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Dienstag, 15. Oktober 2019

100 Jahre Haß (2)

Teil 2)



So erfolgreich war bislang die ADL-Strategie, daß Abraham Foxman, der heutige Vorsitzende des ADL, bereits öffentlich gefordert hat, daß nicht nur in den USA, sondern über die UNO weltweit Anti-Semitismus als "Verbrechen" eingestuft wird. Das bedeutet nicht weniger, als daß sich eine Religionsgemeinschaft sakrosankt, ja unsichtbar stellen würde, und jede Kritik an ihr bei Strafe untersagt wäre. Keine Religionsgemeinschaft der Welt hat ohnehin jetzt schon eine vergleichbare Sonderstellung. Dann wäre sie definitiv. Ohnehin gibt es Schritte zu so einer Unterbindung von Kritik bereits in vielen Staaten. Auch in unseren Ländern sind bestimmte Meinungen Juden und ihre Geschichte betreffend bereits bei Strafe verboten.

Ausgangspunkt des Films war, daß Shamir selbst, wie er gleich zu Beginn sagt, noch nie mit Anti-Semitismus konfrontiert worden war. Dennoch hatte er festgestellt, daß dieser Begriff allgegenwärtig ist, quasi die Luft ausfüllt, die wir atmen. Weil Foxman die Idee gefiel, daß ein Israeli einen Film über Anti-Semitismus macht, hatte Shamir noch nie dagewesenen Zugang zu den Räumen und Archiven der ADL.

Wer den Film ansieht wird vielleicht überrascht sein. Denn Juden sehen einander durchaus mit sehr kritischem Blick. Und erkennen sehr wohl Eigenarten des Judentums, die nicht gerade schmeichelhaft sind. Höre man allein der Mutter des Filmemachers zu! Wenn uns - dem VdZ oder Ihnen, werter Leser - solche Worte über die Lippen kämen, könnten wir sicher sein, schwerste Probleme mit Anti-Semitismus-Vorwürfen (wenn nicht mehr) zu bekommen. Dabei sieht sich diese Frau, deren Eltern bereits im 19. Jahrhundert aus Rußland eingewandert und echte Zionisten sind, als "echte Jüdin", während die, die sie kritisiert es nicht sind.

Aber das ist nur der Anfang der überraschenden, dabei sehr klaren Sichten, die der israelische Filmemacher mit "Defamation" bietet, in dem er dem Anti-Semitismus auf der Welt nachgeht.

Der erst einmal in Israel anfängt und über die dortigen Zustände berichtet. Denn die heutige israelische Jugend wird systematisch auf den Kernsatz "Nicht vergeben, nicht vergessen!" auf eine Welt eingeschworen, die Juden generell haßt. Wobei man es mit der Korrektheit der Information nicht immer so genau nimmt. Denn Zionismus ist keineswegs ein Ergebnis des Holocaust, er ist eine jahrhunderte Jahre alte Geisteshaltung. Auch könnte man diskutieren (wäre es nicht ungustiös), ob die Shoah (Holocaust) wirklich der größte Genozid der Geschichte war. Die Vernichtung (denn eine solche war es) von fünf Millionen Iren durch die Briten Mitte des 19. Jahrhunderts sei nur als ein relativierendes Beispiel angeführt. Anti-Katholizismus war historisch eine keineswegs nebensächliche Haltung, und sie ist es bis zum heutigen Tag nicht, im Gegenteil: Er treibt die gegenwärtige Welt in nie gesehenem Ausmaß, und in ihm entscheidet sich deren Schicksal.

Aber so senkt sich eine Saat des Hasses bereits früh in jedes jüdische Herz. Auch durch die vermittelte Haltung, ihr Verhalten sei im Grunde sakrosankt. Denn der Haß, dem sie weltweit begegne, habe allein mit Anti-Semitismus zu tun, indem die Welt ihren Neid, ihre Eifersucht gegen das auserwählte Volk auslebt. In dieser Haltung wird aber vor allem eines gestärkt: Der Zionismus, der zur existentiellen, jüdischen Einstellung werden soll, ja muß, um diesem Haß zu begegnen, dessen endgültiger Beweis der hitleristische Holocaust ist. Denn die ganze Welt ist anti-semitisch, die einen lauter, die anderen leiser. Deshalb muß jeder Israeli bereit sein, in der Armee zu dienen, um die Existenz Israels mit der Waffe in der Hand inmitten einer feindlichen Welt zu behaupten.

Wie kommen solche Meinungen zustande? Shamir geht in Zeitungsredaktionen. Es wundert nicht, wenn er dort feststellt, daß sich die alten Journalisten in demselben Haß präsentieren, während die im Film gezeigten jungen Zeitungsredakteure sich freuen, wenn sie Meldungen lancieren können, daß der Anti-Semitismus hier oder dort "gestiegen" ist. Das erhöht die Auflage, sagen sie. Auf die Frage, woher solche Daten und Aussagen denn kämen, wird es interessant: Sie kommen vom ADL. 

