Teil 2)
Wenn
Deutschland den Krieg verloren (nicht Rußland ihn gewonnen) hat, wird
aber auch Stalins Rolle gar nicht begreifbar. Sie wird immateriell,
gewissermaßen. Und das entspricht so überhaupt nicht der Realität. Man
sagt in Zeiten wie diesen, wo Geschichte als materialistischer,
mechanistischer Ablauf von Umständen und (auch sozialen) Gegebenheiten
gedeutet wird, vielfach, daß Geschichte nicht von Männern, sondern von
Umständen gemacht werde, zu denen zufällig Männer dazustoßen. Das ist
ein Irrtum. Ja, es gibt diese Faktoren - Wohlstand, Geld, Demographie,
Landschaft, Geographie, Rohstoffe etc. Aber das alles bewegt sich nicht
von selbst! Es sind immer noch einzelne Männer, Politiker, die dann mit
diesen Umständen umgehen und Geschichte formen.
Ja,
Stalin war schlecht auf das Unternehmen Barbarossa im Juni 1941
vorbereitet. Er wußte NICHT, was Hitler vorhatte, der Mythos vom großen
Spion ist erfunden, und der Informationsstand der innersten Kreise in
Moskau war nicht besser genährt als die Gerüchteküche in Berlin,
Bunkelsburg an der Kleinen Fitzel, oder Paris an der Großen Seine. Der
für die damalige Zeit fast gigantisch-überlegene Rüstungsstand der Roten
Armee, mit grotesk hohen Beständen an Kriegsmaterial - denn Stalin
hatte seit den frühen 1930er Jahren Deutschland (und überhaupt dann
Hitler) "erwartet", allein die Zahl der Panzer war der der deutschen
Wehrmacht um das Achtfache überlegen - waren durch eine inkompetente
Führung strategisch so stumpfsinnig postiert, daß sie im echten
Angriffsfall wertlos und leichte Beute waren.
Korrigiert
hat das Stalin sofort, und selbst, so schnell es halt ging. Indem er die
nächsten Führungsoffiziere austauschte, als er deren desaströses
Vorgehen sah, und jene fähigen Männer berief, die dann einen Schritt
nach dem anderen die Wehrmacht zertrümmerten, indem aus einer fast
schon verlorenen Position heraus die Rote Armee zu der Kampfkraft
regenerierte, die sie dann darstellte.
Der
schlechte Ruf, den Stalin als oberster Kriegsherr nach dem Krieg bekam,
führt sich - wie bei Hitler - auf den Umstand zurück, daß die Memoiren
der Offiziere erst nach dem Tod des obersten Despoten erschienen. Neben
der Brauchbarkeit dieses Mythos für die späteren Sowjetführer, wie
Chruschtschow, die den Rückstand des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus - gegen alle Vorhersagen des Marxismus - so wunderbar
begründeten.
Wo
alle russischen Offiziere, die etwas auf sich hielten und noch ein
wenig mehr Pension ergattern wollten - genau wie die deutschen zehn
Jahre zuvor (bei Siegern wie den West-Alliierten sind es ohnehin immer die Chefs, und, wenn auch etwas zurückgestuft, auch alle ihre
Untergebenen, die genial sind) - entdeckten, daß sie in Wahrheit Genies
waren, die nur wegen der Unfähigkeit der obersten Führung nie ihre
Fähigkeiten ausspielen konnten. Erst mit der Zeit wurde die Einschätzung
der Leistung Stalins im Großen Vaterländischen Krieg etwas gnädiger,
und zwar dort, wo Offiziere beweisen wollten, daß er "auf ihre Meinung
gehört" habe. So wird auch aus einem simplen Brigadeoffizier ein
Großgott.*
Der
Mythos vom unfähigen Tyrannen Stalin ist gut konstituiert und sehr
nützlich, aber er hat ein Problem: Er ist nicht wahr. Die bisher
bekannt gewordenen Dokumente zeigen, daß die Sowjetführung nicht weniger
als die in England und Frankreich (in sechs Wochen
kapitulationsbereit), mit der von Deutschland initiierten
Blitzkriegführung nicht umgehen konnte. Und einige Zeit brauchte, um mit
der deutschen Deutung des Krieges - es ging nicht mehr um Herrschaft
über ein Land, um abgrenzbare, definierte Ansprüche und strategische
Ziele, sondern um die Zerstörung der Lebenskraft von Ländern und Völkern
überhaupt - umgehen zu lernen.
