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Mittwoch, 8. Januar 2020

Politik unter der Politik

Die Frage, die Götz Kubitschek und Benedikt Kaiser in diesem Gespräch über die Ausgabe 92 der Monatsschrift "Sezession" aufwerfen, ist tatsächlich entscheidend. Es geht um die Frage nach dem, was Stabilität gibt. Was das Leben für die Menschen berechenbar, verläßlich, wenigstens halbwegs planbar macht. So daß sie ihren eigentlichen, eben den normalen Lebensvollzügen nachgehen können, ohne hinter jeder Ecke einem Versuch zu begegnen, von diesem Weg abgedrängt, auf andere Themen abgelenkt zu werden, die angeblich wichtiger, brennender, drängender sind. Diese Normalität ist es, die den Menschen in unseren Ländern schon so weitgehend fehlt, daß das Unbehagen immer größer wird. Einerseits, und anderseits das Gefühl der Ungesichertheit wächst. Das fernab von Sozialstaatsabgesichertheit zu sehen ist, diese schieben nur eine scheinbare Bildfläche vor. Doch um die geht es gar nicht. Die Menschen wären sehr wohl bereit, fähig und willens, das Bett zu verlassen, in das sie ständig gedrängt werden.

Denn eines, eines darf in allem nie passieren: Es dürfen keine Grundfragen gestellt werden, die definieren, nicht einmal notwendig hinterfragen, einfach nur definieren, und das heißt: neu definieren, was wir als Basis und damit Ziel unseres Lebens überhaupt wollen. Was eine Frage um das Gemeinwohl ist. 

Nicht um die einer Auflösung auch dieses Begriffs in bestimmte ökonomische oder psychologische Parameter, wie genug Geld, genug Auto, genug Fernsehen, genug Schnitzel am Teller, und ausreichendem Wohlgefühl, und sei es durch Psychosubstanzen aller Art. 

Die derzeitige Politik unterbindet dieses Fragen, nimmt sich das Recht, diese Grundrichtungen zu bestimmen, ohne daß sie hinterfragt oder diskutiert werden dürfen. Sie verlangt, daß unsere Völker akzeptieren, daß sich Politik nur noch in Fragen erschöpft, in denen es um irgendwelche Ablaufoptimierungen geht, die ihre Zielrichtung aus gar nicht mehr auszumachenden Orientierungen schöpfen und hin- und hermäandern. Wir haben es somit in der Tagespolitik nur noch mit einem fast beliebig ausgestatteten und auszustattenden Feld von "Zu Lösendem" zu tun, das in Wahrheit die Menschen immer weniger interessiert. Und dennoch werden sie verpflichtet, ja mit Strafandrohung dazu verdonnert, die Themenvorgaben zu akzeptieren, ja sich an diesen ganzen Scheindiskussionen zu beteiligen. Jede Abweichung wird mit hohen Mauern des "Bösen" umgeben, über die zu schauen alleine schon den Tatbestand der Ausschließung von jeder Gemeinschaft (die Gesellschaft in ihrer Organisation einmal war und letztlich sein sollte).

So müssen wir damit leben, daß uns die Auflösung der Ordnungen als Norm, als Gesolltes vorgestellt wird. Die wir nicht nur zu schlucken, sondern die wir aktiv zu vollziehen haben, sonst werden wir geächtet und fallen erst recht aus der Normalität heraus. Diese Spannung zerreißt die Bürger unserer Länder bereits heute, in der Diskrepanz zwischen inneren, tiefsten Gefühlen und äußeren Wert- und Moralkonstrukten, die mit unserem tiefsten Grund nicht mehr vereinbar sind.

Es geht also in der Frage um die Normalität um eine Grunddiskussion. die zwischen zwei Polen gespannt sein muß, will sie nicht das Chaos der Revolution, und das heißt: der offenen Zerstörung des natürlichen Grunds unseres Lebens. Die uns aus unserer eigenen Geschichte endgültig herausreißt, uns geschichtslos macht. Es geht um die Spannung zwischen der Aufrechterhaltung des Bestehenden, des Rechtsstaates, der verläßlichen Rechtsordnung, der Haltbarkeit aller bisherigen Begriffe und Werthaltungen, und der Frage, wie und mit welchen Mitteln innerhalb der faktischen, über diese Grundfragen gespannten Diskursebene der Scheinthematiken diese Ordnung noch bewahrt oder, wo sie bereits zerstört ist, weder belebt werden kann. 

Selbst wenn manche Linke diese Problematik noch erkennen, und in ihrer Analyse der Schwächen und Zerstörungen von den Einschätzungen der meisten Rechten nur wenig entfernt sind, so leiden sie doch daran, daß innerhalb ihrer linken Strukturen eine realistische, reale, politische Lösung nicht möglich ist. Zu sehr sind die notwendigen Maßnahmen mit dem Tabu des "absoluten Bösen" belegt. Jene Torwächter, die alles zurückscheuchen, das aus der Deckung hervorkommen will, hinter der die Vernunft noch ihre wenige Atemluft schöpft.

Es ist aber in höchstem Maß eine Frage des Religiösen, weniger oder gar nicht der faktischen Politik und deren Wirkmechanismen. Nur aus dem heraus läßt sich jener Subtext einer und unserer gesellschaftlichen Verfaßtheit rekonstruieren (weil er im Wesentlichen noch "vorhanden" ist, aber durch die Wahl anderer Bezugspunkte immer mehr entleert wird), der diese Normalität für die Menschen wieder herstellt, nach der sich alle sehnen. Geschieht und gelingt das nicht, stehen wir tatsächlich vor dem Zerfall in einerseits unzählige Parallelgesellschaften, die nichts mehr zusammenhält und wenigstens ihr Zueinander ordnet (denn: wonach? nach welchen Gesichtspunkten?), sowie der Rückfall in die nächst-natürlichen Ebenen, die Familien, die Clans also. Denn hier sind uns die zugewanderten Völker und Kulturen (man muß es mittlerweile so nennen) hoffnungslos überlegen. Wir haben diese natürlichsten sozialen Ordnungen, die immer noch und in allen Unwägbarkeiten der Zeit die Menschen in Identität und Selbststand halten, nämlich gar nicht mehr.

Man kann nicht, wie es bei uns versucht wird, auf den Fundamenten einer christlichen Kultur nicht-christliche Strukturen aufsetzen. Diesen fehlt jede normale, natürliche Ausgerichtetheit, und ihr bleibt deshalb nur die Alternative totaler Gewalt und Kontrolle, oder der totalen Auflösung. In der ein nunmehr braches Land neuen kulturgestalterischen Kräften - und das heißt vor allem: Religionen - überlassen werden muß.

Derzeit aber haben wir es mit einer zunehmend beleidigten (und damit gefährlichen, weil bereit, jedes Mittel durch den "edlen" Zweck gerechtfertigt zu sehenden) Elite zu tun, die wie ein Rumpelstilzchen abends wütend ums Feuer hüpft, weil die Bevölkerung ihre Beglückung nicht so annimmt, wie sie das den Elitenmaßstäben nach sollte.