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Samstag, 12. Oktober 2019

Kaschmirische Widersprüche (1)

Der Einspruch des VdZ würde kaum hörbar sein, würde jemand behaupten, daß große Teile der supertollen "Kritik im Netz" inhaltsleere Spiele archetypischer Konflikte sind, die sich eher aus Charakterdispositionen denn aus realen, sachlichen Problemen ergeben. Das anzunehmen legt auch dieses Interview nahe, in dem der amerikanische Superaufdecker Corbett, der mit täglich neuen Videos (die gar nicht immer uninteressant sind) den Verschwörungen der Welt auf der Spur ist (oder auf den Leim geht, was man nimmt, ist Geschmackssache), die so gar nicht immer Theorie sind. 

Ansonsten ist die Internetkritik dermaßen verworren und widersprüchlich, daß man sich nur wundern kann, daß sich von so viel hirnloser Meinung so viele so viel Aufklärung und Information erwarten. Entsprechend bewirkt auch dieses Interview nur Kopfschütteln. Da spricht Corbett mit Dr. Muhamad Junaid, einem Fachmann für Kaschmir, der in den USA studiert hat und lebt, über die jüngsten Entwicklungen. 

Was ist passiert? Seit vielen Jahren rumort es in Kaschmir, dieser nordwestlichen Provinz Indiens, wo eine Mehrheit von Muslimen einer Minderheit von Hindus gegenübersteht. Weil aber die Hindus das große (hinduistische) Indien hinter sich wissen, haben sie sich so manche Eskalation erlaubt, und die Muslime oft genug darauf geantwortet. Aber es waren die minoritären Hindu, die Massaker angerichtet haben, es waren Hindu, die durch Kapitalzustrom aus Indien die reale Macht der Hindu so gestärkt haben, daß sie der Bevölkerungsverteilung nicht entsprach, und oft genug einer Unterdrückung der Muslime gleichkam. 

Was sogar Pakistan (diese wegen der Religionskonflikte in ganz Indien 1956 erzwungene Ausgliederung aus Indien im Westen, im Osten entstand 1971 aus Ostpakistan bekanntlich Bangladesch) bereits zu verschiedentlichem warnen sollenden Eingreifen veranlaßt hat. Wie einem Einsatz von Kampfflugzeugen. Tatsächlich stehen und standen sich dort seit der Teilung hunderttausende Soldaten beider Länder (und Religionen) gegenüber, und ein Ausbruch der immer wieder aufflackernden kleineren Scharmützel und Feuer zu einem großen Krieg war für manche nur eine Frage der Zeit.

Bisher war Kaschmir ein Staat im Staat, mit weitgehender Autonomie. Mit der sollte das Problem der beiden unvereinbaren Religionen regional gelöst werden. Aber das schien alles andere als zu gelingen. Nun hat deshalb die Regierung in New Delhi reagiert und durchgezogen. Erst wurde die Zahl der in Kaschmir stationierten Soldaten der indischen Armee auf eine Million erhöht, dann wurden sämtliche führende Politiker inhaftiert und jetzt das Ende der Autonomie verhängt. Jeder politische Widerstand dagegen wird mit vorgehaltenem Gewehr unterdrückt. Kaschmir steht nunmehr nicht nur unter der Kuratel von New Delhi, sondern wird ab sofort in zwei Verwaltungseinheiten geteilt. Deren einer ist fortan muslimisch, deren anderer fortan hinduistisch geprägt. Durch klare Trennung der beiden Religions- und damit Volksgruppen soll der Konflikt befriedet werden. 

