aus 2010) Am 20. August feiert Ungarn den Hl. Stephan, den ersten und heilggesprochenen König der Ungarn, im Rahmen eines Staatsfeiertags. Und daß es ein hoher ist, das erzählt die Tatsache, daß die Geschäfte geschlossen haben. Sogar die Riesenmärkte der britischen Kette Tesco, die dem Österreicher vor allem einmal durch ihre 24/7-Öffnungszeiten auffallen, und nur zu Weihnachten und zu Ostern je eineinhalb Tage schließen.
Und am Tag des Hl. Stephan.
Traditionell wird an ihm die Stephanskrone in den Mittelpunkt zahlreicher Feiern gerückt. Und wer solch eine Feier einmal erlebt hat, der weiß, wovon ich hier spreche.
In Sopron (Ödenburg) geschah es im Rahmen eines am Hauptplatz, dem Fo tér, abgehaltenen Pontifikalamts, das der Bischof von Györ zelebrierte. In traditionelle Uniformen gehüllte Männer, Rekruten, Soldaten, Wachen, trugen, bewaffnet durch alte ungarische Hellebarden und Schwerter, die aus Pannonhalma herbeigeholte Krone in feierlichem Umzug in den Altarraum, wo sie auf einem samtenen Kissen, seitlich neben dem Altar, aufgestellt wurde. In Sopron, wo sich der letzte ungarische König Karl/Karoly seine Getreuen sammelte, um (vermutlich im Auftrag des Papstes) im Marsch auf Budapest eine Restauration des Königreiches zu versuchen, das ja nur vom Reichsverweser interimistisch verwaltet werden sollte.
Ungarn ist heute zwar Republik, hat aber - anders als Österreich - die Monarchie nie wirklich abgeschafft. Nominell ist also Ungarn noch ein Königreich. Sagen die einen. Ein Königreich, dessen Amt aber ruht, einen Dornröschenschlaf schlummert.
Aber es schläft nicht wirklich. Es ist wach, weil es da ist, und nicht im Museum als wirklich Vergangenes Ausgestelltes. Wobei die Betonung auf Vergangenheit deshalb so stark ist, um ein Aufleben präventiv zu verhindern. Denn die einzige Kraft gegen die Zerstörung der Linken ist das Patriarchat, der Patrimonialismus, der Personalismus staatlicher Strukturen.
In Ungarn aber befruchtet es nach wie vor. Denn hier zeigt sich eine Kraft, ein Wert, der begreiflich macht, was Adam Müller in seinen Schriften als "Bezugspunkt der Ehre", andere als "Idee des Staates, den ein Volk bildet", bezeichnen. Diese Idee ist es, der alle Bewohner eines Landes sich im Dienst wissen, dem sie verpflichtet sind. Und es ist eine nachweisliche Tatsache, daß vom Vorhandensein einer solchen Idee auch der Wille und die Kraft zum Überleben abhängt. Und davon ausgehend: die Kraft, das alltägliche Leben zu gestalten.
Wie es die Ungarn so scheinbar sentimental in ihrer Hymne (sinngemäß) singen: Oh Gott, gib Segen Deinem Ungarnland, den es sich in so langen Jahrhunderten des Leids - verdient hat.
Als am Ende der Feiern dann eben diese, so pathetisch-beeindruckende, ungarische Hymne angestimmt wird, alle sich von ihren Sitzen erheben und laut und ergriffen mitsingen, rieselt auch uns ein Schauer über den Rücken. Und spätestens bei der Refrainstelle, wo die Bläser mit Macht einsetzen, sich die Stimmen zum Ruf hochschwingen, singen wir alle mit Tränen in den Augen erschüttert mit.
Als wir nachher darüber sprachen, waren wir uns einig: wir weinten um ein Verlorenes, das wir noch nie so stark als Vorenthaltenes erlebten. Und dessen Kraft wir hier in Ungarn erlebt haben, die es nicht ins Grab stoßen, die es erhalten. Sodaß diese Idee nicht tot ist. Wo sie wie eine Macht, die auf den Tag ihres Erwachens wartend, nur den leichten, milden Schlaf der Müden schlummert.