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Dienstag, 9. Juli 2019

Von der Demenz des Autisten (2)

 Teil 2) Autismus als Frucht der Weltauflösung der Gegenwart



Das heißt, daß die innere Qualität des Hinausstreckens (Neugierde, Lust auf etwas, Lust auf die Welt usw.) nach und nach zu einer festen Haltung wird. Was wie bei einem trainierten Muskel auch im Seelenleben geschieht, wo sich diese Hinausorientierung als "Haltung" ausformt. Spätestens hier haben wir den Ort, an dem "Gott" eine Rolle spielt, in dem jenes Urvertrauen gründet, das die Welt als Speicherkammer von "Gütern" begreifen läßt, auch dort, wo man ein Gut noch nicht kennt. Hier ist die innere Hinausrichtung, dort aber muß eine Welt sein, die bereits einen Gürtel an Dingen zureicht, die wie ein Trittbrett, ein Brückenkopf von festem Terrain aus weiter in die Welt ausreichen lassen. 

Die also das sind, was man braucht, weil sie ein "Jemand" bedeuten. Und der Welt begegnen kann man nur als "Jemand", weil sonst jedes Bewertungskriterium fehlt (es sei denn, man schließt es mit der inneren Gefühlswelt kurz, der aber genau jene Formung zum Urteil fehlt, die man eben durch das Weglassen der Trittbretter verweigert). Es gibt keine unkonkreten Eigenschaften der Welt, das ist der wichtigste Gedanke dabei, es gibt keine unkonkrete Welt. Und der Mensch ist auf Welt ausgerichtet, das ist der Grund für seine Neugierde, für seine Energie ins Außen.

Vielleicht wird nun allmählich klar, warum Pathologien wie Narzißmus oder Autismus/Asperger also mit der sozialen, realisierten Verbundenheit und mit dem Zustand des sozialen Umfeldes zu tun hat. Nun wird auch klar, warum Liebe darin eine so große Rolle spielt, und warum diese Liebe nicht von den Sachen zu trennen ist, ja sich nur in Dingen (s.o.) manifestieren kann, die die Welt eines Kindes bzw. Menschen ausmachen.

In einer aufgelösten Welt finden die menschlichen Energien keinen Halt in der Welt und fallen auf den Menschen zurück

Nehmen solche Krankheiten zu kann man also mit völliger Sicherheit darauf schließen, daß ein Mensch diese gesunde Entwicklungsmöglichkeit nicht hatte oder wahrgenommen hat. Sodaß sich seine Neugierde ziellos nur mit sich selbst beschäftigt, und damit das "Ich" sich in enge Grenzen einsperrt, um es einfach zu sagen. Gleichzeitig zeigt sich damit an, daß die soziale Umgebung über jene institutionalisierten Merkmale verfügt, die dem Menschen zugesprochen werden.

Nun nähern wir uns also der Gegenwart. In der eine Art des Umgangs mehr und mehr etabliert wurde und wird, in der sich nichts mehr institutionalisiert findet, sondern der Mensch sich täglich neu aufstellen muß. Wo kein Merkmal anerkannt wurde, sondern jedes Merkmal mehr oder weniger von Augenblick zu Augenblick aufzurichten ist, während es anschließend oder über Nacht wieder aufgelöst wird. Wo man (wie in manchen "Pädagogik-Richtungen") sogar gezielt alles verweigert, was einen Menschen apriori Konkretion geben könnte, weil man meint, jeder wäre so individuell, daß er sich von Null an seine eigene Welt schaffen könnte. 

Weil diesem Menschen aber dann jedes Trittbrett in der Welt fehlt, ihm also jede Welt fehlt, bleibt ihm nur noch, die Richtlinien für das, was er zu bilden hat, in sich zu suchen. Er wendet sich also in sich hinein, weil er von außen keine Anleitung, keinen Hinweis erhält. Dasselbe passiert - und das ist heute sogar Standard der Schulpädagogik - in der Gleichheitsideologie, in der die Kinder in die Kindergärten und Schulen aufgenommen werden und gleichzeitig ihren bisherigen sozialen Hintergrund ablegen müssen. Und das heißt weiter, daß ein Mensch ohne ein Gedächtnis aufwächst, bzw. sein Gedächtnis immer nur das trägt, was ihm kurzfristig einfällt, jedesmal aber Energie braucht, um aktiviert zu sein.

Die abhanden gekommene oder verweigerte Welt ist eine fehlende Erinnerung

Beim autistischen Kind bzw. Menschen fehlt also eines: Die Erinnerung. Die dafür vorgesehene innere Fähigkeit (als Grundfähigkeit der Seele, die nach Inhalten lechzt, um ihre Aufgabe - Gestalt zu formen - ausüben zu können) des Erinnerns bleibt leer, bzw. es bleiben nur einige Gegenstände/Dinge, die es zu erinnern vermag. (Der Autist ist deshalb unter anderem an der monotonen Wiederholung bestimmter Tätigkeiten erkennbar.) 

Damit ist auch klar, daß es in nicht vorhandenen oder wie oben angedeutet "leeren" sozialen Umfeldern oft kaum noch überhaupt zum Aufbau von Gedächtnis und Erinnerung kommt. Und eiderdautz: Es mehren sich die Fälle, wo bereits junge Menschen ... dement sind. Ihnen hat überhaupt gleich von Anfang an diese feste, manifestierte Einbindung in ein soziales Umfeld gefehlt. Nichts an der Welt ist ihr "Besitz" geworden, den man als Persönlichkeit bezeichnen könnte. Oder es war so eng gefaßt, daß es bei Ausfall eines Faktors diese völlige Leere hinterläßt.

Beim Demenzkranken ist genau das passiert bzw. passiert genau das, und zwar eben in einer stetigen Entwicklung, die direkt mit dem Umstand zusammenhängt, daß er die realen sozialen Verbindungen und institutionalisierten Merkmale mehr und mehr verliert. Der Mann stirbt, die Kinder sind nach Australien ausgewandert und damit praktisch verschwunden, die Freunde sind alle tot, der Beruf wegen der Pension aufgegeben, die Nachbarschaften verschwunden, jede Gebrauchtheit mangels institutionalisierter Funktion erloschen ... 

Merkmal der Qualität aller Dinge ist ihre Fähigkeit, als sie selbst (und damit Welt) existent zu bleiben

Dem Demenzkranken fehlt somit die materialisierte Erinnerung, und es fehlt ihm die persönliche Verflochtenheit, wo aus persönlichen Gefühlen als Motivation, sich hinauszustrecken und damit "in der Erinnerung zu leben" (deren wichtigste Motivation die Liebe, meinetwegen aber auch der Haß sind), die Persönlichkeit aktiv und "präsent", also wach bleibt. Abgeschnitten von diesem Außen, fehlt ihm zugleich aber die innere Grundkraft, die das Kind noch hat, und zwar schon rein aus Gründen des körperlichen Abbaus, die es ihm ermöglichen würde, täglich neu seine Welt zu schaffen oder zu erfinden. Er fällt immer mehr in sich hinein. Der Mensch wird "altersdement", oder fällt in das, was man als "Alzheimer" bezeichnet, wenn es sich bei ihm leiblich in nicht mehr aufrecht erhaltenen Gehirnsynapsen manifestiert.