Also ist Shamir ins New Yorker ADL-Büro geflogen um zu recherchieren, wie die ADL Anti-Semitismus bekämpft. Dort stellt er erst einmal fest, daß dort mit sehr wenig Personal sehr viel verarbeitet werden soll. Die durchschnittliche Zahl antisemitischer Vorfälle in den USA beläuft sich auf 1.500. Denen allen nachzugehen ist mit diesem wenigen Personal unmöglich. Also verläßt man sich auf subjektive Einschätzungen. Welcher Natur sind nun diese Meldungen von Anti-Semitismus? Shamir möchte gerne einmal so einem Fall nachgehen. Was wird also so gemeldet? Nun - da hat jemand auf seiner Webseite etwas (angeblich) Anti-Semitisches geschrieben, jemand hat sich über Schwierigkeiten in der Schule beschwert, die er als antisemitisch motiviert sieht, aber etwas richtig Anti-Semitisches der letzten beiden Wochen läßt sich im ADL-Büro nicht auftreiben.

Endlich findet der Direktor einen etwas länger zurückliegenden Fall. Eine Frau hat bei einem jüdischen Begräbnis einen Polizisten gehört, der die Veranstaltung bewachte, als er in sein Handy bei einem Telephonat etwas Negatives gesprochen hat. Das hat sie so aufgeregt, daß sie es gemeldet hat. Was hat er gesagt? Ganz laut sei zu hören gewesen: "I am just finishing this jewish shit." Dazu muß man wissen: Die Amerikaner, speziell aber die New Yorker, gebrauchen Fäkalworte sehr häufig, wie man überall hört. Und wir wissen sogar aus eigener Erfahrung, daß wir rasch mal "Scheiße" sagen, sogar ohne es abwertend zu meinen, einfach der saloppen Konversation wegen. Jedenfalls, der Polizist hat sich, darauf von der ADL angesprochen, telephonisch bei der Frau entschuldigt. Die Sache war damit erledigt.

Weil sich kein so richtiger Fall finden läßt, flog Shamir nach Polen. Wohin ja jedes Jahr 30.000 israelische Jugendliche gekarrt werden, um in Auschwitz den Holocaust zu ventilieren. Dort sieht er, wie diese Kinder gleich mal in Rollenspiele eingeteilt werden, in denen jeder erleben darf, wie es so ist, wenn man von Nazis als Jude verfolgt wird. Nachdem ihnen der Security Guard erklärt hat, wie sie sich bei antisemitischen Terroranschlägen verhalten müssen. Um dann Anti-Semitismus hautnah zu erleben, als sie alte Polen (typisch jugendlich-respektlos) frech anreden, und die sie in die Schranken weisen. Da hatten sie ihren Beweis der Aussage der Security: Es könne jederzeit passieren, daß sie jemand angreife, denn sie seien ja Juden. Aber er werde sie beschützen. Und tatsächlich erzählen die nämlichen Mädchen in die Kamera, daß sie antisemitisch beschimpft worden wären. Was nachprüfbar nicht stimmte. 

Die Stimmung unter den Jugendlichen ist seltsam hysterisch, daß sogar der Nachtportier, als er kommt, um die tobenden Jugendlichen zur Ruhe aufzufordern, zu Reflexionen über den angeblich in Polen so virulenten Neo-Nazismus anzuregen. Allen Ernstes glauben die jungen Israeli, daß jederzeit Neo-Nazis das Hotel, in dem sie untergebracht sind, angreifen könnten. Wie ihnen eben erklärt wurde: Sie befänden sich in einem weiteren judenfeindlichen Land, in Polen. Der Security-Mann habe ihnen erzählt, daß erst vor einigen Wochen Neo-Nazis mit Steinen in ihren Fäusten durchs Hotel auf der Suche nach Juden durchs Hotel gestreift seien. Auch das ist schlicht erfunden, aber die Jugendlichen, das wird immer klarer, wachsen in eine Atmosphäre hinein, in der die ganze Welt gegen sie ist und ihnen nach dem Leben trachtet. Sogar der normale polnische Soldat, den sie am Flughafen sahen, ging nun plötzlich "wie ein Nazi". Und der Kontrolleur am Paßschalter "blickte wie ein SS-Offizier."

Hier zeigt sich die filmerische Qualität von "Defamation" am überzeugendsten. Denn Shamir schafft es, ohne es expressis verbis zu erwähnen, klarzumachen, daß sich rund um Anti-Semitismus und der Rolle des Holocaust darin (als zwangsläufiger Endpunkt des Anti-Semitismus) eine regelrechte Hysterie-Kammer aufgebaut hat. In die Generation um Generation hineingetrieben wird. Was eine fatale Fehlleitung in der Wirklichkeitsrezeption nach sich zieht. Der Anti-Semitismus in Israel wird so zur Obsession, zur Neurose, die zwangs-implementiert wird. Und die ADL spielt darin eine schreckliche und wichtige Rolle.
 

Morgen Teil 3)