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Samstag, 28. September 2019

Medjugorje als Mißbrauchsfall

Was ist das Typische an diesem (vom Charakter her so gar nicht vereinzelten) Fall, einer Kombination von Medjugorje und sexuellem Mißbrauch, der in Italien kräftig Wellen schlug? In dem es um Folgendes geht: Ein enger Vertrauter zweier der "Seher von Medjugorje", die angeblich seit 1981 täglich oder zumindest regelmäßig (und an allen Orten) Erscheinungen der "Gottesmutter Maria" (vulgo "Gospa") haben, wurde nun zahlreicher Fälle von schwerem sexuellem Mißbrauch angeklagt. Don Michele Barrone sitzt seither im Gefängnis, und die Indizien sprechen nicht gerade für ihn. Mittlerweile werden ihm sogar Verbindungen zur Mafia vorgeworfen. Denn der Priester hat auch gehörig Geld mit seinem "Service" gemacht. In dem er sich vor allem einen Ruf als Exorzist erworben hat.

Wie eng er mit Vicka und Mirjana aus Medjugorje zusammengearbeitet hat, dokumentieren nicht nur Videoaufnahmen, die zeigen, wie vertraulich die alle miteinander umgegangen sind, sondern auch ein sehr "frommes" Buch, das er zusammen mit Vicka geschrieben hat. Offensichtlich, so eine ironische Stimme, hat die Gottesmutter die Kinder zwar vor Abhörwanzen in ihren Räumen gewarnt, aber nicht vor diesem Wolf im Schafspelz, der bei manchen Erscheinungen (wie der am 2. Oktober 2014, am Video einsehbar) sogar höchst fromm neben Mirjana kniete. Padre Barrone ist der mit der Halbglatze.





Ein einmaliger Ausrutscher? Auch wenn er ziemlich häufig vorgekommen sein mag? Eher nicht. Denn diese Form der Neigung hat direkt mit Medjugorje und der speziellen Form der "Frömmigkeit" zu tun, die dort gepflegt wird. Denn Medjugorje ist von der Charismatischen Erneuerung nicht zu trennen, ja sie hängen geschichtlich eng zusammen, die Erscheinungen gehen auf eine Weise direkt aus der Depersonalisierung hervor, die in der Charismatik System hat. Und im Fall Medjugorje sogar direkt mit "Sensibilisierungsprogrammen" einher ging, wie Nachforschungen ergeben haben. 

Woher kommt aber diese Nähe solcher Subjektivismen zur Sexualität?  Wie kann es sein, daß speziell solche "Geistesbewegungen", von den protestantischen Sekten des 15. und 16. Jahrhunderts angefangen, bis zur heutigen Charismatik und allen Pfingstkirchen, gemeiniglich allesamt unter dem Begriff "Enthusiasmus-" oder "Erweckungsbewegungen" zusammenfaßbar, eine solche Nähe zu sexueller Uferlosigkeit und Mißbrauch aufweisen? Von der schon Gerhard Hauptmann in "Der Narr in Christo Emanuel Quint" ein so gut beobachtetes Romanzeugnis ablegt? 

Es hat zu tun mit der Grundbewegung des Subjektivistischen, die allen diesen Bewegungen zugrunde liegt. Darin zieht sich der Mensch auf ein "inneres Erleben" zurück, dem er höchste Autorität beimißt. Das ihn veranlaßt, selbst Autorität zu wählen, und dabei ein Urteilswerkzeug zur Hand nimmt, bei dem er wie in einer Tautologie von subjektiv generierten Intuitionen ausgehen muß. Er selbst erlebt, fühlt, "weiß intuitiv", was richtig und was falsch ist, ohne sich der Sache, die vor ihm liegt, zu unterwerfen, ja das darf er gar nicht. Denn sonst verliert er die Herrschaft über sein Urteil. 

Diese Loslösung vom Außen, die dadurch stattfindet, löst ihn auch von allem, was als Kultur das Material ist, das einem Menschen zur Persönlichkeit macht. Die knapp als Fähigkeit beschrieben werden kann, äußere Form zu tragen und zu ertragen (in der Begegnung mit anderen Formen), und damit Gestalt zu sein. Was nur innerhalb einer Kultur und deren Formenspiel gemäß möglich ist. 

Der religiöse, aber jede Form von Subjektivismus, führt also in eine Auflösung der Form, was selbst an der Kleidung abzulesen ist. Jedes Formgebot des Moments - nur das aber wäre das Medium einer Begegnung - wird zugunsten eines im Augenblick empfundenen Gefühls abgelegt. Kurz gesagt: Der Subjektivist beginnt, mit seiner Selbstauflösung, die ihn die Spannung von Form nicht mehr ertragen läßt, zugunsten eines Gefühls (von "Liebe", Sympathie etc.) auch von allen Begegnenden eine solche Formenauflösung zu verlangen. Er impliziert dazu eine neue Ethik, eine neue Moral der "Unkompliziertheit" und "Direktheit", bei der jede Form nur hinderlich ist.

Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit dem Abräumen aller Gestaltmomente, die - wie in der Kultur, ja das ist das Wesen von Kultur - als tief innerliche, aber noch nie wirklich geformte (also im Rahmen eines Ganzen einer Person als Persönlichkeit auf ein vernünftiges Ziel informierte) Antriebe im Diffusen beläßt. Sie stehen nicht mehr unter der Herrschaft der Vernunft (die bestenfalls durch Moralismus ersetzt wird, wie man beim Puritanismus so gut sieht) und unterliegen damit zufälligen, im Augenblick einlangenden Anregungen. Die sie zum Heraustreten animieren, ohne daß dieses Heraustreten noch durch Formung der Vernunft unterliegt (wie es in der Tugend - und Kultur ist praktisch immer Tugend - ein immanentes, zur Haltung gewordenes Geschehen ist).

