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Freitag, 6. September 2019

Wo der Genderismus begann (2)

Teil 2)



Warhols Pop-Art hat - und das war seine historische Bedeutung - die Avantgarde beendet, ja ermordet, die über hundertfünfzig Jahre einen oft heroischen Weg der Suche nach neuen Wegen gegangen war. Mit Warhols Pop-Art (auch Lichtenstein ist zu nennen) hob sich die traditionelle Kluft zwischen der hohen Kunst und der Alltagskultur auf. So, wie es Bowie in seinem Bereich ebenfalls gemacht hat. Warhol hatte zur Folge, daß die Avantgarde es ihm gleich machte, und Vorhandenes verfremdete und zerstörte. Aber das war nicht mehr Avantgarde! Denn diese muß immer einen (hohen) Preis kosten, muß Frucht einer schöpferischen, durchlittenen Qual am Gewesenen sein, nur so hat sie inneren Wert. So aber wurde alles nur noch Spiel mit den Galerien, den Moden und Kunstmärkten. 

Darin sind auch die Eliten in einen abscheulichen Provinzialismus gestürzt. Alles begann in political correctness und Klischees zu ersticken. Wirklich Neues gibt es seither in der Kunst nicht mehr. Die Kreativität ist aber in andere Bereiche abgewandert, in Animationsfilme, in die Entwicklung von Computer-Spielen und ins Industrie-Design. Dort hat sie auch bei ihren Studenten noch Konzept und formale Gestaltung gesehen, die aus der traditionellen bildenden Kunst aber geflohen ist.

Interessant sind ihre Ansichten über die Rolle der Freien Rede, auch und gerade in einer Demokratie. Sie meint, daß es ohne freie Rede Demokratie gar nicht geben kann, und die Tatsache, daß sie aus den Universitäten verschwunden ist, ist ein regelrechter Skandal. (Aber wie soll es sie geben, wenn die "neue Moral" alles zensiert wissen will?) Der die Korrumpiertheit der Verwalter-Klasse beweist, die die Universitäten dazu benutzen, ihren Interessen zu dienen. Die Fakultäten haben jede Macht verloren, ihre Programme selbst zu gestalten, sondern werden von überbezahlten, allmächtigen Verwaltungsbossen gesteuert. Sie sind die eigentlichen Antriebe hinter der Versumpfung der Universitäten in political correctness. 

Aber auch unter den Professoren ist eine schreckliche Entwicklung festzustellen. Sie begreifen oft nicht mehr, daß die Klasse, vor der sie stehen, nicht ihr Versuchslaboratorium für ihre persönlichen Ideologievorlieben sind. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen ihrer Meinung (die man natürlich auch äußern kann oder soll, keine Frage, aber als solche erkennbar!), und dem eigentlichen Stoff, den sie vortragen sollen. Dem gegenüber jeder Student die Freiheit haben muß, jede, wirklich jede Position einzunehmen, die ihm richtig erscheint. Paglia findet es schockierend, daß stattdessen die Lehrenden immer mehr dazu übergegangen sind, den Studenten ihre Sichtweisen aufzuzwingen, ja sie damit zu tyrannisieren. 

Das hat damit zu tun, meint Paglia, daß jede Idee, jeder Maßstab verloren gegangen ist, wie Bildung und wie universitäre Lehre auszusehen habe. Und sie sagt das, obwohl sie selbst sich als Feministin bezeichnet, die seinerzeit auf Yale sogar die einzige war, die den Mut hatte, über Geschlecht zu dissertieren - aber das Übel begann mit den Gender-Studienrichtungen. Die mit einem Fingerschnipsen der Verwaltung über Nacht eingeführt wurden, in welchen Wiedergutmachung für die vormalige Ausgrenzung oder Unterrepräsentanz von Frauen an vielen Fakultäten geleistet werden sollte. Zuerst war alles nur eine Schaufensteraktion, in der man nach außen signalisieren wollte, daß man nun alles besser machte. Also schaufelte man Geld zu einigen Frauen und bedeutete ihnen, sie sollten nun einfach ihren eigenen Weg finden, "Frauenstudien" zu schaffen.

