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Donnerstag, 19. September 2019

Der Donnerstag Theaterabend

Mit vollen Hosen ist gut stinken. Dieses Sprichwort ist für Harald Schmidt anzuwenden. Der nun "im Alter", und außerhalb des eigentlichen Show-Business jene angenehme, ruhige Distanziertheit und Selbstironie zeigt, die wie beim Baby feine Rundumernährung und Sicherheit zeigt.

Außerhalb? Nein, er nimmt nun einfach die Rolle des Balkonkommentators ein, der jede Freiheit hat, weil er in keine Notwendigkeit mehr eingespannt ist. Schmidt sagt selbst, daß er seine ganze Existenz, von der Geburt bis zum Grab, als Show ansieht. Er spielt immer eine Rolle, was im übrigen auf seine ursprüngliche Profession des Schauspielers hinweist. (Deshalb haben wir es auch hier in den Titel eines Theaterabend gestellt.) 

Und nichts sonst tut er auch. Gesättigt von viel Erfolg. Was in diesem speziellen Fall einfach heißt, daß er seinen Platz im öffentlichen Theater gefunden hat, und das alleine ist ein, ja DER Lebenserfolg für jeden Menschen. Weil sie eine Art vollkommenen Zustand der Identität bedeutet, die man nicht mehr ständig behaupten muß, die gewissermaßen in die Grammatik des Gesellschaftlichen bereits eingeschrieben ist. 

Das zeigt sich auch in der distanzierten Lockerheit, in der er über handwerkliche Details spricht. Die zeigt, daß er nichts (mehr) zu befürchten hat. Für Kollegen oder Insider ist er da durchaus Vorbild, von dem man lernen kann. Das einen aber auch in vielerlei Hinsicht beruhigt. Denn gerade in diesem Gewerbe - Bühne, Öffentlichkeit - wird man rasch von Ansprüchen geplagt, die nie zu erfüllen sind, die es auch gar nicht zu erfüllen gibt. Sodaß man sich gleich mal als "dilettantisch" vorkommt, bis man draufkommt, daß ohnehin alle mit Wasser kochen, und in der gesamten Branche kaum jemand kein Dilettant ist. Dessen Professionalität nur darin besteht, diesen Dilettantismus, diese Selbstunsicherheit möglichst gut zu verbergen.
Schmidts Nonchalance zeigt vor allem aber eines: Sie ist jene Maske einer Rolle, die verhindert, daß die wirklichen, tieferen Ansichten sichtbar werden. Und dazu hat er eine Maske gewählt, die jederzeitigen Rückzug ermöglicht, sobald es ernst, existentiell werden sollte. Das zeigt sich schon darin, daß er sich selbst als Reaktionär sähe, hätte er - eigener Aussage nach - die dafür notwendige Bildung (womit er den Nagel ziemlich auf den Kopf trifft.) Mit solchen Tricks nimmt er sich aus jeder Schußlinie. "Ich halte mich nicht mit Denken auf, ich haue einfach raus. Ich bin nicht schnell im Kopf, ich bin nur schnell mit der Zunge."

Und ein wenig kann man tatsächlich davon lernen. Denn Reife heißt vor allem auch, daß man sich zu sich selbst distanziert verhalten können sollte, weil vor allem sich selber nicht zu ernst nehmen darf. Sonst wird man ungenießbar, aber um nichts wahrer. Fortiter in res - suaviter in modo, nannten das die Römer. Hart in der Sache, aber weich in der Art. Schmidt geht es halt um nichts, und er bekennt sich dazu, und das ist nicht nur für einen Schauspieler, der ja gar keine figurale Weltsubstanz hat, der also nicht "dem Publikum" zugehört, gut so. Er hat genug verdient, hat eine sichere Existenz, muß nichts Irdisches fürchten, und kann sein verbleibendes Leben nur noch genießen. Das heißt: Endlich ganz und unbekümmert als Spiel spielen, was er als "Rolle Harald Schmidt" gefunden hat. (Was ihn fürs Schauspiel längst untauglich gemacht hat.)

Immerhin sieht er vieles recht richtig. So, wenn er in dem nämlichen ORF-Interview, auf das das Gespräch mehrfach Bezug nimmt, sagt, daß eine Sendung wie sein "Latenight-Talk" heute nach einer Woche wegen ständiger Verstöße gegen die political correctness nach spätestens einer Woche eingestellt würde. Da müßte es die Interviewer eigentlich gerissen haben.

Es läßt sich doch auch so mancher Gedanke herauspicken, wir wollen es aber nicht überziehen. Einer der Höhepunkte sind Schmidts Schilderungen über den Tourismus, den er durch sein Traumschiff-Engagement sehr hautnah erlebt. "Es ist überall auf der Welt so voll, Herrschaften, bleiben Sie zu Hause!" Erleben, sehen, genießen kann man kaum noch etwas.

Fast schon großartig seine Erzählung über seine Anfänge am Theater in Augsburg. Wo er jahrelang nur "Scheiße" gespielt hat, und unbedingt weg wollte. Denn er wollte in diesem Getriebe nicht aufgehen, hatte das Gefühl, daß das nur Teil seiner Biographie sein wird, die aber anders aussehen wird. Er kam weg, indem er sich dem Journalismus zuwandte. Was zwar in der Form nicht gelang, aber die Distanz zum "Kunstgeschehen auf der Bühne" festigte sich. So daß er mehr und mehr seine eigene Rolle schrieb. Und das Glück hatte, daß er damit durchkam. Heute erlebt er, wie diese Phase seines Lebens hervorragend eignet, romantisiert zu werden. Weil er sich in der öffentlichen Meinung schon an den Rand der Verklärung geschoben hat. "Wenn ich wissen will, wie mein Leben läuft, gehe ich heute zu Wikipedia, um nachzusehen." Ein Reaktionär aber weiß, wovon da die Rede ist.

Eineinhalb entspannte Stunden, das bietet dieses Gespräch, das die Augsburger Zeitung mit ihm im Juli 2019 veranstaltet hat und das man nicht zu ernst nehmen sollte. Wer die Schmidtsche Grenzwandelei mag, dem sei das Video deshalb empfohlen.