Gleichzeitig werden diese aufplatzenden, herausplatzenden Gefühle zum Kriterium des Urteils. Das nunmehr irrt und den offensichtlichen Widerspruch zur bisherigen beziehungsweise überkommenen Moralordnung durch "höheren Auftrag" rationalisiert. Somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der subjektivistischen Frömmigkeit, die immer einen Defekt im Gehorsam zur Grundlage hat (also den Ort nicht achtet, an dem der Mensch steht,) eine sexuelle, ja eine gewaltsame Ausrichtung (beides in einer jeweiligen Mischung) beimischt. 

Da wird dann, wie im Fall Barrone, ein Mädchen, das sich dem Priester, der es von seinen Dämonen durch Exorzismus zu befreien verspricht und durch eine entsprechende Umgebung, die Saga, den Ruf, die Herkunft oder den Konnex (wie in dem Fall: Mit Medjugorje, wo die Gottesmutter selbst zu jeder Mißachtung kirchlicher Autorität angeregt hat) in seiner Autorität überzeugend gestärkt wird, das sich also diesem Priester sehr weitgehend ausliefert. Also auf die eigene Vernunfthoheit verzichtet, denn die eigene Vernunft ist durch die attestierte "Dämonie" zweifelhaft. Und sich dabei in ihrem Persongrund einer fremden Herrschaft erst recht öffnet. In sehr vielen, wenn nicht in allen Fällen (auf die eine oder andere Art) sogar durch den in der Charismatik obligatorischen Schritt der "Lebensübergabe" initiiert, der regelrecht identisch ist mit einer Form der Persönlichkeitsaufgabe, als der Bereitschaft, sie aufzulösen oder auflösen zu lassen.

Der Priester wiederum erlebt sich in einer fast allmächtigen, gottgleichen Position, die - weil er selbst ungeformt ist - sehr rasch und unmittelbar auf seine sexuelle Kraft aufprallt und diese aktiviert. So erfahren beide, Priester wie um Befreiung Bittender, die sexuelle Komponente als die einzige, nun real werdende Form, die wie von selbst aufsteht, weil die geschlechtliche Form (Mann und Frau) auch die Form ist, die selbst bei konkreter Nacktheit noch Form bleibt und deshalb zum Selbstvollzug (aus der Begegnung von Gestalten) anwegt. Kurz: Wo alle Form sich auflöst, bleibt beim Menschen immer noch die Form als geschlechtlicher Körper übrig. Formauflösung* mündet daher immer (sic!) in irgendeiner Form von sexueller Praktik oder Gewalt.

Die noch dazu in einem zweitwirklichen Rahmen (es ist nämlich NICHT die Kirche, der man sich im Gehorsam unterwirft, sondern deren Simulation durch für sich stehenden Gebrauch von deren Mitteln) der "rechten Ordnung" - hier Priester und damit Kirche, dort subjektives Empfinden - auftritt.  

Was wirklich nun geschieht braucht in der Regel viel Zeit, um rekognosziert zu werden. Es braucht Abstand und Konsolidierung der Persönlichkeit, wie sie oft der Alltag, in den man zurückkehrt, wieder zu geben vermag, um vor dem objektiven, also an der Sache ausgerichteten Auge der Vernunft zu sehen, was passiert ist. Das ist einer der Gründe, warum Mißbrauchsopfer oft erst Jahre nach den Vorfällen darüber adäquat sprechen, also denken können. Mit allen Gefahren wie einer falschen Bildhaftigkeit, weil die Erinnerung vielfach nur von Gefühlen gestützt die ihr zupassenden Bilder wieder herstellen muß, und die Nähe zur Phantasie auch eine gefälschte Erinnerung sehr möglich macht. 

Hier schließt sich der Kreis aus den beiden Bereichen, aus Medjugorje als Phänomen der Charismatik und sexuellem Mißbrauch oder zumindest sexueller Entgleisung. Wie sie gerade bei den ersten Proponenten, vor allem den franziskanischen Priestern von Medjugorje, in auffälligem Maß vorgefallen ist. 

Der auch Medjugorje nicht einfach zu einem Betrugsfall macht (und das Urteil der jugoslawischen Bischöfe diesbezüglich war eindeutig und von Anfang an klar: Es ist Betrug!), zum wohl größten Betrugsfall in der Geschichte der Katholischen Kirche, sondern auch zu einem beispiellosen, aber typischen und von der Typologie her keineswegs überraschenden Fall eines gigantischen Mißbrauchs von Millionen von Menschen. Die herkamen und -kommen, um sich mißbrauchen zu lassen. Um zu jenen Gefühlen zu gelangen, die ihnen die "Gewißheit vor ihrem inneren Urteilsforum" vermitteln, daß ihr Leben gottgefällig ist. Und kirchentreu, weil sie deren Praktiken (Beichte, Messe, Gebet, vor allem Rosenkranz) beherzigen. Ohne zu merken, daß sie diese wie magische Mittel einsetzen.




*Übrigens trifft das auch bei Konstellationen zu, in denen totale/totalitäre Gewalt über jemanden ausgeübt wird. Auch das ist oft von einer Weise der Formauflösung begleitet. Wie bestimmte Gefangenen- und Überlegenheitssituationen belegen.