Leider
haben alle sehr bald von Deutschland gelernt. Das es selbst von
Napoleon gelernt hat. Der hat vorexerziert, nicht zum ersten, aber für
Deutschland (siehe die Armeereformen unter Gneisenau und Scharnhorst in
Preußen, das daraufhin ganz Deutschland zusammenraubte) zum
entscheidenden Mal: Es geht nicht um Armeen, um Kanonen und Panzer, es
geht um die umfassende Lebenskraft einer Kultur.
Es
gibt viele Kriegsdokumente der sowjetischen Kriegsführung von damals
nicht mehr. Es gibt aber bei uns viele Dokumente deutscher Offiziere,
die beweisen sollen, daß die Rote Armee unter Stalin inferior war. Aber
vieles an Gegendokumenten der sowjetischen Seite wurde durch die ersten
Niederlagenereignisse vernichtet, vieles auch gezielt zerstört, weil
Realität für die Offiziere, vor allem auch für deren weitere
Vorgesetzte, gefährlich werden konnte.
Das
gilt auch im umgekehrten Sinn, speziell bei deutschen Kriegsdokumenten,
die die Kompetenz der Führungskräfte belegen sollte, trotz allem. Da
ein ausgewogenes Bild zu rekonstruieren ist nicht immer leicht, sagt
Kotkin. Aber eines läßt sich mit Sicherheit sagen: Die Rote Armee
kämpfte gut, und sie kämpfte mit Heldenmut und enormem Heroismus. Die
Verlustzahlen in Gegenüberstellung (man denke an die Panzer-Schlacht
bei Kursk im Juli 1943, sicher die entscheidende Schlacht des gesamten Zweiten Weltkriegs, wo die Rote Armee zwar viermal so viele Panzer verlor
wie die Wehrmacht, aber die Deutschen zum Rückzug zwang und für die
darauffolgende Gegenoffensive fast wehrlos machte) täuschen.
Denn
die Rote Armee hatte einfach eine andere Strategie, wo einfacher
aufgestelltes Material taktisch weniger Einzelwert hatte. Ein T34-Panzer
kostete nicht den Bruchteil eines deutschen Panzers IV oder gar eines
Tigers. Das war einfach anders gedacht! Eisen, Rohstoffe, Öl waren in
der Sowjetunion anders als in Deutschland unbeschränkt vorhanden.
Letztendlich waren es somit erneut die Deutschen, die den Krieg ihres
Zeitalters nicht begriffen haben. Wie zur Zeit Napoleons.
Morgen Teil 3)
*Ach ja, der VdZ kann davon ein Lied unter anderem aus seiner Zeit als Unternehmer singen. Wo Erfolge in Wahrheit - vergesse der Leser das nicht - das Verdienst von Angestellten und Untergebenen sind. Und zwar ausschließlich. Dann hat etwa der Verkäufer (der sowieso in den allermeisten Fällen) die Firma am Leben gehalten. Alles Fehlgegangene aber ist auf das Versagen des Chefs zurückzuführen. Im Übrigen ist das die einzige "Leistung", die der Liberalismus - "alles nach seiner Kompetenz", also nicht nach dem Sein, nicht erst Sein, Wesensvorgabe, also Ort, dann Handeln - zuwege bringt. Subversion vom Feinsten. Und vom Blödesten außerdem. Liberale sind eben strunzdumme Schwätzer, die auch immer wissen, wer an ihrem Scheitern schuld ist. Sie sind es nämlich sicher nicht.
*240719*
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