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Sonntag, 8. September 2019

Britische Bildung, Religion, und Sex

Eine repräsentative Umfrage des British Social Attitudes Survey-Instituts hat Überraschendes ergeben, berichten die ChristianMediaDaily News: Erstmals seit diese jährlichen Erhebungen durchgeführt werden (1987), ist in der heurigen Umfrage der Prozentsatz der Befragten, die Homosexualität für akzeptabel und gut halten, zurückgegangen. Die Zahl der ablehnenden Meinungen liegt nun bei rund einem Drittel. In einem ähnlichen Ausmaß ist erstmals seit dreißig Jahren die Zahl derjenigen, die meinen, daß vor- und außereheliche Beziehungen akzeptabel seien, gesunken. Und das trotz einer offiziellen Attitüde, die diese Form von sexuellen Beziehungen so "normal" darstellt, ja, als normal zu akzeptieren verlangt, wie noch nie.

Das bemerkenswerte ist dieser Kipp-Punkt, der auf einen sich vorbereitenden Stimmungsumschwung in der Bevölkerung hinweisen könnte, der in einem (gar nicht so) erstaunlichen Gegensatz zur religiösen Stimmung steht. Somit vermutlich erst so richtig Fahrt aufnehmen wird.

Was zu weiteren Meldungen desselben Instituts führt. Denen gemäß in etwa demselben Zeitraum der Anteil an Engländern, die sich als christlich-anglikanisch) bezeichnen, von sechsundsechzig Prozent auf achtunddreißig Prozent gesunken ist. Bitte schön, dieser Rückgang heißt nicht nur ein Viertel aller Engländer, sondern ist als Generationenphänomen in der Gruppe der 18- bis 24jährigen sogar schon bei einem (EINEM) Prozent angelangt.

Während nicht-religiöse Eltern nämlich zu fast hundert Prozent nicht-religiöse Kinder haben, besteht auch bei Eltern, wo beide religiös sind, die Chance schon bei fünfzig Prozent. Was recht eindeutig auf den Charakter des kulturellen, gesellschaftlichen Umfelds hinweist. Die anglikanische Kirche fällt darin zusammen wie ein angestochener Luftballon. Die Reformation hat also ganze Arbeit geleistet, als sie die Kirche abschaffte, und steht in diesem Vorhaben kurz vor der Vollendung.

Während der Anteil derjenigen in der britischen Bevölkerung, die sich als "keiner Religion zugehörig" bezeichnen, von einunddreißig Prozent auf zweiundfünfzig Prozent stieg, wie der Guardian berichtet. Das heißt nicht "nicht religiös", das heißt aber: Nicht mehr definierbar, ohne transzendenten Gott, heidnisch, abergläubisch, okkult, etc. etc., aber natürlich auch atheistisch: Bereits EINER VON VIER Briten sagt, daß er "an keinen Gott glaubt". Die Zahl der Briten, die sich als "sehr oder extrem unreligiös" bezeichnen, ist sogar noch höher, wie immer man diese scheinbare Diskrepanz sehen muß: Sie ist in den letzten zwanzig Jahren von vierzehn Prozent auf dreiunddreißig Prozent gestiegen.

Dennoch sind zwanzig Prozent der "Religiösen" und achtundvierzig Prozent der "Nicht-Religionszugehörigen" der Meinung, daß die Kirchen und Religionen zu viel Macht haben. Dabei ist an fünf Fingern auszurechnen, daß bei einer fortgesetzten Entwicklung die Katholiken in England (mit derzeit knapp sieben Prozent, Tendenz aber erstaunlicherweise stabiler) die größte Sekte sein werden.

In jedem Fall steht zu vermuten, daß der Umschwung in der Sichtweise gewisser Formen liberaler Sexualitätsauffassung mit einem anderen Umstand als "nur" der Religion zu tun hat: Denn zwar wird der Anteil von nicht-christlichen Befragten analog zur Bevölkerungsentwicklung in England immer stärker - so stellen Muslime bereits sechs Prozent der Bevölkerung - aber das erklärt den Umschwung nicht unbedingt.

