Wir
Menschen sind die klügsten Tiere, aber die dümmsten Engel. Wir sind
diesen reinen Geistwesen völlig unterlegen, und deshalb wird in der
katholischen Tradition die Ursünde - der Abfall des höchsten Engels,
Luzifers - mit der Ursünde des Hochmuts, des Neids in Verbindung
gebracht. Denn er hatte Kenntnis, daß Gott selbst beabsichtigte, auch
Mensch zu werden. Einem solchen "unterlegenen" Wesen wollte sich Luzifer
nicht unterwerfen, also rebellierte er. Und riß einen großen Teil der
Engel mit sich. Nämlich jenen Teil, der ihm auf eine Weise direkt in
Gehorsam beigeordnet, untergeordnet war. Denn das Wesen der Erkenntnis
und damit der Teilhabe am Wissen Gottes ist immer hierarchisch,
gewissermaßen also autoritär.
Ein
wenig kann man Engel verstehen, wenn man den Unterschied zwischen Tier
und Mensch ansieht. Wir können Engel in etwa so erkennen, wie das Tier
uns erkennt. Sie sind völlig unterschieden, reine Geistwesen, nicht an
die Sinne gebunden wie wir, und deshalb keinen physikalischen Gesetzen
unterworfen. Beim Tier ist es in umgekehrtem Sinn genau so: Es wird nie
Geist haben, also nie Zugang zu unserer Sphäre haben. Der Mensch ist
dieses seltsame Zwischenwesen, das einerseits Leib hat, andererseits der
Geisteswelt zugehört. Wir sind dem gesamten materiellen Universum damit
überlegen, denn wir können denken, geistig erkennen. Damit können wir
den Sinn von etwas aus der (an die Materie gebundenen) Zeit herausheben,
ins Ewige heben, erkennen, und danach bewußt und schöpferisch handeln.
Aber
gibt es einen Weg, schöpferisch zu handeln, ohne der Grammatik des
ewigen Geistes zu folgen? Peter Kreeft macht es bildlich: Die Hölle ist
voll von Menschen die singen "I did it my way". Der Himmel hingegen von
Menschen, die singen "I did it his way." Glück und Gehorsam sind
untrennbar verbunden. Der Mensch hat nicht die Potenz, eine Schöpfung
herzustellen, wenn er sich nicht innerhalb der schöpferischen Kraft
Gottes bewegt. Wo immer er das glaubt muß er scheitern. Und die
Geschichte zeigt genau das.
Kann
man Engel sehen? Natürlich nicht! Es sei denn, sie bedienen sich einer
gewissen Gestaltnehmungskraft, die wesentlich mit dem
Vorstellungsvermögen des Menschen zu tun hat. Aber an sich sind sie
Geister, und deshalb kategorial nicht sichtbar. Sie sind an keine
physikalischen Gesetze gebunden, wenngleich innerhalb derselben am
ehesten mit gewissen Erkenntnissen der Quantenphysik beschreibbar, als
Metapher, als Sinnbild. Auch in der Quantenphysik kann man
Elementarteilchen nicht "an einem Ort" feststellen, sie wechseln simultan
von einem Ort an einen anderen, ohne daß es ein "Dazwischen" einer
Ortsänderung gäbe. Man wird sie also niemals photographieren können,
alle Darstellungen, die sich Menschen einfallen haben lassen, sind nur
Symbole ihrer Eigenschaften, und nur als solche sind sie - wenn
überhaupt, das hängt von ihnen ab - "sichtbar". Sie bedienen sich dann
dieser Symbole, um sich uns zu erkennen zu geben.
Dennoch
gibt es ein scharfes Kriterium, wie sie von bloßen Einbildungen und
Täuschungen zu unterscheiden sind. Ein jüdisches Wort sagt, daß man die
Echtheit von Engelserscheinungen daran erkennen kann, daß man sie zu
einem Gastmahl einlädt. Denn Engel sind äußerst "höflich", sie werden
eine Einladung nie ausschlagen. Wenn sie dann weg sind kann man
nachschauen, ob etwas von dem angebotenen Essen "weg" ist - oder nicht.
