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Donnerstag, 5. September 2019

Wo der Genderismus begann (1)

Michel Foucault, der als Ikone des Postmodernismus angesehen wird, und von dem die fatale Idee stammt, daß alles menschliche Zueinander ein Kampf um Macht und Vorherrschaft ist, ist eine der Lieblingszielscheiben von Camille Paglia. Eine Frau, die ziemlich gescheit ist, und im persönlichen Eindruck gerade auch in diesem Vortrag wirkt, als schreie sie innerlich nach Gott, verbiete sich aber als ausgewiesene Atheistin diesen Gedanken. In diesem Zusammenhang ist die These von Paul C. Vitz noch interessanter, der sich damit befaßt hat, "woran Atheisten glauben". Und eines seiner wichtigsten Bücher "Faith of the Fatherless" (Glaube der Vaterlosen), ein Schlüsel zum Verständnis des Atheismus, nannte.

Foucault, so Paglia, ist ein glatter Dieb. Nicht einer seiner Gedanken ist originär, er hat alles zusammengestohlen. Keine seiner Thesen stammt von ihm, sondern wurde schon lange vor ihm aufgestellt, meint Paglia. Foucault hat das alles nur zusammengestellt. Und damit Furore gemacht. Er war offenbar einfach zur richtigen Zeit da, das war alles, und hat das in seinem (für einen Homosexuellen und Narzißten nicht untypischen) luciden Sinn für Nachfrage und Beliebtheitsmomente extrem gut vermarktet.

Mein Gott, ist die Frau klug. Der Vortrag sei wärmstens empfohlen, er ist eine Fundgrube von klugen und inspirierenden Bemerkungen, die sie als einen Überblick über eines ihrer aktuellen Bücher präsentiert. In dem sie sich mit der Pop-Kultur befaßt. 

So sagt sie, wieder unter Bezug auf Foucault, daß an der Gender-Ideologie der Gegenwart nichts, absolut nichts neu ist. Die eigentliche Kulmination des Genderismus hat bereits David Bowie in den 1970er-Jahren geliefert. Und er hat ihr zu diesem Einfluß verholfen, indem er eine ganze Generation tief beeindruckt und geprägt hat. Damit hat er dem Genderismus den Boden bereitet, ja ihn im Alleingang verbreitet. Indem er mit der neuen Ikonographie der neuen Medienwelt in Film und Musik wie der Schaffung eines öffentlichen Images als dessen Bezugspunkt perfekt umgegangen ist. Diese besondere Art des Geschicks teilt er somit mit Michel Foucault.

Parallel zu Bowie war aber ein anderer Künstler stilbildend, und darin eine weitere Gestaltbresche schlagender Vorreiter des Genderismus. Der Name dürfte vielen unbekannt sein, anders als seine Werke (und die seiner Epigonen) - es ist Tom of Finland. Der mit seinen homoerotischen Werken den "Lederlook", das Element des Sadomasochismus in der Schwulenszene also, zum Teil der Populärkultur machte. Noch bedeutender aber war die Schaffung einer Art Gestalt als Identitätsangebot für die gesamte Homosexuellen-Szene. Und Identität "als" Homosexueller ist deren eigentliches Problem*.

Ein weiteres "Lieblingsthema" (zu dem wir an dieser Stelle vor Jahren bereits einen Vortrag von ihr brachten) ist das Thema "Bildung". Denn sie ist tief entsetzt über das, was sie als Hochschulprofessorin über mittlerweile siebenvierzig Jahre beobachten muß. Das öffentliche Schulwesen ist in ihren Augen ein einziges Desaster. Dabei hat sie es an der Kunstschule, an der sie seit vierunddreißig Jahren unterrichtet, noch gut, weil sie die Studenten in Bewerbungsszenarien aussucht. Dennoch hat sie einen Überblick über das gesellschaftliche Geschehen, denn auch ihre Studentenschaft ist ein Kaleidoskop sämtlicher sozialer und gesellschaftlicher Schichten. 

