Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 4. September 2019

Die zehn Dogmen der heutigen Weltanschauung (2)

 Teil 2


Wir wollen auf das alles im Einzelnen ein wenig eingehen, Sheldrake tut es im Vortrag (mit deutschen Untertiteln) aus Zeitgründen aber nur bei den ersten beiden Punkten. Der VdZ glaubt zwar schon, daß vieles an Sheldrakes Kritik sehr richtig ist. Er glaubt aber auch (ohne viel von seinen Thesen zu kennen), daß dieser den Fehler macht, so schaut es im Vortrag aus, geistige Dinge ("morphologische Felder") zu verdinglichen. 

Wenn man solche Felder aber annimmt (und in gewisser Weise tut es auch der VdZ, er tut es, wenn er zum Beispiel von "Ort" spricht, auch der darf nicht räumlich-dinglich vorgestellt werden, das kann nie mehr sein als Veranschaulichung, um in der Melodie des Bildes das Wesen des Angesprochenen erfaßbarer zu machen) ist die einzige Methode, sie zu untersuchen, eine, die ihrer Natur entspricht - also die Philosophie, die Metaphysik. Denn hier ist die Sinnkomponente das tragende Wesensmoment. Naturwissenschaft kann das dann nur belegen, oder auf Aspekte hinweisen, die gedanklich noch zu bewältigen sind. Aus sich und auf sich gestellt kann aber keine Naturwissenschaft eine Theorie erbringen. Dort wird es auch dann regelmäßig esoterisch, was bedauerlich ist.*

Dessen ungeachtet sind manche von Sheldrakes Gedanken - etwa der, daß Fortpflanzung ein Vorgang des Herausstellens von morphologischer Ähnlichkeit ist - durchaus inspirierend. Auch der Gedanke der Raumlosigkeit des Sehens - wenn wir einen Stern im Weltall sehen, sind wir "am selben Ort" wie dieser - hat viel Richtiges. Denn das Sehen ist ein geistiger Vorgang, dem die Biologie nur dient, den sie aber nicht bestimmen darf und prinzipiell auch nicht bestimmt. Wir sehen nicht durch die Augen, sondern weil wir "sehen" (die Metaphorik zu "erkennen" berichtet davon).

Auch die Abhängigkeit und Variabilität der "Grundgesetze" der Physik in Zeit und Raum kann angenommen werden. Man kann diese Grundgesetze durchaus als "Gewohnheiten" sehen, die nur im Rahmen der Erfahrungswelt "konstant" sind, nicht aber in einem absoluten Sinn. Abweichungen bei der Gravitation und der Lichtgeschwindigkeit sind keineswegs Spinnereien von Esoterikern, sondern handfeste Schlußfolgerungen, die die Astrophysik immer wieder zu treffen angeregt wird, weil Beobachtungen mit dieser Konstanz nicht übereinstimmen. 

Daß die Mathematik, die diese Gesetze in Formeln gießt, von anderen, nicht-mathematischen, ja nicht einmal materiellen Voraussetzungen (sondern Postulaten) lebt, hat sich ohnehin längst herumgesprochen (siehe Poincaré und Gödel). Auch die Mathematik bewegt sich somit nur innerhalb unserer Erfahrungswelt und regiert nicht das Universum als quasi ewiges Gesetz. Zahlen, Formeln drücken also lediglich reale, der Lebenswelt zubehörige Beziehungen aus, ohne über deren "Ewigkeitswert" etwas aussagen zu können. Stattdessen aber geht vor allem seit den 1960er Jahren die Physik davon aus, daß seit dem Urknall die Gesetze der Physik ein für allemal festgelegt waren. Was Sheldrake in dem amüsanten Satz zusammenfaßt, daß die heutige Physik sagt: "Man gebe uns ein Wunder zur Wahl, und wir erklären den Rest." 

Freilich, die Aussage, daß es doch auch vorstellbar sein sollte, daß "seit dem Urknall" in einem sich ständig entwickelnden Universum auch dessen Gesetze sich entwickeln, muß mit einem gehörigen Schluck aus der Skepsisflasche quittiert bleiben. Diese Folgerung ist letztlich wieder auf die oben angesprochene Verdinglichung von Geistigem zurückzuführen. Denn die Ideen sind tatsächlich immer gleich, waren es von Ewigkeit an, und werden es immer sein. Entwicklung kann es also nur im historischen Sinn einer "Gestalt in der Zeit" geben. Wo sich die konkrete Gestalt innerhalb einer gewissen Variationsbreite, die sich aber immer entlang der Grundgegebenheiten bewegt (weil sonst ins Nichts fällt, also auch nicht existiert), die alles wie ein "Zaun" umgeben. 