Jesus macht es vor, er ist als Auferstandener auch keine bloße
Einbildung oder Sinnestäuschung. Deshalb verlangt er immer Essen. Und
wenn er wieder verschwindet, ist auch das Essen verschwunden. Der Fisch
aufgegessen, das Brot verzehrt.
Natürlich
kann man auf eine Weise sagen, daß Engel an manchen Herrlichkeiten nicht
teilhaben können, wie es der Mensch kann. Sie können nicht das Aroma
eines saftigen Steaks "medium" genießen, sich an den Farben von
Sommerblumen erfreuen, den Duft frisch geschnittenen Grases einatmen,
oder sich am fruchtigen Abgang eines 1988er Bordeaux-Weines begeistern,
den man noch Stunden nach dem Schlucken im Mund zu haben meint.
Vielleicht
war das sogar ein Grund der gefallenen Engel - Eifersucht auf das, was
der Mensch kann, dieses so unterlegene Wesen, das aus "niedrigen"
Dingen so viel Gewinn ziehen kann. Und wir selber denken ja auch oft so,
daß Engel einen Nachteil haben: Sie sind menschlicher Geist, ohne die
Möglichkeiten der Leiblichkeit zu haben. Wir befinden uns nach dem Tod
in einer vergleichbaren Situation: Wenn wir den Leib verlassen und nur
Geist-Seele sind. Ein schrecklicher Verlust, den wir schon insofern
erfahren, als wir nur Menschen sind, wenn wir BEIDE Dimensionen haben.
Wir sind nicht Engel, wir sind aber auch nicht nur Tiere. Die gesamte
Sinneswelt fehlt uns.
Aber
trotzdem sind Engel nicht wie menschliche Seelen ohne Leib. Denn sie
haben als Geistwesen vollkommene Persönlichkeit! Die haben wir nicht,
solange wir keinen Leib haben. Engel sind sogar (wie Thomas v. Aquin
sagt) so vollkommen, daß jeder wie eine eigene Art ist. Der Erzengel
Michael und der Erzengel Gabriel sind also so unterschieden, wie Hund
und Katze. Denn Geist sein heißt auch, Persönlichkeit zu sein (zu
haben). Man sieht es an der Tierwelt. Hunde sind mehr wie wir, wie es
Regenwürmer sind. Deshalb haben sie auch im Verhältnis zum Wurm mehr
Persönlichkeit, also ein "für sich stehen". (Den Wurm kann man sogar in
Teile schneiden, und aus jedem wird wieder ein Wurm - so wenig "ein
Ganzes", das von einem eigenständigen Ich bestimmt ist und diesem Ich
angehört, ist er also.)
Auch
darin haben wir also eine Sonderstellung. Denn im Geist (hier: wie die
Engel) sind weit mehr Möglichkeiten der Individuierung und damit der
Unterscheidung möglich, als in rein materiellen Dimensionen. Kreeft führt
ein Beispiel an, wie wir diese Hierarchie an uns selbst erkennen
können: Wenn wir innere, geistige Schmerzen leiden, sagen wir:
Verzweiflung fühlen, dann schlagen wir mit dem Kopf an die Wand, oder
reißen uns Haare aus. Warum? Weil uns dieser niedere Schmerz von dem weit
höheren, dem geistigen Schmerz, ablenkt.
Deshalb
lehnen manche auch die Vorstellung ab, die Hölle sei nur mit physischen
Schmerzen (ausschließlich) verbunden. Die geistigen Schmerzen in der
Hölle sind weit weit größer! Und wir können ihnen nicht mehr
entfliehen.