Narendra Modi, der Chef der Regierung Indiens, hat damit nichts anderes gemacht als das Unvereinbare wieder getrennt - zwei Religionen, zwei davon geprägte Kulturen können nur "nebeneinander" leben und existieren, wenn sie jeweils einen autonomen Lebensraum haben, der sich mit dem der anderen Gruppen nicht schneidet. Modi hat also ziemlich klug gehandelt (er wird doch nicht dieses Blog lesen? Immerhin hat es auch regelmäßig Zugriffe aus Indien) und das Unvereinbare durch den richtigen Segregationismus, der durch eine starke Exekutivmacht jeweils geschützt werden muß, von seinen Reibeflächen befreit. 

Die sich automatisch ergeben, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen auf demselben geographischen Raum leben sollen. Denn unterschiedliche Religionen sind unvereinbar. Sie sind nur dann (und dann nur scheinbar) vereinbar, wenn allen die Religion gleichgültig ist. Wie es der Liberalismus predigt, der Fragen der Identität, der Religion in die zweite Reihe abschiebt, weil vordergründig angeblich alle Menschen nur ihr (gleiches) täglich Brot, ihr (allen gleiches) Lammschaschlik und ihr iPhone samt 87 TV-Kanälen wollen. Auf das Niveau von Schweinen herabgesunken, muß nur noch alles getan werden, um alle auf diesem Niveau der Unsittlichkeit und Niedrigkeit zu halten. Wer immer mehr sein will, wer immer auf die verrückte Idee kommt, es gehe im Leben um Sinn, Identität und einen Auftrag dem Ewigen gegenüber, ist ein Störenfried und muß eliminiert werden.

Also meint auch Dr. Junaid, daß diese Segregierung falsch sei. Sie sei Zentralismus, mit dem man ein so wunderbares Land wie Kaschmir zertrümmert habe. In dem vor fünfzig, sechzig Jahren Hindu und Muslime nicht nur friedlich miteinander gelebt hätten, sondern sich auch einer Lebensweise befleißigt hätten, die praktisch keine Unterschiede kannte. Bis die Nationalisten kamen, bei den Muslimen nicht weniger wie bei den Hinduisten, und die Fackel in den Holzstoß warfen, auf dem zuvor doch alle so satt und durcheinander geschlichtet lagen.

Religiöse Unterschiede seien erst später hineingetragen worden. Und Junaid macht die "Rechten" dafür verantwortlich. Denen der kaschmirische Liberalismus ein Dorn im Auge gewesen sei. Sowohl auf muslimischer Seite wie auf der der Hindu wäre der Einfluß (auch durch Investitionen) von nationalistischen Ideologien immer größer geworden. Plötzlich gehe es überall um Identität - das war doch vorher allen gleichgültig gewesen?

Ehe wir dieser Frage weiter nachgehen, wollen wir aber doch die realpolitischen Aspekte der Entscheidung Modis ansehen. Denn sie kann nicht ohne Pakistan gesehen werden. Das sich nicht zweimal bitten läßt, wenn es um militärischen Einsatz zugunsten der muslimischen Glaubensbrüder geht. Einen nächsten Krieg zwischen den militärisch hochgerüsteten Ländern Indien und Pakistan, beides sind vermutlich Atommächte, hat Modi nun etwas Feuerholz entzogen.

Bleibt noch die Frage, ob Modi tatsächlich zentralistisch gehandelt hat? Das können wir aus unserer Soproner Stube, die Indien nur übers Internet betrachten kann, nicht wirklich beurteilen, würden aber aus allen vorliegenden Fakten sagen: Nein. Nicht in jedem Fall ist nämlich das Einschreiten der Zentralmacht zu verurteilen. Schon gar, weil Indien eher als "Reich" gesehen werden muß, das gewaltige Widersprüche zu vereinen sucht, ohne sie auslöschen zu wollen oder zu können. Und das ist ja die Funktion eines Reiches: Ein Dach zu bilden, das mehrere oder viele lokale Entitäten zusammenfaßt, und Schiedsrichter spielt, wenn es Konflikte gibt. Der VdZ sieht Modi also genau als das, als Schiedsrichter eines Reiches, das Indien heißt.


Morgen Teil 2)