Sheldrake aber meint, daß die Evolution des Weltalls Gesetze nur insofern kennt, als es Gewohnheiten gibt, die sich entwickeln, aber wieder verändern können. Wobei seine Rückbindung an die morphologischen Felder gegen diese Interpretation spricht - vorausgesetzt, man denkt sie eben als geistige Entitäten, nicht als für sich stehendes dingliches, physikalisches Geschehen. Das wirkt sich auch auf seine These vom kollektiven Gedächtnis aus, das er in der dinglichen Welt begründet sieht. 

Gewiß, die Dinge sind durch ihr Existieren eine Erzählung, und insofern ist Erinnerung in ihnen gegenständlich, als Wegmarke zu geistigen Inhalten (als Symbol, nicht aber als diese selbst). Und gewiß, an seiner These der Ähnlichkeit innerhalb der gesamten Natur ist manches interessant. Denn in allen Dingen findet sich - nur auf je unterschiedlicher Ebene in gestufter geistiger Konkretion und Ausgestaltung - eine einzige Grundstruktur (die der Ähnlichkeit mit der Dreifaltigkeit als dem innersten, dynamischen, also aktiven Wesenskern aller Dinge, die somit in sich ein Beziehungsgeschehen aus Idee - Materie - aktivem Geist sind). Aber das Problem ist bereits erwähnt: Sheldrake macht solche geistigen Geschehnisse und Fakten zu Dingen. 

Dann wird das morphologische Feld eben zum Feld, das durch die morphologischen Felder vorangegangener (im Beispiel:) Giraffen existiert und wirkt, die das morphologische Feld "Giraffe" entwickelt und vererbt, damit zum kollektiven Gedächtnis gemacht haben. Dazu dienen die Gene, auch wenn diese stark überbewertet werden, so Sheldrake. Denn die sind zwar für die Produktion von Proteinen zuständig, geben aber nicht die Form oder das Verhalten eines Lebewesens vor. Ein solches morphologisches Feld haben auch Kristalle. Entscheidend ist hier wie überall der erste Moment, wo dieses morphologische Feld durch den ersten Kristall (die erste Giraffe) in die Welt kommt. Denn da existiert noch keine Gewohnheit.

Jede Fortpflanzung existiert dann in der Art eines Fraktale, wo das Nachfolgende (als Teil eines Ganzen) die Gestalt des Urbildes (als Ganzes) annimmt.** Somit gehört jedes Einzelwesen in seiner Gestalt einem alle diese Wesen umfassenden morphologischen (Grund-)Feld an. Sheldrake nennt das Beispiel von Ratten. Wo es angeblich nachweisbar ist, daß wenn Ratten (sagen wir) in London etwas lernen, es schlagartig allen Ratten der Welt leichter möglich ist, dasselbe zu lernen. Das sieht Sheldrake als Erweis eines solchen (raumlosen) morphologischen Feldes, dem alle aktiv angehören, und das deshalb so etwas wie ein kollektives Gedächtnis (hier: der Ratten weltweit) bildet.

Der Grundfehler ist im Grunde genauso materialistisch, wie es Sheldrake der modernen Naturwissenschaft vorwirft. Denn es geht um das Prinzip, wie sich ein "Feld" aufbaut (um in seiner Theorie zu bleiben): Von oben nach unten? Oder - und das ist die Vermutung bei seiner "Gewohnheits-"Theorie - von unten nach oben? Das ist keine Frage der physikalischen Beobachtung, sondern prinzipieller, metaphysischer Überlegungen. Und daraus ist klar: Die Idee geht der Konkretion voraus. In Sheldrakes Universum aber evolviert über die Gewohnheit auch das gesamte Universum und seine Gesetze.







*Der VdZ denkt da an eine kleine, verschworene Gemeinschaft von Anhängern der "Wirbelweltbild-Theorie", die manche interessante Aspekte hat, aber in der derzeitigen Form an ihren philosophischen Mängeln scheitert. Weil sie eben versucht, aus der Physik auf eine Metaphysik zu kommen, was prinzipiell nicht geht, sondern in Esoterik landen muß. Damit schlittert sie auf die Schollen esoterischer Weltbilder, ohne es zu wissen. Ob das reparabel ist bezweifelt der VdZ übrigens. Denn man kann Theorien nicht "ausschlachten", sie stehen immer in Bezug auf einen geistigen Kern, und der gibt die innerste Grammatik sämtlichen Teildenkens vor.

**Wir bringen hier das so wichtige Wort von der "Seinsmitteilung" als Wesen der Schöpfung ebenso wie als Wesen der Fortpflanzung (und der sozialen Beziehungen generell) ein. Dazu ein anderes Mal mehr.