Dabei geht sie so vor, daß sie ihre Lehrinhalte daran ausrichtet, was sie an den Studenten als Notwendigkeit und Bedarf erkennt, was an Wissen fehlt, was an Fertigkeiten. Und sie ist "horrified", sie ist schockiert festzustellen, daß speziell seit zwanzig Jahren Jahr um Jahr um Jahr das Maß an kultureller Information, das diese Studenten aufzunehmen vermögen und besitzen, zurückgegangen ist. Auch das, was man als Grundsäulen und Marksteine der gesamten westlichen Kultur ansieht ist mehr und mehr unbekannt und verschwunden. 

Sie erzählt eine bezeichnende Geschichte, die ihr vor fünfzehn Jahren passiert ist. Als sie in einer ihrer Klassen das bekannte Spiritual "Go down Moses" diskutieren wollte, so, wie sie es die Jahre zuvor auch gemacht hatte. Lange hatte sie sich in diesem Jahr gewundert, warum die Klasse einen inneren Widerstand zu haben schien, sich mit dem Text zu befassen. Bis sie erkannte: Die meisten Studenten wußten gar nicht, wer Moses war! Die einzigen, die das wußten, waren Afro-Amerikaner mit kirchlichem Hintergrund. 

Der säkuläre Humanismus hat es geschafft, die Grundlagen unserer Kultur ins Vergessen zu schieben. Man kann mit heutigen jungen Menschen nicht mehr über unsere Kultur sprechen, weil sie deren Gerüst gar nicht mehr kennen. Obwohl sie eine so lange Schulzeit durchlaufen haben. Damit fällt, kann man sagen, das gesamte kulturelle Erbe weg und muß ungekannt und unverstanden bleiben. Die gesamte Bibel, dieses großartige, unübertreffliche Kompendium von Weisheit und Heldenerzählungen und Schicksalsgeschichten, ist unbekannt, eine gesamte Dimension unserer Kultur fällt damit weg, mehr noch: Was bleibt von unserer Westlichen Kultur, wenn die Bibel, wenn der Name Moses wegfällt?

Sie kennen die Kardashian-Familie, und auf diesem Niveau bewegt sich die "Bildung". Ihr selbst war es in ihrer Zeit in Yale (1968-72) noch passiert, daß die Professoren sie als frivol und oberflächlich angesehen haben, weil sie sich für die Gegenwartskultur und darin vor allem für Hollywood und dessen Geschichte interessiert hat. Daraus, so war damals der Tenor, konnte man nichts lernen, weil man ohne Kenntnis der Grundlagen unserer Kultur daraus nichts erkennen konnte. Nicht einmal der europäische Kunst-Film der 1950er und 1960er hatte einen anerkannten Status als relevante Kunst. 

Sie hat Populärkultur immer ernst genommen. Und sie hat sich viel damit befaßt, sie zu interpretieren und zu verstehen, und daraus Rückschlüsse auf die Kultur und die Menschen zu ziehen. Sie hat gesehen, daß sich über diese Ebene Beziehungen zwischen Hochkultur und Populärkultur finden lassen. Sie war deshalb immer ein Fan von Andy Warhol, der - wie sie - die (ewige) Schönheit in der Werbung oder im Starkult etwa erkannte, man mußte nur die Oberfläche entfernen, buchstäblich ein anderes Licht darauf werfen. (Deshalb wohl die Verfremdungen vorhandener Photographien der Stars, die Warhol so berühmt gemacht haben, Anm.). Und sie war glücklich damals in New York seine Kurzfilme zu sehen, die mittlerweile völlig von der kulturellen Landkarte verschwunden sind. Man erkennt den Unterschied der Warhol'schen, absurden Verfremdung zu den Trash-Filmen der Gegenwart gar nicht mehr. 

Morgen Teil 2)



*Denn ontologisch gesehen ist Homosexualität keine Identität, sondern genau das Fehlen oder Suchen nach einer solchen.