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Samstag, 27. Juli 2019

Der Samstag-Nachmittag-Film

Als Filmisches Kunstwerk ist "Drei Mädels vom Rhein" (1955) nicht unbedingt in die Spitzenklasse einzuordnen. Es bleibt bei einem gewissen Unterhaltungswert. Ausgewählt wurde er aus einem anderen Grund: Wegen seiner Thematik. Die so oft vorkommt, aber kaum je in seiner Aussagekraft gewürdigt wird. Worum geht es? Ein kleines traditionelles Hotel, das über Generationen gut gelaufen ist, kämpft um seine Existenz. Grund? Gleich gegenüber hat eine Bank einen neuen "modernen" Bau hingestellt, der ihm nun seine Kunden abspenstig macht.

Eine Geschichte also, wie sie sich zur Zeit des Wirtschaftswunders am laufenden Band wiederholt hat. Der nur von Geschäfts- und Gewinninteressen getriebene Kapitalismus verdrängt das regionale, persönliche, verwurzelte Wirtschaften namens "der technischen Vorteile der Moderne". Aber sie ist nicht romantisch, auch wenn sie im Film zu einem solchen Ende kommt, sie ist der Konflikt zweier unversöhnlicher Prinzipien. Die Versöhnung mit dem blinden Kapital ist im Film nur möglich, weil eine persönliche Komponente einfließt: Der Sohn des Direktors der Bank verliebt sich in eine der Töchter der Hotelbesitzerin. Indem also das Kapital doch menschliche Anzüge hineingeschrieben erhält. Was, wie wir wissen, natürlich am laufenden Band vorkommt.

Aber alles zeichnet sich bereits ab, selbst die "neue moralische Libertinität", übrigens: vor allem am Verhalten der Frauen ablesbar, die am laufenden Band (ehedem "Unschicklichkeiten") Tabus ankratzen oder brechen. Man spürt förmlich, wie das herkömmliche kulturelle Gewand plötzlich zu eng wird. Und mehr als einmal stimmt das Freie, Neue offenbar problemlos in den Sonus des "Amerikanischen" ein.

Nur das Antlitz des liberalistischen Kapitalismus ist noch nicht so schrecklich ausgefaltet, wie es dann geschah, in ständiger, autodynamischer Entwicklung. Ach, wie harmlos, ach wie verträglich zur Heimat und zur Verwurzelung sieht er doch aus. Ist er nicht einfach Lebensfreude? Oh ja, in dieser Irrationalität der Bedürfnisorientiertheit wurde er uns damals verkauft. Als Befreiung von allem "lebensfeindlichen", das das Früher hatte. Ganz Europa fiel darauf herein. Kein Wunder, daß man "Demokratie" stärkte - man brauchte die Meinung des Proletariats, des Ungeistigen, des Ungebildeten, um das durchzubringen. Pizza und Hotdog schlägt Sauerkraut und Eisbein, man koste nur, sozusagen. Bikini, aufgelockerte Moral schlägt verstaubte Ansichten, sozusagen. Deshalb könnte man den Film fast als "Werbung" für diese amerikanisch initiierte Transformierung sehen. Denn eines ist unübersehbar: Das "Amerikanische" ist doch DIE Hoffnung aller Deutschen, oder?! Dort ist alles, was die Wunden hierzulande heilt. Geld, unbegrenzt Geld, damit (!) Ordnung, Freiheit, HulaHula, Jazz, Rock 'n Roll ...

1955 war auch das Jahr, in dem Österreich "frei" wurde, wie Bundeskanzler Figl vom Balkon des Schloß Belvedere enthusiastisch verkündete.  Endlich konnte das Land Teil des Amerikanismus sein, eine Stimmung, in der auch der VdZ dann aufwuchs, der sechs Jahre danach geboren wurde. Es durfte es nur nicht offen bekennen. Das ist der Inhalt der "Neutralität", die den Russen versprochen wurde. Die Bösen, die nicht Kulturzugehörigen durfte man ja immer belügen, die waren ja keine Menschen, oder? Weiß der Leser, daß zu der Zeit kein Film, nichts an kultureller Produktion, ohne die von einem Juden (unverfänglich, wir wissen, denn ein Opfer des Nazitums, der Grundeigenschaft aller Deutschen, wie wir durch Wilhelm Reich und die Frankfurter Schule wissenschaftlich bewiesen erfuhren) ohne Zustimmung aus New York vonstatten gehen konnte? Wer der Ideologie des Amerikanismus nicht zuarbeitete, hatte Berufs-, ja Daseinsverbot, punkt. Wo kämen wir denn da hin.

Und nun, nach diesem Ausbruch ins Essentielle, sehe der Leser den für diese Zeit so typischen Film noch einmal an. Setze er sich diese Brille der Thesen als Prämissen einmal auf. Dann sind wir schon bei der Quintessenz dieses Films, prototypisch für so viele der damaligen Medienproduktionen, und reißen ihn aus dem "Naja, eben so waren damals die Filme" heraus.

Nein, nicht Vernunft, nicht Verstand - das Gefühl bestimmt diese neue Freiheit, diese Glücklichkeit, begreife man das doch! Liebe! Die macht alle Vernunft erläßlich. Erklärt von einem Weltgebäude, das den Zufall, die Lotterie zum entscheidenden Moment macht. Wie der Stürmer und Dränger JMR Lenz im "Hofmeister" 150 Jahre vorher zeigt: Oder Nestroy im "Lumpazivagabundus". Die Katharsis schafft ab da nur noch das Lotterielos, nicht die Vernunft. Glauben Sie das nicht? Na probieren Sie es endlich, werter Leser!

Und sieh da: Man muß nur der neuen Zeitstimmung zustimmen, und schon prosperiert alles! Klingt das nicht nach ... Marshall-Plan? Ach, wie haben die Amis doch Recht. Die neue societas perfecta, die neue Kirche, über der nichts sonst mehr gilt. Plötzlich haben wir sogar das "amerikanische Tempo", das keinen Ritus mehr braucht, der doch nur hindert. Klar, die dürfen das auch, sich auf die alten Pferde setzen. "Sogar der (traditionelle) Umzug geht an uns vorbei." Die dramaturgische Wende? Einmalig. Was passiert nächstes Jahr? Bitte, nicht fragen. Diese Weltsicht braucht keine Ewigkeit, keine Dauer. Einmal genügt für diese Dramaturgie zur Lösung. Ein Tag Kenntnisnahme für die Heirat. Und schon ist das Traditionelle gerührt. Ach, daß Ihr uns überhaupt zur Kenntnis nehmt!?

Also, werter Leser, übernehme er endlich den amerikanischen Hubbiwubbi, so er das nicht sowieso schon per Muttermilch getan hat. (Vorsicht, ohne Vater und kalten Wind um den Arsch kann das nur heißen: Festkrallen an der Zitze!) Dann geht es allen gut. Wie? Ach so, das hatten wir ja schon. Ach, darum hat uns die Muttermilch und der Vaterseim nicht mehr geschmeckt. Das Glück liegt ja bekanntlich völlig woanders.