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Dienstag, 16. Juli 2019

Vom Wesen und Bedeutung der Engel (1)

Wir Menschen sind die klügsten Tiere, aber die dümmsten Engel. Wir sind diesen reinen Geistwesen völlig unterlegen, und deshalb wird in der katholischen Tradition die Ursünde - der Abfall des höchsten Engels, Luzifers - mit der Ursünde des Hochmuts, des Neids in Verbindung gebracht. Denn er hatte Kenntnis, daß Gott selbst beabsichtigte, auch Mensch zu werden. Einem solchen "unterlegenen" Wesen wollte sich Luzifer nicht unterwerfen, also rebellierte er. Und riß einen großen Teil der Engel mit sich. Nämlich jenen Teil, der ihm auf eine Weise direkt in Gehorsam beigeordnet, untergeordnet war. Denn das Wesen der Erkenntnis und damit der Teilhabe am Wissen Gottes ist immer hierarchisch, gewissermaßen also autoritär.

Ein wenig kann man Engel verstehen, wenn man den Unterschied zwischen Tier und Mensch ansieht. Wir können Engel in etwa so erkennen, wie das Tier uns erkennt. Sie sind völlig unterschieden, reine Geistwesen, nicht an die Sinne gebunden wie wir, und deshalb keinen physikalischen Gesetzen unterworfen. Beim Tier ist es in umgekehrtem Sinn genau so: Es wird nie Geist haben, also nie Zugang zu unserer Sphäre haben. Der Mensch ist dieses seltsame Zwischenwesen, das einerseits Leib hat, andererseits der Geisteswelt zugehört.  Wir sind dem gesamten materiellen Universum damit überlegen, denn wir können denken, geistig erkennen. Damit können wir den Sinn von etwas aus der (an die Materie gebundenen) Zeit herausheben, ins Ewige heben, erkennen, und danach bewußt und schöpferisch handeln.

Aber gibt es einen Weg, schöpferisch zu handeln, ohne der Grammatik des ewigen Geistes zu folgen? Peter Kreeft macht es bildlich: Die Hölle ist voll von Menschen die singen "I did it my way". Der Himmel hingegen von Menschen, die singen "I did it his way." Glück und Gehorsam sind untrennbar verbunden. Der Mensch hat nicht die Potenz, eine Schöpfung herzustellen, wenn er sich nicht innerhalb der schöpferischen Kraft Gottes bewegt. Wo immer er das glaubt muß er scheitern. Und die Geschichte zeigt genau das.

Kann man Engel sehen? Natürlich nicht! Es sei denn, sie bedienen sich einer gewissen Gestaltnehmungskraft, die wesentlich mit dem Vorstellungsvermögen des Menschen zu tun hat. Aber an sich sind sie Geister, und deshalb kategorial nicht sichtbar. Sie sind an keine physikalischen Gesetze gebunden, wenngleich innerhalb derselben am ehesten mit gewissen Erkenntnissen der Quantenphysik beschreibbar, als Metapher, als Sinnbild. Auch in der Quantenphysik kann man Elementarteilchen nicht "an einem Ort" feststellen, sie wechseln simultan von einem Ort an einen anderen, ohne daß es ein "Dazwischen" einer Ortsänderung gäbe. Man wird sie also niemals photographieren können, alle Darstellungen, die sich Menschen einfallen haben lassen, sind nur Symbole ihrer Eigenschaften, und nur als solche sind sie - wenn überhaupt, das hängt von ihnen ab - "sichtbar". Sie bedienen sich dann dieser Symbole, um sich uns zu erkennen zu geben. 

Dennoch gibt es ein scharfes Kriterium, wie sie von bloßen Einbildungen und Täuschungen zu unterscheiden sind. Ein jüdisches Wort sagt, daß man die Echtheit von Engelserscheinungen daran erkennen kann, daß man sie zu einem Gastmahl einlädt. Denn Engel sind äußerst "höflich", sie werden eine Einladung nie ausschlagen. Wenn sie dann weg sind kann man nachschauen, ob etwas von dem angebotenen Essen "weg" ist - oder nicht. Jesus macht es vor, er ist als Auferstandener auch keine bloße Einbildung oder Sinnestäuschung. Deshalb verlangt er immer Essen. Und wenn er wieder verschwindet, ist auch das Essen verschwunden. Der Fisch aufgegessen, das Brot verzehrt.

Natürlich kann man auf eine Weise sagen, daß Engel an manchen Herrlichkeiten nicht teilhaben können, wie es der Mensch kann. Sie können nicht das Aroma eines saftigen Steaks "medium" genießen, sich an den Farben von Sommerblumen erfreuen, den Duft frisch geschnittenen Grases einatmen, oder sich am fruchtigen Abgang eines 1988er Bordeaux-Weines begeistern, den man noch Stunden nach dem Schlucken im Mund zu haben meint. 

Vielleicht war das sogar ein Grund der gefallenen Engel - Eifersucht auf das, was der Mensch kann, dieses so unterlegene Wesen, das aus "niedrigen" Dingen so viel Gewinn ziehen kann. Und wir selber denken ja auch oft so, daß Engel einen Nachteil haben: Sie sind menschlicher Geist, ohne die Möglichkeiten der Leiblichkeit zu haben. Wir befinden uns nach dem Tod in einer vergleichbaren Situation: Wenn wir den Leib verlassen und nur Geist-Seele sind. Ein schrecklicher Verlust, den wir schon insofern erfahren, als wir nur Menschen sind, wenn wir BEIDE Dimensionen haben. Wir sind nicht Engel, wir sind aber auch nicht nur Tiere. Die gesamte Sinneswelt fehlt uns. 