Damit erfand man von heute auf morgen einen Studienzweig, der aber viel konzeptionelle Vorüberlegung gebraucht hätte. Was an Ausbildung sollte angeboten werden, was sollte an Wissen über Anthropologie, Sozialgeschichte oder Biologie vermittelt werden. Gerade Letzteres! Denn heute fragt man sich wie es möglich war, "Gender-Studiengänge" anzubieten, ohne irgendeinen Bezug zu Biologie zu etablieren!? Heute kann man "Gender" studieren, ohne auch nur ein Semester Biologievorlesungen besucht zu haben! Stattdessen erklärt man Biologie für irrelevant für das Thema. Man hat nicht einmal einen verbindlichen Lektüre-Kanon festgelegt, den jeder Studierende kennen muß. 

Die Folgen waren vorhersehbar: Heute sind die Gender-Fakultäten so etwas wie das Politbüro der Universitäten. Und die exzessivsten Ansichten der Gender-Studien sind ins reale Leben übergeschwappt. Das hat - nicht zu Unrecht - dazu geführt, daß sich weltweit (Paglia nennt Ungarn) Widerstand regt und Gender-Studien von den Universitäten verbannt werden sollen, weil sie kein universitäres Fach, sondern Ideologie sind. Das entspricht genau ihren Beobachtungen, meint Paglia: Wenn die Linke Probleme nicht sehen will, sondern unter den Teppich kehrt, tauchen die in den Untergrund ab, und schlagen über die Rechten als Gegenkraft zurück. 

Das gilt auch für die Medien, die dazu neigen, linke Fehler zu verschweigen und Meldungen dazu zu unterdrücken. Die damit sogar rechten Extremismus regelrecht produzieren. Sie bezeichnet sich als Demokrat (Clinton), aber sie war nicht überrascht, daß Donald Trump die Wahlen gewonnen hat. Die Linke hat es ihm nämlich leicht gemacht, weil sie ihre Fehler (man denke an die Verbindungen zu Goldman Sachs) verheimlicht statt angesprochen hat, Dinge gemacht und zugelassen, die ihren vorgeblichen Idealen widersprochen haben - und das ist ihr auf den Kopf gefallen.

Auch die Art der TV-Shows ist da wenig förderlich. Sie leben von einer Inszenierung, in der sie unbedingt Konterparts wollen und aufbauen. Noch vor einigen Jahrzehnten war es möglich, in einer öffentlichen Diskussion jedes Argument zu bringen, das angebracht schien. Heute wird alles sofort in eine Schublade gesteckt, und nur diese muß man dann bedienen. Das ist einer Diskussionskultur, die letztlich doch auf "gute Ideen" oder gar "Konsens" abzielen sollte, absolut tödlich. Heute weiß jeder schon (oder gibt vor zu wissen) was jemand sagt, da hat der noch nicht einmal seinen Mund aufgemacht.

Dabei sind doch die meisten Standpunkte der Menschen viel flexibler als man meint! Die Menschen sind gar nicht so polarisiert und in kindischen Oppositionshaltungen einbetoniert, wie oft behauptet wird. Das richtet sich als Kritik vor allem an die Produktionsassistenten (in den USA "assistant producers"), die mit ihren "dramaturgischen Anweisungen" diese Polaritätsunkultur eingeführt haben und heute daran festhalten, weil es angeblich Quote bringt. Sie selbst geht deshalb in keine Talk-Show mehr. Und der VdZ, der vor etlichen Jahren die gleichen Erfahrungen gemacht hat, handhabt es genauso. Man kriegt dort eine Position übergestülpt, und ist nur als solcher dann interessant und wird (bis hin zu Kameraeinstellungen oder gesteuerten Publikumsreaktionen) nur als solcher dann präsentiert. 

Diese Erfahrungen haben Camille Paglia zur Ansicht geführt - sie ist auch Professor für Medienstudien - daß der Journalismus in den USA heute tot und ein stinkender Leichnam ist.

Morgen Teil 3)