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Donnerstag, 25. Juli 2019

Der Ort definiert das Leben (2)

 Teil 2) Die Anmerkung als notwendiger Exkurs über Gestalt




*Dieser Satz, diese Wahrheit wird leider heute völlig miß- beziehungsweise überhaupt nicht mehr verstanden. Er wird nämlich dahingehend interpretiert, daß wir uns immer erst um das "große Ganze" kümmern müssen, nicht um das kleine Lokale. Also - erst Globalisierung, dann wird auch das Regionale gut. Das ist genau das Gegenteil von richtig, es ist völlig falsch! Denn das ein Regionales, Proprietäres übersteigende Insgesamt, das jeweils alles Regionale in ein nächstes Überregionales, größeres Ganzes integriert, ist GAR NICHT im Erfahrungs- und Gedankenhorizont des je von ihm Eingeschlossenen. Es übersteigt dieses immer unendlich. Unendlich? Ja, weil es als Ganzes nicht in Teile auflösbar ist, und somit unserer Gestaltungsvollmacht gar nicht unterliegt. Vielmehr können wir immer nur in unserem ureigensten lokalen, regionalen, individuellen (etc.) Rahmen denken und handeln. 

Man kann allem Übersteigenden, allem Ganzen nur als "Gestalt" begegnen, der einzigen Rezeptionsform, die ein "Ganzes" erfassen kann. Aber jedes Ganze hat eben seine nächsten, eigenen Kategorien! Damit bleibt nur die "Ehrfurcht" als erkenntnisgemäße Haltung. (Das Erkennen ist immer ein Kommunizieren, ein personaler Akt, also ein wesensgemäßes Zueinander von Gestalten.) Das Ganze kann deshalb nur bestaunt, nie aber "gemacht" werden. (Weshalb Ehrfurcht vor allem Geschöpflichen, Dinglichen, Persönlichen die einzige wirklich menschengemäße Haltung ist.)

Ein Beispiel: Der Junge, der Schüler (etc.) kann nie die geistige Welt des Erwachsenen (Lehrers) zur Gänze in Gedankenkategorien auflösen, das heißt verstehen.* Das ist bestenfalls in abgegrenzten Teilen möglich. Das Ganze aber kann er als Gestalt aufnehmen und erinnern. (Man beachte die Rolle der Sympathie - siehe Max Scheler! - im Erkenntnisprozeß.) Allmählich und mit dem Grad der Reifung wird sich deren innere Grammatik (wie sie die Gestalt enthält beziehungsweise diese trägt) aus der Erinnerung heraus aneignen können, wenn auch nie ganz (weil alles Personsein heißt, Individuum zu sein: So etwas wie "seine eigene Art". So, wie jeder Ort schon das Individuelle bewirkt. Und nichts ist am selben Ort wie ein anderes.

Wer meint, das größere oder große Ganze machen zu können, ist wie ein Kind, das seinen Legobaukasten hat und nun meint, die Welt exakt so bauen zu können, daß sie wie die Welt "ist".

Die Katastrophe rund um den Aralsee ist das exakt illustrierende Beispiel: Hier wurde "im Großen" gedacht und gehandelt, und dabei alles Kleine zerstört, und damit erst recht das Große. Die Austrocknung des Aralsees hat bewirkt, daß sein zurückbleibendes, nun vom Wind verblasenes Salz (Wasservertrocknung) sogar die umgebende Landwirtschaft zerstört hat. Der Mensch kann nur im Kleinen (technisch) denken. Das Große wird sich ihm IMMER entziehen, es ist unendlich komplex.

Das, was unserer Gestalt direkt entspricht also. NUR indem wir somit in diesem kleinen, uns eigenen Horizont handeln, also im Rahmen unserer unmittelbaren Verwurzelung, gliedern wir uns in ein größeres Ganzes ein. Schon gar nicht also können wir in einem Rahmen denken und urteilen und handeln, der "das Weltganze" betrifft. Dieses ist von uns überhaupt nicht direkt adressierbar! Sondern nur, indem wir von den allerkleinsten Stufen unseres Daseins ausgehen und dieses erfüllen. Nur so berühren wir das nächste Umfassende. Hierein wiederum befinden sich alle Orte, alle Wesen in einer klaren Hierarchie, weil einem Zueinander, das nie "gleich" sein kann. (Denn "hier" ist nicht "dort", und sei es nur einen Millimeter daneben. Es gibt kein Ding, kein Wesen ohne nur ihm zubehörigen Raum.)

Zur Illustration: Nur wenn wir den Bohnenstrauch in unserem Garten wohl hüten und pflegen, ja in diesem Rahmen als unserem ersten Verantwortungs- und Aufgabenbereich denken, uns diesem kleinsten Rahmen verantwortlich sehen, wird die globale Flora berührt. Nur, wenn wir uns um unseren Vorplatz vor dem Haus, den Bäumen in unserer Straße widmen, wird das Kleinklima, das uns umgibt, angepaßt und verändert. Dort endet auch unsere Verantwortung, nur darum haben wir uns zu kümmern. Was das im größeren Ganzen, im Stadtklima, oder etwa gar im "Weltklima" ausmacht, werden wir überhaupt nie wissen, schon gar nicht beeinflussen können. 

Das Reden, daß wir das Weltklima nur global lösen und retten können und müssen, nicht durch individuelles Handeln und individuelle, direkte Verantwortung, ist also das hundertprozentige Gegenteil von der Wahrheit - es ist ein Irrtum, wenn nicht eine Lüge. Das "Weltklima retten" zu wollen wird also nicht nur mit absoluter Sicherheit völlig unberechenbare Wirkungen haben, sondern es wird sich vor allem an einem Punkt auswirken: Es wird LOKAL Störungen und Probleme verursachen.

Der jeweils größere Rahmen bestimmt zwar die Beziehungen der ihm zugewiesenen Teile, also der seiner Ordnung zubestimmten Orte und Teilorte, aber im Sinne einer Festlegung, nicht im Sinne eines "Tuns". Handeln, tun kann somit einerseits nur der ureigenste kleine Ort, anderseits kann er es nur im Rahmen einer Bestimmung vom größeren Ganzen her, der IHM sein Wesen gibt. Also - in der individuellen, "kleinsten" Wesenserfüllung beginnend. 




*Heimito von Doderer bezeichnet deshalb die (nachfreudianische) Psychologie, die genau das zu können von sich behauptet, als Geisteskrankheit.