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Dienstag, 25. Dezember 2012

Der Ineinanderfall

Die Schöpfung der Welt besteht in der Eröffnung des Horizonts der Außenheit, jenes "Außen", worin alles dadurch sichtbar wird, was sich außerhalb von uns zeigt - als uns äußerlich, als unterschieden, als anders erscheint. [Sie] ist [...] immer eine äußere Schöpfung, sie setzt das von ihr Geschaffene außerhalb von sich. In jeder Schöpfungsweise, ob handwerklicher, künstlerischer oder industrieller Art, ist diese Struktur der Ent-äußerung leicht zu erkennen, denn dies war und ist die Welt in ihrer Schöpfung durch Gott.

Weil dem Leben diese Struktur sowie jedwede Außenheit fremd ist und nichts das Leben von sich selbst trennt, es es niemals außerhalb von sich, denn wenn es nicht mehr sich selbst erproben könnte, würde es aufhören, das Leben zu sein - wodurch das Leben im Prinzip jeglicher möglichen Schöpfung entzogen ist. Das Leben ist ungeschaffen. Der Schöpfung, der Welt fremd, ist jeder lebensgebende Prozeß ein Zeugungsprozeß. Ein immanenter Zeugungsprozeß, bei dem das Leben dem von ihm Gezeugten innerlich bleibt und sich nie außerhalb von ihm setzt. So bleibt das Leben im Selbstzeugungsprozeß des absoluten Lebens als Zeugung sein Wort - und dieses Verbum, in dem es sich selbst erprobt, offenbart sich an sich und erfreut sich seiner selbst.

Aber weil in einem solchen Prozeß, bei dem es weder Schöpfung noch Welt gibt und nichts aus sich heraus gesetzt wird, alles in sich bleibt, alles immanent ist, muß man sagen: so wie das Leben in seinem Wort bleibt, in dem es sich selbst erprobt, ebenso bleibt das Wort als Verbum in diesem Leben, das sich in diesem Wort erprobt, welches sich im Leben selbst erprobt.

So bleibt der Vater (das allmächtige sich selbst zeugende Leben) im Sohn (das Verbum, in dem sich dieses leben zeugt, indem es sich selbst erprobt und sich so an sich selbst offenbart), ebenso wie der Sohn (in dem das Leben sich erprobt und sich unendlich liebt) in diesem Leben bleibt (das sich in ihm erprobt, so daß er sich selbst im Leben erprobt), so ist jeder im Anderen, der Vater in seinem Sohn, der Sohn in seinem Vater, und zwar in einer gegenseitigen Innerlichkeit (jeder sich selbst im Anderen erprobend, lebend und liebend), was eine Innerlichkeit der Liebe, ihre gemeinsame Liebe, ihr Geist ist.

Im Leben ist also Wort und Erkennen eins, denn indem wir erkennen, daß wir leben, leben wir zugleich - als Erkennen. Logos ist Leben. Und als Lebende ist Leben Erkenntnis, und damit der Logos der Welt das die Welt Aufbauende, weil alles von diesem göttlichen Leben ausgeht, das das Wort ist.

An diesem Leben können wir nur teilhaben, im Geiste, dem Ineinander von Logos, dem Sohn, und Leben und Liebe, in der Person Gottes des Geistes - wir können es uns nicht selbst geben, es nicht selbst bestimmen, und das Erkennen ist nur im Geiste möglich. In der Selbstüberschreitung, der hingebenden Liebe, treiben wir uns in die Welt hinein, zum Selbst, in der Gestalt der Persönlichkeit, getragen und getrieben vom Geist Gottes.

Wenn wir feststellen, daß wir leben, und darin leben, erkennen wir ein Leben (aus dem Leben in Christus, im Geist), das uns auf eine Weise außen ist: wir können es verlieren, weil wir nur im Maß unserer Herzensreinheit an Gottes Geist teilhaben.

Keinem Menschen ist weltlich, weltimmanent, ein Wort möglich, das zugleich es selbst ist. Kein gesprochenes "Hund" bellt, kein "Gesang" singt, kein "Freude" freut, kein Wort das wir sprechen schafft direkt, was es ist. Die Welt ist uns äußerlich, wir sind nur in Jesus dem Sohn, dem Logos, mit ihr eins. Keine weltliche Vernunft kann diese Grenze überschreiten, sie bleibt von und in der Welt, ist nur hinweisend und bezogen. Wir sind abbildhaft. Nicht das Wort selbst, nur aus dem Wort. Geschöpf. Die das Wort nur aufnehmen können.

In Gott aber "ist", was von ihm als Wort, als Logos, ausgeht. Alles Geschöpfliche hat an diesem Logos in dem Maß teil, als es ihm gehorsam ist, "auf sein Wort hört". In Demut. Wer meint, sich das Leben selbst geben zu können, ist - im Hochmut des "eritis sicut Deus" - von ihm ausgeschlossen. (Und hat - anders als die Engel, die augenblicks dieser abwendenden Entscheidung zu Dämonen fielen - nur das "Glück", daß er nicht reiner Geist ist, der ganz ist was er will, ganz will was er ist; daß er sich als Mensch als Leib-Seele-Einheit im Hochmut nicht ganz und gleich und sofort gehört, sondern in sich zerfallen ist.)

Deshalb ist Jesus Christus, der Sohn, das Leben selbst - via, vita, veritas. Nur wer an ihn glaubt, wird - in ihm, durch ihn - leben. Denn in ihm (als er) wird der Himmel sichtbar, das Wort ist Fleisch geworden. Und er will alle an sich ziehen, in diesen Himmel (=die Kirche, als Ordnung in und aus Gott) hinein.



Michel Henry, in "Christi Worte - Eine Phänomenologie der Sprache und Offenbarung"



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