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Sonntag, 9. Dezember 2012

Vollzug des Weltbildes

Niemals, schreibt Plato, kann verschriftlichter Text Weisheit und Erkenntnis "vermitteln". Er kann nur daran erinnern. Ja, er kann nicht einmal selbst "Gedächtnis" bilden. Denn menschliches Gedächtnis bezieht sich auf eine viel umfassendere Wirklichkeit, auf Bilder, Bezüge, Verhältnisse, und Bedeutungen, die man selbst aus eigener Subjektivität Dingen beimißt. Deshalb war auch seine Verschriftlichung - u. a. der Lehren von Sokrates, der überhaupt nie etwas niederschrieb - kein erschöpfendes Medium, in das er sich ergoß. Es war nur eine Hilfestellung für die Mündlichkeit.

Aus dem Grund sind auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen der Menschheit keine Weisheitslehren oder gar religiöse Texte, sondern Verwaltungsnotizen, Aufzeichnungen über Wirtschaftsvorgänge, die Eckdaten realer Prozesse festhielten. Als Erinnerungshilfe.

Entsprechend war auch die Bildbeifügung in Aufzeichnungen keineswegs dokumentarisch verstanden, einer Photographie vergleichbar. Sie waren Dekoration, Stimmungshilfen, die der entsprechenden Geisteshaltung, aus der sich ein Inhalt über die Erinnerungshilfe Buchstabenschrift leichter erschloß. Niemand dachte sich etwas dabei, wenn in Schedel's "Chronik von Nürnberg" von 1467 ein und derselbe Dürer-Schnitt die Berichte über Damascus, Ferrara, Mailand und Mantua illustrierte. Es ging um das Wesen von Stadt, die Art, wie der Mensch denkt und rezipiert. Den eigentlichen Inhalt erwartete jeder aus der persönlichen, mündlichen Überlieferung. Auf die der Text hinwies, an die er erinnerte, die er wachzurufen helfen sollte. 

Denn der Mensch sieht nur, was er im inneren Licht sieht. Und er formt die gesehene Welt seinen inneren Kompositionen gemäß. So werden sie zu begrifflich gefaßten "Dingen". Glauben (als Konstituens des Weltbildes) kommt vom Hören - nicht vom Sehen.

Der Übergang zu den beweglichen Lettern bei Guttenberg war deshalb keineswegs eine technische Errungenschaft an sich. Alle Elemente, die er verwendte, waren seit Jahrtausenden in Gebrauch, auch der Druck selbst, ja selbst die Verwendung beweglicher Pictogramme. Es muß eine innere, seelisch-geistige Blockade gewesen sein, die diese Verwendung verhinderte. Eine innere, geistig-seelische Veränderung mußte also den Zugang zum Wort selbst verändert, es technisiert haben. Und deshalb war der Weg für die beweglichen Lettern Gutenbergs offen, in denen die Drucksprache von der lebendigen Sprache abgekoppelt, in eine - ihre - eigene Logik gestellt wurde, und damit einen geistigen Prozeß nachvollzog: Gutenberg's Erfindung hat ein inneres Weltbild dargestellt.


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Schon deshalb kann das Internet "andere" Inhalte gar nicht weitergeben. Es kann sich nur auf reale, bereits erlebte Inhalte beziehen, sie in bestimmter Begrifflichkeitsgenese stärken.* Im Maß der Realität, in der der Teilnehmer lebt, und in der er der spezifischen Realität des Internet - fernab von allen vermeintlichen, expliziten "Inhalten" - begegnet. Mit der ständigen Gefahr, daß er dem Irrglauben verfällt, diese spezifische Realität für die Lebensrealität selbst zu halten. Gefährdend deshalb, weil dieser Fehlglaube von der (durch enorme Propaganda gestützte) Verlockung gestützt wird, hier eine Realität ohne Schmerz und Gefahr - immer kontrollierbar, immer im Rahmen des bereits bestehenden Selbstseins - zu erleben. Weil er sich im Bildschirm immer nur ... selbst begegnet, wie überhaupt nur dem Bildschirm, nie einer Welt dahinter begegnet. Auf diese weist Schriftsprache (bzw. alles, was sich auf diese Weise zeigen läßt, auch Bilder, Filme) ja nur hin, und zwar (durch die technischen Bedingtheiten) noch weit abgeminderter, als es z. B. Druckwerke, oder Kinofilme tun, die (als Photos) ja auch nur auf etwas Reales außerhalb hinweisen.
 


*Das ist auch erkenntnistheoretisch begründbar: denn was wir begrifflich an einem Ding (Einzelding) bestimmen, ist nur das, was allgemein ist. Das dem einzelnen Ding Eigene können wir nur in seiner Bindung und Stellung in Zeit und Raum als "das was es ist" ("tode ti" - als "Diesda") erfassen. Erkennen ist aber abhängig von der Begegnung mit einem "tode ti", mit "Diesda"-Dingen, und erst daraus läßt sich Allgemeines ableiten. Dinge gibt es nicht als Allgemeinheiten, nur als Einzeldinge, als "Dies da".Deshalb ja können wir uns selbst nur in Gott erkennen, in dem alle "tode ti"'s sind, weil nur in ihm - dem Sein alles Seienden - etwas wirklich ist.

Bleiben wir in Worten, ohne "tode ti"'s, bleibt unser Erkennen und unser Reden/Denken leer, abstrakter Formalismus. (So zeigt dies die wesentliche Natur des Internet - als Austauschmedium der Wissenschaft, die ja auch keine Aussage über das "Was" der Dinge treffen kann, nur Sinn hat, wenn sie sich auf "Was'se" bezieht, die sie über eine Matrix abstrahiert, nur das Verhalten innerhalb dieser Matrix "weiß".)




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