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Donnerstag, 12. September 2019

Von Stalin, Hitler, und deutschen Mythen-Verkäufern (2)

Teil 2)



Wenn Deutschland den Krieg verloren (nicht Rußland ihn gewonnen) hat, wird aber auch Stalins Rolle gar nicht begreifbar. Sie wird immateriell, gewissermaßen. Und das entspricht so überhaupt nicht der Realität. Man sagt in Zeiten wie diesen, wo Geschichte als materialistischer, mechanistischer Ablauf von Umständen und (auch sozialen) Gegebenheiten gedeutet wird, vielfach, daß Geschichte nicht von Männern, sondern von Umständen gemacht werde, zu denen zufällig Männer dazustoßen. Das ist ein Irrtum.  Ja, es gibt diese Faktoren - Wohlstand, Geld, Demographie, Landschaft, Geographie, Rohstoffe etc. Aber das alles bewegt sich nicht von selbst! Es sind immer noch einzelne Männer, Politiker, die dann mit diesen Umständen umgehen und Geschichte formen.

Ja, Stalin war schlecht auf das Unternehmen Barbarossa im Juni 1941 vorbereitet. Er wußte NICHT, was Hitler vorhatte, der Mythos vom großen Spion ist erfunden, und der Informationsstand der innersten Kreise in Moskau war nicht besser genährt als die Gerüchteküche in Berlin, Bunkelsburg an der Kleinen Fitzel, oder Paris an der Großen Seine. Der für die damalige Zeit fast gigantisch-überlegene Rüstungsstand der Roten Armee, mit grotesk hohen Beständen an Kriegsmaterial - denn Stalin hatte seit den frühen 1930er Jahren Deutschland (und überhaupt dann Hitler) "erwartet", allein die Zahl der Panzer war der der deutschen Wehrmacht um das Achtfache überlegen - waren durch eine inkompetente Führung strategisch so stumpfsinnig postiert, daß sie im echten Angriffsfall wertlos und leichte Beute waren. 

Korrigiert hat das Stalin sofort, und selbst, so schnell es halt ging. Indem er die nächsten Führungsoffiziere austauschte, als er deren desaströses Vorgehen sah, und jene fähigen Männer berief, die dann einen Schritt nach dem anderen die Wehrmacht zertrümmerten, indem aus einer fast schon verlorenen Position heraus die Rote Armee zu der Kampfkraft regenerierte, die sie dann darstellte.

Der schlechte Ruf, den Stalin als oberster Kriegsherr nach dem Krieg bekam, führt sich - wie bei Hitler - auf den Umstand zurück, daß die Memoiren der Offiziere erst nach dem Tod des obersten Despoten erschienen. Neben der Brauchbarkeit dieses Mythos für die späteren Sowjetführer, wie Chruschtschow, die den Rückstand des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus - gegen alle Vorhersagen des Marxismus - so wunderbar begründeten.

Wo alle russischen Offiziere, die etwas auf sich hielten und noch ein wenig mehr Pension ergattern wollten - genau wie die deutschen zehn Jahre zuvor (bei Siegern wie den West-Alliierten sind es ohnehin immer die Chefs, und, wenn auch etwas zurückgestuft, auch alle ihre Untergebenen, die genial sind) - entdeckten, daß sie in Wahrheit Genies waren, die nur wegen der Unfähigkeit der obersten Führung nie ihre Fähigkeiten ausspielen konnten. Erst mit der Zeit wurde die Einschätzung der Leistung Stalins im Großen Vaterländischen Krieg etwas gnädiger, und zwar dort, wo Offiziere beweisen wollten, daß er "auf ihre Meinung gehört" habe. So wird auch aus einem simplen Brigadeoffizier ein Großgott.*

Der Mythos vom unfähigen Tyrannen Stalin ist gut konstituiert und sehr nützlich, aber er hat ein Problem: Er ist nicht wahr.  Die bisher bekannt gewordenen Dokumente zeigen, daß die Sowjetführung nicht weniger als die in England und Frankreich (in sechs Wochen kapitulationsbereit), mit der von Deutschland initiierten Blitzkriegführung nicht umgehen konnte. Und einige Zeit brauchte, um mit der deutschen Deutung des Krieges - es ging nicht mehr um Herrschaft über ein Land, um abgrenzbare, definierte Ansprüche und strategische Ziele, sondern um die Zerstörung der Lebenskraft von Ländern und Völkern überhaupt - umgehen zu lernen. 