Erst
wenn wir begreifen, daß Engel jeweils sehr eigene Persönlichkeiten
haben, können wir auch verstehen, warum jeder einen Schutzengel hat. Nur
bei eigener Persönlichkeit können sie zwischen Hans, Peter, Elisabeth
und Martha unterscheiden, und je anders einwirken. Und jeder Mensch hat
einen eigenen Schutzengel! Der einerseits immer vor Gottes Angesicht
steht (weil reiner Geist ist), und deshalb die geistige, die
entscheidende Tragweite unseres menschlichen Insgesamts weit besser
erkennen kann als wir es meist können. Schutzengel sind gleichzeitig
damit im Himmel, wie auf der Erde. Sie haben die Fähigkeit der
"Bilokation", wie es von manchen Heiligen bekannt ist.
Es
ist zwar nicht im strengen Sinn Lehre der Kirche, wie die Tatsache, daß
jeder Mensch einen individuellen Schutzengel hat, aber es ist logisch
anzunehmen, daß auch jeder Mensch einen persönlichen Dämon hat, mit dem
die Hölle ihn zu sich ziehen will. Beide (sehr individuellen) Engel
kämpfen somit um den ihnen zugeteilten Menschen. Das Bild, daß an je
einem Ohr der Engel hier, der Dämon dort hängt und einzuflüstern
versucht, ist also ziemlich zutreffend. Der eine will unser Sein, der
andere unsere Nichtung, und es liegt an uns, wem wir folgen. Der Beginn
jeder Heiligkeit liegt deshalb an unserem Geist: Wem folgen wir, auf wen
hören wir?
Wonach
entscheiden wir? Nach unserem Verstand, nach unserem Urteilsvermögen.
Deshalb ist unsere Erkenntnis, unser Verstand so entscheidend, denn er
stellt uns das Ziel vor Augen - hier, wie dort. Das macht klar, daß unser
Erkennen des Wahren immer in einem gewissen Übergewicht sein muß im
Verhältnis zur Versuchung. Unser Streben nach Wahrheit muß immer in
einem adäquaten Maß zu dem stehen, das auf uns als Gedankenwelt
einströmt. Denn diese müssen wir unterscheiden, einordnen, und unsere
Handlungsoptionen bewerten. (Das macht die Verführung von Kindern zum
Übel so verwerflich, wie Jesus auch sagt.)
Unsere
wahren Feinde sind also nicht Atheisten, oder Terroristen, oder
Islamisten, oder "planned parenthood" etc. Unsere wirklichen Feinde sind
Dämonen!
Aber
wir haben nicht nur individuelle Feinde, wir haben auch kollektive
Feinde. Engel müssen also auch in soziale oder politische Ebenen
eingeflochten sein. Auch die Bibel spricht davon. Jede Nation hat sogar
einen Engel! Denn wenn die Engellehre überhaupt einen Sinn haben soll -
als Initialmächte der Welt, der Schöpfung nämlich! - dann muß man davon
ausgehen, daß jede relevante Erscheinung auf allen Ebenen der Welt auch
einen Engel (oder eben: einen Dämon) im Hintergrund (der sogar mit
seiner Ursprünglichkeit verbunden ist und sie "zur Welt bringen" will,
das ist sein Wesen) hat, dessen Angelegenheit sie ist.
Was
aber nicht heißt, daß alles, was es gibt, auch wirklich einen Engel im
Hintergrund hat. Vielleicht kann man sogar - wie bei politischen
Parteien - je darauf schließen, daß etwas seinen Ursprung im Geist
Gottes hat (also damit: als mit einem Engel verbunden ist, der es zur
Realisierung treiben will), wenn man NICHT seine Existenz und Bedeutung
jeden Moment (Propaganda!) in der flüchtigen Wort- und Gedankenwelt der
Menschen BEHAUPTEN muß.
Moral
ist immer ein Gemengelage von sozialen und individuellen Motiven. Also
damit immer eine Angelegenheit des Kampfes von Engel und Dämonen auf
unterschiedlichen Ebenen menschlicher Existenz. Das kann man nie
trennen.
Morgen Teil 2)
*250519*
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