Aber trotzdem sind Engel nicht wie menschliche Seelen ohne Leib. Denn sie haben als Geistwesen vollkommene Persönlichkeit! Die haben wir nicht, solange wir keinen Leib haben. Engel sind sogar (wie Thomas v. Aquin sagt) so vollkommen, daß jeder wie eine eigene Art ist. Der Erzengel Michael und der Erzengel Gabriel sind also so unterschieden, wie Hund und Katze. Denn Geist sein heißt auch, Persönlichkeit zu sein (zu haben). Man sieht es an der Tierwelt. Hunde sind mehr wie wir, wie es Regenwürmer sind. Deshalb haben sie auch im Verhältnis zum Wurm mehr Persönlichkeit, also ein "für sich stehen". (Den Wurm kann man sogar in Teile schneiden, und aus jedem wird wieder ein Wurm - so wenig "ein Ganzes", das von einem eigenständigen Ich bestimmt ist und diesem Ich angehört, ist er also.) 

Auch darin haben wir also eine Sonderstellung. Denn im Geist (hier: wie die Engel) sind weit mehr Möglichkeiten der Individuierung und damit der Unterscheidung möglich, als in rein materiellen Dimensionen. Kreeft führt ein Beispiel an, wie wir diese Hierarchie an uns selbst erkennen können: Wenn wir innere, geistige Schmerzen leiden, sagen wir: Verzweiflung fühlen, dann schlagen wir mit dem Kopf an die Wand, oder reißen uns Haare aus. Warum? Weil uns dieser niedere Schmerz von dem weit höheren, dem geistigen Schmerz, ablenkt. 

Deshalb lehnen manche auch die Vorstellung ab, die Hölle sei nur mit physischen Schmerzen (ausschließlich) verbunden. Die geistigen Schmerzen in der Hölle sind weit weit größer! Und wir können ihnen nicht mehr entfliehen. 

Erst wenn wir begreifen, daß Engel jeweils sehr eigene Persönlichkeiten haben, können wir auch verstehen, warum jeder einen Schutzengel hat. Nur bei eigener Persönlichkeit können sie zwischen Hans, Peter, Elisabeth und Martha unterscheiden, und je anders einwirken. Und jeder Mensch hat einen eigenen Schutzengel! Der einerseits immer vor Gottes Angesicht steht (weil reiner Geist ist), und deshalb die geistige, die entscheidende Tragweite unseres menschlichen Insgesamts weit besser erkennen kann als wir es meist können. Schutzengel sind gleichzeitig damit im Himmel, wie auf der Erde. Sie haben die Fähigkeit der "Bilokation", wie es von manchen Heiligen bekannt ist. 

Es ist zwar nicht im strengen Sinn Lehre der Kirche, wie die Tatsache, daß jeder Mensch einen individuellen Schutzengel hat, aber es ist logisch anzunehmen, daß auch jeder Mensch einen persönlichen Dämon hat, mit dem die Hölle ihn zu sich ziehen will. Beide (sehr individuellen) Engel kämpfen somit um den ihnen zugeteilten Menschen. Das Bild, daß an je einem Ohr der Engel hier, der Dämon dort hängt und einzuflüstern versucht, ist also ziemlich zutreffend. Der eine will unser Sein, der andere unsere Nichtung, und es liegt an uns, wem wir folgen. Der Beginn jeder Heiligkeit liegt deshalb an unserem Geist: Wem folgen wir, auf wen hören wir? 

Wonach entscheiden wir? Nach unserem Verstand, nach unserem Urteilsvermögen. Deshalb ist unsere Erkenntnis, unser Verstand so entscheidend, denn er stellt uns das Ziel vor Augen - hier, wie dort. Das macht klar, daß unser Erkennen des Wahren immer in einem gewissen Übergewicht sein muß im Verhältnis zur Versuchung. Unser Streben nach Wahrheit muß immer in einem adäquaten Maß zu dem stehen, das auf uns als Gedankenwelt einströmt. Denn diese müssen wir unterscheiden, einordnen, und unsere Handlungsoptionen bewerten. (Das macht die Verführung von Kindern zum Übel so verwerflich, wie Jesus auch sagt.) 

Unsere wahren Feinde sind also nicht Atheisten, oder Terroristen, oder Islamisten, oder "planned parenthood" etc. Unsere wirklichen Feinde sind Dämonen! 

Aber wir haben nicht nur individuelle Feinde, wir haben auch kollektive Feinde. Engel müssen also auch in soziale oder politische Ebenen eingeflochten sein.  Auch die Bibel spricht davon. Jede Nation hat sogar einen Engel! Denn wenn die Engellehre überhaupt einen Sinn haben soll - als Initialmächte der Welt, der Schöpfung nämlich! - dann muß man davon ausgehen, daß jede relevante Erscheinung auf allen Ebenen der Welt auch einen Engel (oder eben: einen Dämon) im Hintergrund (der sogar mit seiner Ursprünglichkeit verbunden ist und sie "zur Welt bringen" will, das ist sein Wesen) hat, dessen Angelegenheit sie ist. 

Was aber nicht heißt, daß alles, was es gibt, auch wirklich einen Engel im Hintergrund hat. Vielleicht kann man sogar - wie bei politischen Parteien - je darauf schließen, daß etwas seinen Ursprung im Geist Gottes hat (also damit: als mit einem Engel verbunden ist, der es zur Realisierung treiben will), wenn man NICHT seine Existenz und Bedeutung jeden Moment (Propaganda!) in der flüchtigen Wort- und Gedankenwelt der Menschen BEHAUPTEN muß. 

Moral ist immer ein Gemengelage von sozialen und individuellen Motiven. Also damit immer eine Angelegenheit des Kampfes von Engel und Dämonen auf unterschiedlichen Ebenen menschlicher Existenz. Das kann man nie trennen.


Morgen Teil 2)