Man darf aber zu Recht vermuten, daß die Lage eines Zuwanderers die Fundamente des Lebens als Form von Kultur stärker ins Bewußtsein ruft, sich dabei aber von der Lage eines Einheimischen nicht mehr völlig unterscheidet. Sie verbindet die Suche, was inmitten einer aufgelösten oder (noch) nicht vorhandenen, entstalteten Welt Halt weil Gestalt geben kann. Somit wird nicht die mitgebrachte, der Herkunftskultur und -religion entstammende Wertewelt immer bedeutender, sondern auch ein Aufguß vergangener, aber nur noch fragmentarisch als Moral erinnerter Verhaltenswerte.

Das zeigen Umfragen auch hierzulande, wo sich nicht nur in der dritten Generation der Zuwanderer - also bei Menschen, die bereits hier geboren, aufgewachsen und ausgebildet wurden - eine ähnliche Stimmungslage zeigt, sondern auch unter Jugendlichen eine Kluft zwischen erhofftem Leben und den zeitgeistigen Lebensformen insbesonders in der Sexualität entstanden ist. Die jungen Menschen wollen alle ... Treue und eine traditionelle, stabile Familie.

Der aufgeklärte Liberalismus des Westens läßt eben nicht leben, er läßt nur irgendwie im Chaos vegetieren. Wie es ein ehemaliger Bewohner der DDR wo Sexualität und Lebensgeglücktheit in Reinform auseinanderklaffte, aus seiner Erinnerung schilderte: "Ach, bei uns haben die alle nur so herumgevögelt, mal der mit der, die mit dem, mal ist der zu der gezogen, drei Monate später woandershin, die hatte eine Abtreibung, die andere gleich drei, oder die hatte ein Kind mit dem, der mit der, alles war völlig durcheinander."

Beachte der werte Leser aber einfach auch mal die ihm greifbare Erfahrung seines Umfelds. Betrachte er einmal ein "modernes Familientreffen", und versuche er da noch einen Überblick über Verwandtschafts- und Eheverhältnisse bzw. Verbundenheitszusammenhänge zu gewinnen. Versucht er gar noch, Verantwortungs-, Verbindlichkeits- und Solidaritätsbeziehungen zu definieren, wird er angesichts eines unentwirrbaren Knäuels, das er vor Augen bekommt, vermutlich endgültig scheitern. Und dann vergleiche er das mit einem solchen Treffen von vor vierzig Jahren.

Somit kann es nicht verwundern, daß die natürliche (und anthropologisch begründete) Lebensführung recht sicher auch deutlicher die Mittel eines positivistischen Formenrechts in die Hand nimmt, weil die kulturelle Formung fehlt. Positivismus, wie er beispielsweise im Islam herrscht. Sodaß der am Christentum zu Unrecht kritisierte "Moralismus" als grundsätzliche (moralische) Haltung, von puritanistischen Einzelerscheinungen abgesehen, noch einmal als milde Menschenfreundlichkeit zurückersehnt werden könnte.

Übrigens - eine Rechtsordnung kann es nur auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Ordnung geben. Wo die Merkmale von "Beziehungen" nur noch in subjektivem Wollen (oder Nicht-Wollen) verankert sind, kann es Recht und Verantwortung gar nicht mehr geben. Wer aber will und kann wirklich so leben?

Da ist es also schon fast erstaunlich, aber umso aussagekräftiger, daß sechsunddreißig Prozent der Briten sagen, daß sie dem Schul-, und vierunddreißig Prozent, daß sie dem Rechtssystem vertrauen. Und überhaupt nicht erstaunlich, sondern der definitive Verweis auf den Kausalzusammenhang mit der Einstellung zu Sex, daß - mit jährlich steigender Prozentzahl - heute schon sechsundachtzig Prozent der Briten den Wissenschaftlern an Universitäten, und immerhin noch siebenundsechzig Prozent den übrigen Wissenschaftlern vertrauen. Die Aufklärung hat nicht die Autoritäten abgeschafft, das ist eine primitive, neidgetriebene Lüge. Sie hat sie ersetzt. Das Ergebnis liegt vor uns. Wir wissen so viel? Fragt sich: Wovon. Denn davon, wie ein Leben glücken kann, wissen wir so wenig wie noch nie. Das kann sich nun jeder irgendwo zusammenkratzen. Was aber soll "Kultur" dann noch sein?