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Montag, 16. September 2019

Von der Wahrheitspflicht des Journalisten (1)

Der VdZ hat schon einmal davon berichtet. Als er an einer Filmschule unterrichtete stellte er den Studenten die Frage, wie der Manipulation bei Nachrichten vorzubeugen sei. Die Antwort war aus mehreren Gründen erschütternd: Denn die meisten waren der Meinung, daß ein Aufstellen von Kameras überall und an jedem Ort das verhindern würde. Vom Aspekt der totalen Überwachung wollen wir hier gar nicht reden, der darin enthalten ist und offenbar allseits auf große Zustimmung stieß. 

Vielmehr soll es um einen schweren Grundirrtum gehen, der sich in solch einer Sichtweise verbirgt. Nämlich dem, daß die Empirie aus sich heraus Wahrheit liefern könnte! Daß es also eine Wirklichkeit gebe, die sich im "rein Faktischen" entbirgt. Nichts stimmt weniger.

Der Gedanke spielt eine Rolle, wenn man einen nächsten "Manipulationsfall" durch ein Medium heranzieht, diesmal in den Reihen des RTL. Ähnlich wie im Spiegel Monate zuvor, hat auch dort ein Reporter nachweislich Filmberichte gefälscht, die er in den Nachrichten präsentiert. Das ergab nun eine senderinterne Untersuchung, wie Tichys Einblick berichtet. Der Reporter habe vor allem damit getäuscht, indem er Archivbilder herangezogen hat, die in ganz anderem Zusammenhang entstanden waren, um im Beitrag aufgestellte Behauptungen und Nachrichten zu belegen, so daß diese Bilder als Originalaufnahmen angesehen werden mußten. 

Schon vor vielen Jahren hat der VdZ in einem Projektvorschlag (der aber nie realisiert wurde, der Förderstelle schien das offenbar zu wenig interessant, man wollte "Videokunst" oder weiß der Deibel was) aufzuzeigen versucht, daß sich mit jedem, wirklich mit jedem Bildmaterial nur durch Auswahl der Details, durch Aspekte die man zeigt, so gut wie jede Behauptung "beweisen" läßt. Mit demselben Filmmaterial läßt sich je nach Auswahl damit sowohl eine These wie ihr Gegenteil beweisen. Und Filmmaterial, Bildmaterial muß immer ausgewählt, geordnet werden, sonst hat es eine zufällige Aussage, denn die hat es immer. Ohne Weltbild kein gesehenes Bild!

In der Frage, die nun an die Medienwelt gestellt wird und die laut nach "Wahrheit, nichts als Wahrheit" schreit, weht also bereits etwas wie ein "Reinheitswahn" der Katharer und anderer Sekten mit. Mehr noch, ein "sola scriptura", das demselben Irrtum entspringt. Denn immer noch ist es das Weltbild, die Behauptung also, die erst konstituiert, was der Mensch überhaupt sieht. Der Datenempfänger muß also immer bereits vor-wissen, was an Wissen dann auf ihn eintrifft. Information ist nicht aus sich heraus Information, sondern ihr Adressat muß sie als solche auch erkennen, also vor-kennen. 

Speziell Bilder im Film haben die unselige Verführungsfunktion, sie aber für wichtiger als die Botschaft, als die Behauptung zu nehmen, die sie begleitet. Aber erst diese macht aus dem Gesehenen eine Botschaft, und erst das Gewußte aus dem Gesehenen Beleg oder gar "Beweis". An der Methode, Bilder heranzuziehen, um eine Botschaft zu belegen, ist also gar nichts Verwerfliches. Nicht einmal daran wäre etwas auszusetzen, wenn jemand eine Geschichte "erfindet", wie Relotius und wie so viele andere es beim Spiegel getan haben. Daß das zu kennzeichnen wäre, ist dabei so läßlich (und man hört zudem die Verlegenheit darin), daß es fast gleichgültig ist. (Fast; denn das hängt dann ein wenig von der Information und ihrem Zweck ab.) Das Übel an Relotius et al. war und ist nicht, daß sie ihre Geschichten erfanden oder ausschmückten. Das Übel war, daß sie inhaltlich gelogen waren beuehungsweise mit erfundenen Belegen gelogen werden sollte.

Die Kernfrage ist und bleibt also nicht, ob das Belegmaterial, sondern ob die Aussage, die Behauptung wahr ist! (Darum arbeiten ja PR-Agenturen so verbissen an "Symbolbildern", und die meisten Medien übernehmen sie unhinterfragt.) Das heißt nichts anderes, als daß sich niemand durch "Evidenz von Bildern" (oder Geschichten) darauf hinausreden kann, daß sie seine Weltbilder durch "Tatsächlichkeit" erzwängen. Vielmehr kann sich niemand die Frage ersparen, ob das, was er denkt und damit sieht, der Wahrheit entspricht. Und da stoßen wir auf ganz andere Probleme. 

Morgen Teil 2)