Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 28. Januar 2020

Ein hartnäckiges Gerücht (2)

Teil 2) Vorsicht mit Lorbeerkränzen


Renault R5, Baujahr 1972
Zurück zur Geschichte oder sagen wir: Zur Legende. Die führenden Funktionäre haben aus verschiedenen Gründen, über die man nur spekulieren könnte (denn ganz einleuchtend ist keine der dann nötigen Erklärungen), angeblich dieses bahnbrechende, wegweisende Konzept abgelehnt. Daraufhin hätten die Zwickauer die Pläne kurzentschlossen VW angeboten, und dessen Manager hätten sofort zugeschlagen.

Um kurz darauf mit dem Golf aufzutauchen, welches VW, das damals in einer substantiellen Krise stand (der Käfer war am absteigenden Ast, ein Alternativkonzept für ein nächstes Massenauto aber nicht vorhanden), in die Lage versetzte, das Feld sozusagen "von hinten" aufzurollen, und sehr bald sämtliche Konkurrenten am Weltmarkt zu überholen.

In der BRD längst bekannt:
Kompakter Glas 04, Bj. 1960 (!)
Nimmt man einmal aus, daß VW mit seinem hohen Anteil an Staatsbeteiligung ein spezieller "Feind" des Ostens war, wäre aber aus anderen Gründen bei so einer Geschichte nicht nachvollziehbar, warum VW das hätte getan haben sollen. Der 1975 auf den Markt gebrachte Golf 1 hatte nichts von so einem Konzept, außer die Raumidee, und die war auch nicht neu. Der kommende Golf war sogar in der Karosserie anders aufgebaut. 

Und VW hätte zudem nichts für ein Raumkonzept dieser Art bezahlen müssen, wenn es diese Ideen nicht schon selbst gehabt hätte. Weil die gesamte europäische (und bald auch die japanische) Konkurrenz mit solchen Modellen bereits am Markt WAR. Schon lange sogar. Der Glas 104 etwa wurde schon 1960 auf den deutschen Markt gebracht. Und die Reihe ließe sich lange fortsetzen. Und das technische Konzept des Golfs hatte VW bereits 1970 mit dem K70 des späteren Golfs produziert.

VW K70, Baujahr 1970
Es war nur noch ein bißchen früh für alle diese Wagen gewesen. Der Zeitgeist für solch ein Auto war erst ab der Mitte der 1970er Jahre so weit gediehen, daß die Nachfrage danach tatsächlich explodierte. Ab da stimmte Form und Inhalt erst zusammen.

Und was war da neu am Zeitgeist? Der Funktionalismus brach sich endgültig Bahn. Überall, nicht nur am Automarkt. Die Autos, die seither gebaut werden, zumindest am Massenmarkt, zumindest beim "Auto für jedermann", haben den ursprünglichen Ansatz der Idee Auto auf den Kopf gestellt. Bislang war "Gestalt" und der Ordnungsraum, in dem sich Gestalt fand und befand, der Ausgangspunkt, und die Technik füllte diese Gestalt. Nun war es umgekehrt. Es ging um Funktionen, um auf bestimmte Aspekte hin reduzierte "Leistung". Design, Art, ja Lebensart wurde zum Zusatzpünktchen, zur eigenen Sache, die man den Dingen nur noch wie Quasten - wenn auch nicht wirklich nötig - umhängte.

Den klaren Zusammenhang aber, den Wahrheit und Schönheit und Gutheit mit Freiheit und schöpferischem Leben sowie einem gedeihlichen Ganzen (sic!) einer Gesellschaft und so auch einer Volkswirtschaft haben, müssen wir hier nicht noch einmal aufzeigen. Der Leser kann es außerdem selbst sehen. Denn spätestens seit dieser Zeit schustern wir (v. a. politisch) nur noch an Reparaturmaßnahmen herum, um die getroffenen Entscheidungen irgendwie noch auf "gut" zu trimmen, weil es ihnen allen sichtbar an so vielem mangelt. Was wir aber seither nur noch posthoc sehen. (Deshalb auch der Aufschwung des Liberalismus zur alleinseligmachenden Ideologie heute. Er macht es genauso, weiß alles erst im Nachhinein, aber dann viel besser.)

Peugeot 104, Baujahr 1972
Die Ingenieure in der ehemaligen DDR waren denen im Westen was die intellektuelle Kapazität anbelangt um nichts unterlegen, im Gegenteil, oft überlegen, weil Meister der Improvisationskunst, die Selbständigkeit beim Denken verlangt, was den Menschen im Westen immer mehr abhanden gekommen ist. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen, und muß ihnen nicht auch den VW-Golf als Goldmedaille umhängen, das haben sie nicht notwendig. Denn VW in Wolfsburg hätte diese Nachhilfe nicht gebraucht.

Es bleibt, und das ist nachweis- und belegbar, daß AUCH die Ingenieure in Zwickau sehr genau wußten, was sich am weltweiten Automarkt abspielte, und wohin der Zeitgeist im Westen ging. Ja, sie ahnten es sehr früh, als noch nichts am Markt wirklich darauf hinwies. Aber darin waren sie nicht die einzigen. Es hing einfach Anfang der 1970er in der Luft, und bekam seinen Anschub spätestens mit der (künstlich erzeugten) Ölkrise. Die ihre Auswirkungen auch in der Art, Dinge und Leben zu denken, hatte. 

Fiat 127, Baujahr 1971
Daß der Golf, diese Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie und Ingenieurskunst, nur durch die DDR-Ingenieure genommen habe ist deshalb ein Mythos. Der wie jeder Mythos ein Archetyp in die Welt stellt. Daß nämlich die größeren Geister jenseits der Mauer tätig waren. Sie wurden nur durch das Regime an der vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten gehindert, haben insgeheim und auf mannigfaltige (auch illegale) Weise denn doch die Geschichte des Westens bestimmt. 

Freilich, das Letztere stimmt. Wenn auch auf eine andere Weise. Aber mit dem Bekränzen mit Lorbeeren für die Entwicklung im Westen wäre der VdZ ziemlich vorsichtig. Sie könnten faul sein und stinken.