Leider haben alle sehr bald von Deutschland gelernt. Das es selbst von Napoleon gelernt hat. Der hat vorexerziert, nicht zum ersten, aber für Deutschland (siehe die Armeereformen unter Gneisenau und Scharnhorst in Preußen, das daraufhin ganz Deutschland zusammenraubte) zum entscheidenden Mal: Es geht nicht um Armeen, um Kanonen und Panzer, es geht um die umfassende Lebenskraft einer Kultur.

Es gibt viele Kriegsdokumente der sowjetischen Kriegsführung von damals nicht mehr. Es gibt aber bei uns viele Dokumente deutscher Offiziere, die beweisen sollen, daß die Rote Armee unter Stalin inferior war. Aber vieles an Gegendokumenten der sowjetischen Seite wurde durch die ersten Niederlagenereignisse vernichtet, vieles auch gezielt zerstört, weil Realität für die Offiziere, vor allem auch für deren weitere Vorgesetzte, gefährlich werden konnte. 

Das gilt auch im umgekehrten Sinn, speziell bei deutschen Kriegsdokumenten, die die Kompetenz der Führungskräfte belegen sollte, trotz allem. Da ein ausgewogenes Bild zu rekonstruieren ist nicht immer leicht, sagt Kotkin. Aber eines läßt sich mit Sicherheit sagen: Die Rote Armee kämpfte gut, und sie kämpfte mit Heldenmut und enormem Heroismus. Die Verlustzahlen in Gegenüberstellung (man denke an die Panzer-Schlacht bei Kursk im Juli 1943, sicher die entscheidende Schlacht des gesamten Zweiten Weltkriegs, wo die Rote Armee zwar viermal so viele Panzer verlor wie die Wehrmacht, aber die Deutschen zum Rückzug zwang und für die darauffolgende Gegenoffensive fast wehrlos machte) täuschen. 

Denn die Rote Armee hatte einfach eine andere Strategie, wo einfacher aufgestelltes Material taktisch weniger Einzelwert hatte. Ein T34-Panzer kostete nicht den Bruchteil eines deutschen Panzers IV oder gar eines Tigers. Das war einfach anders gedacht! Eisen, Rohstoffe, Öl waren in der Sowjetunion anders als in Deutschland unbeschränkt vorhanden. Letztendlich waren es somit erneut die Deutschen, die den Krieg ihres Zeitalters nicht begriffen haben. Wie zur Zeit Napoleons.


 Morgen Teil 3)



*Ach ja, der VdZ kann davon ein Lied unter anderem aus seiner Zeit als Unternehmer singen. Wo Erfolge in Wahrheit - vergesse der Leser das nicht - das Verdienst von Angestellten und Untergebenen sind. Und zwar ausschließlich. Dann hat etwa der Verkäufer (der sowieso in den allermeisten Fällen) die Firma am Leben gehalten. Alles Fehlgegangene aber ist auf das Versagen des Chefs zurückzuführen. Im Übrigen ist das die einzige "Leistung", die der Liberalismus - "alles nach seiner Kompetenz", also nicht nach dem Sein, nicht erst Sein, Wesensvorgabe, also Ort, dann Handeln - zuwege bringt. Subversion vom Feinsten. Und vom Blödesten außerdem. Liberale sind eben strunzdumme Schwätzer, die auch immer wissen, wer an ihrem Scheitern schuld ist. Sie sind es nämlich sicher nicht.