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Mittwoch, 24. Juli 2019

Der Ort definiert das Leben (1)

Auch die Austrocknung eines noch vor zwanzig Jahren viergrößten Süßwassersees der Welt, des Aralsees zwischen Usbekistan und Kasachstan, hat mit Klima nichts zu tun. Sieht man davon ab, daß er das regionale Klima prägt. Sie war die Folge eines absurden, typisch größenwahnsinnigen Projekts der Kommunistenschädel, die da meinten, durch Wasserentnahme aus den beiden Hauptzuflüssen die kasachische Steppe durch Getreide- und vor allem Baumwollfelder (die noch dazu enorm viel Wasser ziehen) wirtschaftlich nutzbar zu machen. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Der früher fischreiche, kristallklare See, der einen ganzen geographischen Großraum ernährte und wirtschaftlich prägte, trocknete bis auf einen kleinen Rest aus. 

Aber es gibt Hoffnung, und der Aralsee wird wieder größer, seine Wasser steigen wieder. Durch ein von der Weltbank finanziertes, großes Dammprojekt, das vor einigen Jahren realisiert wurde. Schon wenige Jahre später ist sichtbar, daß die Seefläche wieder zunimmt, wie dieser Bericht aus dem Jahre 2017 zeigt. Und zur großen Freude der noch verbliebenen Bewohner, die in der Zwischenzeit auf Kamelnutzung umgestiegen sind, kommen auch die Fische wieder. Und zwar bei weitem nicht nur durch künstlichen Besatz. Zumindest für den Nordteil wächst die Hoffnung, daß der Aralsee wieder aufersteht.

Wenn auch die Anwohner sich nicht vorstellen können, daß er jemals wieder zur alten Größe und Pracht zurückgelangt, regt sich Hoffnung und mancher trifft bereits Vorbereitungen auf die nähere Zukunft. Indem er etwa beginnt, alte Boote wieder flott zu machen, indem er versucht, sich an die Fischfangtechniken der Väter zu erinnern. Mancher Junge plant sogar bereits wieder, sein Leben wie die Vorfahren als Fischer am See zu verbringen. Schon gibt es auch in Aralsk, dem Hauptort und früheren Haupthafen der Region, der heute dreißig Kilometer vom See entfernt liegt, in den Läden wieder frischen Fisch aus dem See.

Wie rasch die Erholung von ausgetrockneten ehemaligen Wasserflächen aus ganz natürlichen Gründen gehen kann, zeigt auch eine Studie aus Oregon in den USA. Wo man nach einigen Dürrejahren untersucht hat, wie sich die Population von Forellen und Salamandern in den ehedem fast ausgetrockneten Gewässern und den angrenzenden Flächen entwickelt. Und siehe da: Es dauert nur ganz wenige Jahre, bis die Dichte an Tieren frühere Ausmaße wieder erreicht.

Schon Richard Woltereck zeigt in seinen Untersuchungen im 20. Jahrhundert, daß Tierbevölkerungen ungemein elastisch auf Gegebenheiten in biologischen Räumen reagieren. Und sich in ihrem Freß- wie Fortpflanzungsverhalten ganz rasch auf wechselnde Bedingungen einstellen. Die Tiere haben offenbar ebenfalls eine Entsprechung zu dem, was den Menschen sogar als direkter Schöpfungsauftrag gegeben ist: Seid fruchtbar und mehret euch, und macht euch die Erde untertan! Nur auf anderer, instinktiver, direkter Ebene, die nie hinterfragt, die immer zu erfüllen getrachtet wird.

Am verblüffendsten fand der Biologe, daß Lebewesen ihren "Fraßfeinden" keineswegs in einer bloßen Abwehrsituation gegenüberzustehen scheinen, sondern sogar die Zahl ihres Nachwuchses nach den Freßfeinden orientieren. Also diesen sättigen, um dann ihren bestandserhaltenden Nachwuchs zu gebären. Umgekehrt, nehmen die Fraßfeinde "Rücksicht", und schränken ihre Jagd und ihr Fortpflanzungsverhalten ab einem gewissen Zahlenverhältnis Esser: Nahrung ein. Das sich grosso modo somit äußerst stabil hält. 

Desaströs wirkt nur eines: Wenn Ortsfremde in ein bestehendes Biotop gelangen. Denen fehlt jeder Bezug zum Ganzen, und ein Lebensraum verändert sich dramatisch, ja kann überlebensfeindlich werden. Übrigens vor allem für die Zuzüglinge. Sie gehen von einem Insgesamt aus, das dem, in dem sie sich jetzt befinden, nicht entspricht.

Alle Lebewesen leben offenbar in einem "Feld", einem Lebensraum, einem abgrenzbaren Ort beziehungsweise Ineinander von Orten, meint Woltereck. Die bestimmte ideelle (ontologische) Beziehungsknoten enthalten müssen, sonst ist das Verhalten ganzer Populationsgefüge, die sich zu einem Ganzen verhalten, das mit der Umgebung nahtlos ineinanderfließt, nicht erklärbar. Ganzheiten, Felder, die dann auf das individuelle Verhalten einwirken und mit diesem korrespondieren. Der Ort definiert das Wesen, ja ist in gewisser Weise das Wesen der Dinge und alles Lebendigen.*





Morgen Teil 2) Die Anmerkung als notwendiger Exkurs über Gestalt