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Montag, 20. Januar 2020

Ein zu klärendes Mißverständnis

Man trifft sehr häufig auf die Ansicht, daß Konservativismus und Liberalismus nicht nur gut vereinbar wären, sondern daß der Konservative an sich einen gewissen liberalen Zug habe. Aber das ist ein grobes Mißverständnis, wenn nicht bewußt gestreute Täuschung. 

Denn der Konservative ist nicht aus sich heraus "liberal", sondern er ist "tolerant". Er geht immer von einem Gesollten aus, von einem Idealbild, mehr oder weniger, respektiert die Freiheit des anderen, weil er weiß, daß letztlich jeder Mensch nicht nur zu Freiheit berufen ist, als Grundpfeiler seiner Würde, sondern auch nur in Freiheit entscheiden können muß. Der Konservative weiß, daß es ein Gemeinwohl gibt, das sehr wohl auf ein absolutes Ziel ausgerichtet ist. Seine Sicht des politischen Handelns ist getragen von jenem Realismus, der weiß, daß es kein Gemeinwohl gibt, das einfach so entsteht, wenn man alle Menschen tun und lassen läßt, wie sie es gerne hätten. 

Er weiß, daß Aufgabe und Aufgabenlösung mit Stand und einer hierarchischen Ordnung zu tun haben, die als eigentliche Wirklichkeit allem zugrunde liegt. Aufgabe der Politik muß es sein, diese natürliche Ordnung nicht zu behindern, wenn nicht zu fördern. Überläßt man den Menschen aber sich selbst, kommt seine Neigung zum Bösen, zum Egoismus, zum Schlechten fast automatisch durch, und wird die bestimmende Komponente einer Gesellschaft. Die sich zum Kampffeld umbaut, in dem letztlich immer der Skrupellosere, der Unmoralischere Vorteile hat, und deshalb eine Gesellschaft, eine Kultur bestimmen kann.

Anders der Liberale. Der davon ausgeht, daß es ein Idealbild einer Gesellschaft, ein definierbares Gemeinwohl gar nicht gibt. Sondern, daß jeder Zustand gleich gut und gültig ist, wo sich Menschen in "Harmonie" von "Angebot und Nachfrage" treffen. Diese hegelianisch-evolutionäre Weltsicht liegt dem Liberalismus zugrunde, der also seiner Natur nach sogar "links" ist. Er wird deshalb eine Gesellschaft immer zu einem Chaos umbauen, läßt man ihn, in dem "Ordnung" nur durch die Diktatur der Stärkeren, Unmoralischeren, Skrupelloseren entsteht. Darin widerspricht er dem Konservativen fundamental. Seine Freiheit ist die Ungezügeltheit des Stärkeren, so daß sein Sprechen von Freiheit (im Wort schon beschlossen) eine Lüge ist, ein Trostbrot für die Unterlegenen. Gerade diese sind es aber oft, die als die Edleren das Fundament des Gemeinwohls bilden.

Deshalb ist der Liberalismus lediglich die ideologische Vorfeldorganisation des Oligarchentums, des Kapitalismus (wie er im eigentlichen Sinn zu verstehen ist: Als Diktat eines technisch und zugleich "lebendig" und aus sich vermehrungsfähig verstandenen Kapitals.) Er schwächt die Konservativen, die ihm meist bedrückend naiv und arglos gegenüberstehen, weil sie von anderen eigenen Geprägtheiten und Absichten ausgehen und mit so einer weitgehenden Lüge nicht rechnen. Zumindest glaubt der Konservative oft genug und fälschlich genug an Synergieeffekte, an teilweise Vereinbarkeiten, an die Möglichkeit, mit dem Liberalismus wenigstens ein Stück weit auf dem Weg zur Freiheit zusammenzuarbeiten. 

Aber die bestehen im Liberalismus nur dem Worte nach. Seine Praxis zielt stets und aus seiner Natur heraus auf die immer konzentriertere, faktische, "entstandene" Diktatur der Starken ab, während der Schwache durch diese Ideologie weiter geschwächt wird, weil ihm gesagt wird (was er viel zu leicht glaubt), daß er selbst und in allen Punkten Herr und Verursacher seines Schicksals ist. Weil ihm gesagt wird, daß eine Gesellschaft sich "von unten nach oben" durch das Prinzip der Leistung organisiere. Daß es also ein allem vorangehendes Ordnungsprinzip nicht gibt, daß der Stand nicht dem Dasein vorausgeht, sondern selbst zu schaffen ist. So daß der Mächtigere seine Herrschaft voll legitimiert wissen darf, weil er diese Herrschaft nur seiner Tüchtigkeit verdankt. Was im Grunde Calvinismus ist, was aber vor allem dem tödlichen Zynismus entspricht, daß die Stellung eines Menschen vom Aktualisierungsgrad von Leistung = Nützlichkeit abhängt.

Eine Sättigung im Stand kennt er nicht, denn jeder Stand ist nach oben hin "offen", so behauptet er zumindest. Damit appelliert er sogar an niedrigste Instinkte, und bringt Eigenschaften zur Dominanz, die keine Gesellschaft wirklich will: Ellbogen, Egoismus, Skrupellosigkeit, Mittel, die der Zweck heiligt. Damit ist Entwurzelung beziehungsweise Wurzellosigkeit als eine der Folgen des Liberalismus identifizierbar, die in ihren Folgen auf die Auflösung aller natürlichen sozialen Gefüge abzielt. Die prinzipiell und jederzeit verhandelbar werden. Vor allem die Religion wird - was keinem Konservativen richtig erscheinen kann - zu einem Privatereignis, und ist lediglich dem Nutzenaspekt unterworfen. Als ordnender Faktor einer Gesellschaft zählt sie höchstens durch ihre moralische Bindungskraft (woraus allerspätestens die Herkunft des Liberalismus aus dem Protestantismus beziehungsweise dem Kapitalismus deutlich werden müßte).

Während dem Konservativen, aber generell dem Schwächeren das Gebot des Liberalismus verbietet, ideologische Feinde zu identifizieren und entsprechend zu handeln.  Deshalb wird diese Problematik auch in konservativen Kreisen nicht gesehen, geschweige denn diskutiert.

Liberalismus und Katholizität sind somit prinzipiell Widersprüche, ja unversöhnliche Gegner. Und Konservativismus kann nur katholisch sein, sonst wird er zur Erstarrungs-Ideologie. Aber genau dort liegt vermutlich auch das so häufige Mißverständnis, in dem sich Konservative als liberal bezeichnen. Denn in dieser ideologischen Starre wird der Konservativismus zu einem Stadium des Liberalismus, in dem der Liberale lediglich sein Erreichtes durch Verhindern von Änderungen absichern möchte.