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Montag, 21. Oktober 2019

100 Jahre Haß (8)

Teil 8)




Erneut wendet sich Shamir Foxman zu. Der in Europa (Polen) als Jude aufgewachsen ist und von da her eine gewisse leidvolle Geprägtheit hat. Nun begreift Shamir, daß die Gleichsetzung Anti-Semitismus und Anti-Israelismus für den Vorsitzenden der ADL nur Teil des Problems ist. Foxman fühlt die Problematik der Juden über die Geschichte, ihre Affinität für Geld, ihr schlechter Ruf als Kredithaie. Er fühlt sogar, daß da nicht alles richtig war. Und er hat die tiefsitzende Angst, daß man mit den Problemen - wie 1939ff. - nicht rechtzeitig fertig wird, wenn man sie nicht vorzeitig sieht. Er hat Angst, daß wieder ein Holocaust kommt, weil er meint, daß es damals wie zuvor immer nur um eines ging: Man wollte ans Geld der Juden. 

Finkelstein versteht das nicht. Wo, woran soll man heute einen Holocaust heraufziehen sehen? Das ist doch verrückt! Es gibt so viele Probleme auf der Welt. Und da soll er sich aufregen, wenn irgendein Pubertärer ein Hakenkreuz irgendwo an eine Wand malt? Dabei ist Finkelstein auf Druck der Israeli Lobby - die es also sehr wohl gibt - beziehungsweise des ADL von der Universität wegen seiner Ansichten entlassen worden. Er durfte nicht einmal mehr nach Israel einreisen, weil er als "Sicherheitsrisiko" eingestuft wurde. Jetzt erst sieht, riecht man es: Finkelsteins Existenz ist ruiniert.

Doch er steht mehr denn je zu seiner Sichtweise. Israel ist die älteste, noch aufrechte Okkupation der Gegenwart. Das bei jeder seiner Aggressionen den Holocaust als Entschuldigung vorschiebt. Jedes Land, das ein Territorium okkupiert, wird sofort weltweit geächtet. Bei Israel dagegen hört man nur Rechtfertigungen. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet Israel so viel Leid über seine Nachbarn und vor allem die Palästinenser gebracht hat, und das mit selbst erlittenem Leid rechtfertigt. Anstatt die Völker zu lehren, daß man aus Leiderfahrung lernen kann, daß man daran wachsen kann, macht Israel genau dasselbe, und führt als Entschuldigung das eigene Leid an. Es ist verhängnisvoll, daß Israels Politik von Kriegstreibern aus den Hamptons, aus Beverly Hills, New York oder Miami bestimmt wird.

Es könnte Israel nichts Besseres passieren, als sich von diesen Leuten zu trennen. (Auch vom ADL, der ebenfalls bereits Europa in seinen Klauen hat; Anm.) In der derzeitigen Situation kann man nicht einmal Mitleid mit den israelischen Opfern haben. Das wäre so, als würde man die Opfer Hitlers mit den Millionen toter Deutscher ausgleichen wollen. Israels Tote sind eine Folge seiner falschen Politik. Das einzige, was in Israels Politik konstant ist, ist, daß jeder, der einem nicht paßt, als "Nazi" beschimpft wird, auch Juden untereinander beschimpfen sich so. Mal ist es der, mal der, und am Schluß ist sowieso jeder ein Nazi, der eine andere Meinung hat als man selber. 

Den Schluß des Filmes bildet wieder eine Sequenz aus Auschwitz. Eine Offiziers-Abteilung der israelischen Armee stattet dem ehemaligen KZ einen Besuch ab. Erstmals passiert das in Koordination mit der ADL. Da stehen sie denn also, die Offiziere, mit Abraham Foxman, und bestätigen sich das Furchtbare. Der größte Friedhof aller Zeiten, sagen sie. Eineinhalb Millionen Juden, sagen sie. Auch der Security-Mann kommt noch einmal zu Wort. Ja, sie leben immer im Schatten des Todes. Und in Auschwitz herrschte jene Industrie des Todes. Die Deutschen haben damit begonnen, wir halten die Erinnerung daran aufrecht. Aber damit werden wir Juden, sagt er, nie ein normales Volk werden. Wegen des präsenten Todes, wegen der Erinnerung. Vielleicht aber, sagt der Security-Mann, übertreiben wir ein wenig. Denn so können wir nie ein normales Volk werden. Bis ihn ein israelischer Begleiter vertreibt. Er sitze an einem Platz, an dem zwanzig Juden getötet worden waren, er solle aufstehen, dort sitze man nicht. 

Später dieselben Jugendlichen in einer jüdischen Zeremonie. Sie zitieren Namen von getöteten Juden, erzählen in wenigen Sätzen deren Geschichte, schwören, sich immer an sie zu erinnern. Manche weinen, können es jetzt, in dieser tragischen Atmosphäre der fackelerleuchteten Nachtzeremonie. Sahen die Koffer, die Kinderschuhe, die Babykleidung, die Toilettartikel der getöteten KZ-Insassen. Umarmen sich schluchzend vor riesigen Installationen, die Leichenberge zeigen. Manche sind einem Nervenzusammenbruch nahe. Endlich können sie wie gesollt reagieren. Manche weinen, weil man ihnen gesagt hat, daß ihnen dasselbe blühe. Daß man ihnen ihre Haare nehmen werde, nur weil sie einer bestimmten Ethnie angehören. "Ich habe doch nichts getan," schluchzt eine. "Warum soll ich sterben?" 

Noch einmal Foxman. Es habe ihn mit Stolz, mit Hoffnung erfüllt, mit 150 israelischen Offizieren Hand in Hand durch diese Stätte des Grauens zu gehen. 

Die Schüler verlassen das Gelände. Ein Mädchen sagt, sie habe nun den Wunsch, alle, die das getan hätten, zu töten. Wen töten? Einfach alle. Alle? Alle Nazis. Alle Feinde, die uns das angetan haben. Aber die sind ja alle schon tot? Ja, aber ihre Nachfahren leben noch. Sie mögen anders sein, aber sie sind hier.

Yoav Shamir ist ein großartiger Film gelungen. Der beste, freimütigste Film, den der VdZ zu dem Thema je gesehen hat. Der das Gesamtproblem Israel - Juden - Anti-Semitismus tief durchdringen, und damit ordnen und erhellen kann. Lohnende eineinhalb Stunden. Wenn er eines gelernt habe, sagt Shamir ganz zum Schluß, dann das, daß uns der ständige Blick in die Vergangenheit zurückhält und blockiert. Vielleicht ist es an der Zeit, daß wir Israeli endlich in der Gegenwart leben und in die Zukunft blicken.








*260819*