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Sonntag, 2. Dezember 2012

Vorhersehbarkeiten

Auf "The European" findet sich ein bemerkenswerter Artikel von Alexander Kisser über den Ausschluß Bischofs Richard Williamson's aus der Priesterbruderschaft Pius X. Und er faßt zusammen, was der Verfasser dieser Zeilen schon vor bald 20 Jahren vorhergesehen hat: In dieser Form trägt der Traditionalismus der Piusbruderschaft einen Widerspruch in sich, der sie in sich zerreißen muß. Traditionalismus kann das Wesen lebendiger Tradition zerstören. Kisser erfaßt völlig richtig die Piusbruderschaft als Zeiterscheinung, die in derselben Bewegung erfaßbar ist, wie das, was als Krankheitssymptomatik der entwurzelten Gegenwart erfaßbar ist. Wo die Welt zu Bildern - als scheinbarer Hort der Sicherheit, als Instrument oft problematischester Motive - erstarrt, und die dort ihre Wurzeln schlagen kann, wo der propagandistische, selbstentfremdete Charakter herrscht. Wo die Pseudologie des Funktionierens das Lebendige erstickt, Wahrheit zum Formalismus wird.

+ Richard Williamson
Auch wenn sich darin das Problem der "Wiedervereinigungsgespräche" der Piusbruderschaft mit dem Vatikan nicht erschöpfend erfassen läßt. Auch wenn Gehorsam nicht blinder Gehorsam heißen kann, und die Kirche in ihrer Realpolitik oft schärfstens zu kritisieren ist. Und auch Starkult-Euphorie führt an ihr vorbei, ist eben nicht Gehorsam.

Kissler's Kritik trifft in ihrem Bezug auf die Ränder also auch auf so viele Erneuerungsbewegungen zu, die sich in ihren wirklichen Grundkonstellationen in nichts von den Piusbrüdern unterscheiden. So manche Erneuerungsinitiative, dazu das Gefasel von der Bekenntniskirche, trägt die selbe Handschrift einer Parallel- und Sonderkirche wie Pius X. Sie sucht nur andere Wege der Täuschung und Depersonalisierung, ja trägt unter der Maske des Frommen die Fratze des Bösen, des Nichters, und ist liturgisch sogar noch zukunftsloser, weil orts- und raumlos, virtuell.

Das Heil kann nicht außerhalb der Gnadenökonomie der Kirche gefunden werden, die die Adern des Gehorsams als Bereitschaft zum Kreuz wesensnotwendig braucht, die Poren für die Gnade öffnet. Nur so bleibt jener Raum für Gott selbst, der einen Organismus in das Leben Gottes hineinnimmt, ihn erst dadurch zum Heilszeichen erhöht. In jedem Fall muß also Strukturgehorsam - der sich auf eben diese Gnadenwege bezieht - diese Aderngeflechte offenhalten. So schwer errungen, ja schwer erkennbar dieser Weg auch oft sein mag. Nur aus dieser Anbindung an das Leben selbst sucht sich der Sinn der Schöpfung auch seine historische Gestalt, fern jeder Willkür, fern aber auch jeder Erstarrung, selbst wenn beide Bewegungen verstehbar sind.

Denn das Wirken Gottes ist zwar genau kein Technikum, das alleine über die irdischen Strukturen wirkt (das wäre Magismus), aber es braucht die irdische Natur, um seinem Wirken dazwischen den nötigen Platz einzuräumen. Und diese reale, strukturelle Natur der Kirche ist erst die societas perfecta, die irdische Gestalt der himmlischen (eigentlich: eng(e)lischen) Hierarchie.

In Wochenkommentar 277 vom 3. November kündigt Williamson außerdem eine Parallelkirche der besonderen Art an. Ein „loses Netzwerk an Widerstandsnestern“ sehe die göttliche Vorsehung vor, ohne die „Struktur des falschen Gehorsams (…), welcher ja in den 1960er-Jahren die Amtskirche untergehen ließ und heute die Priesterbruderschaft St. Pius X. versinken lässt“. Diese doppelte und doppelt falsche Optik besagt: Die unverändert traditionalistische Bruderschaft unter der Leitung Bernard Fellays werfe sich heute gerade so der Welt an den Hals – und also der Beliebigkeit, dem Mehrheitsdenken, der geistlichen Schwäche –, wie es die katholische Kirche vor 50 Jahren getan habe. Da dürfe er, der Erste unter den Widerständlern, nicht Fellay gehorchen; da müsse er, Williamson, seinen eigenen Weg gehen wie damals Bruderschaftsgründer Lefebvre unter den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. Resistance now!

Um ihn und seine nach einem Märtyrer des dritten Jahrhunderts benannte „Initiative St. Marcellus“ sollen sich ab sofort die verbliebenen katholischen Priester und Laien scharen. Dass der heilige „Marcellus der Soldat“ unmittelbar an Marcel Lefebvre denken lässt, ist eine weitere Kampfansage: Williamson geriert sich als einziger Nachlassverwalter eines Erbes und belegt mit dem Anathema die große Mehrheit, die seinen Narreteien nicht Folge leisten will. Was wahrhaft katholisch ist, heißt das, weiß nur ich, Richard I. aus London. Spenden sind ausdrücklich willkommen.

Der künftig für Archäologen des spätmodernen Bewusstseins interessante Fall zeigt überdeutlich: Auch an den Rändern von Kirche und Welt toben die Anmaßung, die Selbstgerechtigkeit, der Subjektivismus. Auch ein trotziger Traditionalismus schützt nicht vor traditionsloser Egomanie – Traditionalismus meint eben nicht Tradition, sondern ist deren Platzhalter unter den Bedingungen der Mediengesellschaft. Gäbe es eine lebendige Tradition, gäbe es keinen Traditionalismus. Williamson ist selbst, was er abstritte mit maximaler Vehemenz: ein spätmoderner Subjektivist. Die Zeit, die er nach Soldatenart zu bekämpfen meint, geht durch ihn hindurch. Er ist die Verblendung noch einmal, die er allen anderen diagnostiziert. There is no way out.



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