Morgen Teil 2) Psychiatrie ist normaler als die Wissenschaft
Der erste Fall ist der des
charismatischen Psychologen David Rosenhan. Der 1973 mit seinem Buch
"On Being Sane in Insane Places" schwerste Erschütterungen in der
Psychiatrie auslöste. Rosenhan veröffentlichte darin die Ergebnisse
einer "Studie", in der er mit sieben seiner Studenten ein Experiment
durchgeführt hatte. Alle diese waren in verschiedenen psychiatrischen
Kliniken und haben sich dort als psychisch gestört vorgestellt, eine
vorher abgesprochene psychologische Pathologie von sich behauptet, und
um Behandlung gebeten. Das Ergebnis war ein Schock für die amerikanische
psychiatrische Gesellschaft: Einmal für pathologisch erklärt, gelang es
ihnen nicht mehr zu beweisen, daß sie normal waren! Erst mit massivem
Druck von außen konnten sie den Fängen der Psychiatrie wieder
entkommen.
Die Folgen waren gravierend. Rosenhans Studie
hat dazu geführt, daß der Ausbau von psychiatrischen Anstalten zum
Erliegen kam. Das geht so weit, daß man heute davon spricht, daß es in
den USA gut hunderttausend psychisch schwerkranke Menschen gibt, die "im
normalen Leben" ihr Dasein fristen, für deren dringende Behandlung und
Hilfestellung aber keine Kapazitäten mehr frei sind.
Dabei
war Rosenhans Behauptung ... eine Lüge. Das weiß man heute. Rosenhan
hat nicht nur keine neun anderen Studenten als Probanden ins Rennen
geschickt, sondern NEBEN IHM SELBST bestenfalls zwei weitere, von denen
er einen aber überhaupt unterschlug. Zudem hat er seine psychischen
Symptome dermaßen übertrieben, daß den Psychiatern keine andere Wahl
blieb als ihn unter Kuratel zu stellen. Beim zweiten Probanden war es
ähnlich. Die gesamte Geschichte, die Rosenhan aber nun der Welt
erzählte, war eine literarisch zwar interessante Erfindung und
Projektion "eines Möglichen", aber keineswegs "wissenschaftlich" und in
der Realität amerikanischer Psychiatrie begründet.
Was
war mit dem zweiten Pseudopatienten? Harry Lando, so hieß er, machte
völlig andere Erfahrungen als Rosenhan recht war. Lando beobachtete, daß
sich in einer psychiatrischen Anstalt auch schwere Fälle (etwa von
Schizophrenie) innerhalb weniger Wochen beruhigten und für die Patienten
zu einem eindeutig einfacheren, besseren Leben führten. Sie waren froh,
in solche geschützten Umgebungen gekommen zu sein, in denen man sich um
sie kümmerte und ihnen die schlimmsten Leiden linderte. Auch die
Medikation (eine der angeblich schrecklichsten Seiten der Psychiatrie,
wie Rosenhan behauptete) war deutlich zurückhaltender, und ging in allen
Fällen nach Ersteinlieferung auch zurück. Das Horrorbild, das der
Psychologe Rosenhan gezeichnet hatte, existierte also gar nicht.
Dennoch
hatte seine Neudefinition dessen, was "psychische Gesundheit" ist, und
welche Rolle psychiatrische Anstalten als gewaltsame, brutale
Normalisierung hin auf Gesellschaftsstandard darin spielen, weltweit und
bis heute die Psychologie beeinflußt und sogar bestimmt. Psychische
Normalität hatte nun kein objektives Fundament mehr, sondern war RELATIV
zum Narrativ einer Gesellschaft. Es gab fortan keinen Zustand
seelischer Normalität mehr, sondern nur noch insgesamt relative
Zustände, in denen niemand mehr zwischen gesund und krank unterscheiden
konnte, weil alles alles sein konnte. Je nachdem, wie der
Interpretationsstand einer Gesellschaft eben war.
Ein
schwerer Irrtum! Denn sehr wohl gibt es auch im Seelenleben eines
Menschen objektive Maßstäbe, die in der Natur des Menschen begründet
liegen. Und die ist NICHT relativ, sondern lediglich auf die
Gesellschaft BEZOGEN: Rosenhan WOLLTE einfach diese Interpretation,
seine Ausgangsthese, und was an Daten dagegen sprach wurde einfach unter
den Tisch fallen gelassen.
Etwas sehr Ähnliches läßt sich zum Fall eines (vorgeblichen) Experiments sagen, das in der Literatur wie im Film unter dem Titel "Die Welle" bis heute als maßstäblich gilt, und auch hier: Für das, was NORMAL ist. Durchgeführt hat es der niederländische Psychologe Diederik Stapel, der sich erst durch eine Studie einen Namen machte, in dem er einen Zusammenhang zwischen dem Verwahrlosungszustand des Utrechter Bahnhofs und Rassismus aufgezeigt hatte. Stapel wurde fortan in weltweiten Kooperationen zur Koryphäe im Bereich "Vorurteil und Rassismus" erklärt, und arbeitete in zahlreichen Projekten, die dieses angeblich bewiesene menschliche Fehlverhalten zu politischen Maximen umgoß. Ehe er 2011 endgültig zum Ruhm, aber zu dessen fraglichster Seite, gelangte. Denn es stellte sich heraus, daß er die Daten zu einer legendären Studie weitgehend erfunden oder völlig willkürlich interpretiert hatte. Stapel wollte eben, daß es so ist, wie er "herausfand", aber er hatte dafür nie und nimmer wissenschaftlichen Beleg.
Morgen Teil 3) "Die Welle" - ein wissenschaftlicher Niederschlag
*071119*
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