicht einfach feiern, sondern sie nehmen an dem, was hier passiert, überhaupt nicht mehr teil. Vielmehr halten sie ihre Kameras in die Höhe, sehen was passiert bestenfalls durch ihren Monitor, der ihr augenblickliches Verhalten auslöst und steuert, so wie es vor der Wahl gewesen ist. Sie feiern eine virtuelle Figur, bleiben in einem virtuellen Raum, sind gar nicht real anwesend.

Aber dieser rein medienkritische Aspekt alleine ist noch gar nicht der Knackpunkt dieses Videos, führt der Verfasser dieser Zeilen weiter. Es enthält nämlich eine unfreiwillige Aussage, deren Interpretation hier umrissen werden soll, weil sie das Wesen des heutigen Amerikaners (und beileibe nicht nur von ihm, sondern aller westlichen Gesellschaften und Staaten) illustriert.

Obama sagt es mit einigen Sätzen zu Beginn. Da ist er ehrlich. Propaganda BRAUCHT ja "richtige" Fakten (sie "lügt" nicht, wie hier bereits behandelt wurde), und der Jubel brandet dabei auf: "The best campaigning in the history of politics. The best ever!"

Noch einmal sei wiederholt, was an anderer Stelle in diesem Blog längst ausgeführt ist: es geht in der Propaganda nicht um Inhalte, davon soll man sich nicht täuschen lassen. Es geht um die Verlagerung der Entscheidung auf eine Ebene der vermittelten (!) Information*, in der Prioritäten auf ganz neue Weise gesetzt werden. Die verwendet werden kann und schließlich MUSZ, weil das Individuum marginalisiert ist. Das ist das Ziel und Wesen von Propaganda: sie muß die individuelle Beurteilungsbasis aus der Hand schlagen, unwesentlich machen, erdrückt von "öffentlicher Meinung", von der Wucht der Zahl, der Menge, der vorgegebenen Dringlichkeit. Weg von der eigentlichen Urteilsgrundlage, hin zur keinem Wähler wirklich bewertbaren Abstraktion, und damit zur Irrationalität.

Die Versicherung einer rationalen Meinungsentstehung dient lediglich der Rechtfertigung. Weshalb gerade jene Schichten die idealen Opfer für Propaganda sind, die meinen, ausreichend intellektuelle Kraft und Wissen zu besitzen, um eine "eigene" Meinung zu bilden. Die Medien brauchen, um sich ihre relevanten Informationen zu holen. Denn sie wissen nicht, in welchem Ausmaß Gedanken nur vollziehen, was das Gefühl längst entschieden hat, das in jedem Fall aus der Wirklichkeit einer Begegnung mit der realen Wirklichkeit selbst erwächst. Sie wissen nicht, daß sie nur jene Informationen holen, die diese ihre Haltung nur bestärken, absichern. Obama ist nicht zufällig das Liebkind der Intellektuellen und Gebildeten Amerikas. Er ist der beste Propagandist.

Die Intellektuellen (der Welt) begegnen nur noch der Wirklichkeit der Medien selbst, nicht ihren verbalisierten Inhalten. Und ihnen folgen die untersten Schichten, die ohne es zu wissen der gesellschaftlichen Hierarchie folgen, ihr Wissen "von oben" beziehen, schmackhaft gemacht durch greifbare Süßspeisen, wie "soziale Maßnahmen", von den Medien und vor allem von den Schlagworten in jeder Hinsicht abhängig. Wenn das Wort geprägt wurde, daß die Armen das wahre Gesicht einer Gesellschaft zeigen - in den USA trifft das hundertprozentig zu.

Die Kameras und Monitore, die das Publikum anstarrt, anstatt auf Obama zu blicken, zeigen damit die Virtualität heutiger allstaatlicher demokratischer Entscheidungsprozesse.**

Der Spiegel legt da noch einen Aspekt zum Beleg nach: Er beweist durch Vergleich, daß Obama fast dieselbe Rede 2004 und 2008 bereits gehalten hatte. Obama benutzt also schlicht und ergreifend Stereotypen, Emotionsmuster, immer wieder und wieder, auf die sein Publikum konditioniert ist. Die Worte, die er draufsetzt, sind auswechselbar, belanglos, sie müssen nur befestigen. Eine Analyse von Hitler'schen Reden belegt, daß sie nur höchst selten semantisch durchgängigen Sinn aufweisen. Fast immer sind sie ein Patchwork an Wortnebeln, die einen darunterliegenden Inhalt bergen. Das Publikum erwartet nur diese "Trigger", bekommt sie auch geliefert, jubelt letztlich sich selbst zu. Obama macht, so der Spiegel im Kommentar, dabei nur, was alle Politiker machen.



Fortsetzung morgen: Schon Hitler hat nichts anderes gemacht.
Und: Das Video




*Und es ist das Wesen der Information, daß sie bereits "in einem geschlossenen Raum bleibt". Denn wie Norbert Wiener einmal schreibt, muß Information ja vom Informierten als solche erkannt werden, sonst ist sie keine Information. Fremdes, anderes kann also über "Information" gar nicht transportiert werden. Nur Bestärkung, Werkzeug. Die Propaganda liefert also Werkzeuge, keine sachlich-faire Auseinandersetzung, verankert durch ihren existentiellen Wert, den Propaganda als Gruppenidentität schafft: durch die Suggestion der Bedeutung des "Aktuellen", durch die Aufregung aus ihrer Etikettierung als "wichtig".

**Ausdrücklich seien regionale, kleinräumliche demokratische Prozesse davon ausgenommen. Die Griechen der Antike bemaßen die Grenze sinnvoller demokratischer Entscheidungsfindung bei etwa 10.000 Einwohnern. Darin liegt einer der Hauptgründe für ihre Expansion über die Gründung neuer Siedlungen.



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