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Samstag, 11. Januar 2020

Sicher Gewußtes - Sicher Falsches (2)

Morgen Teil 2) Psychiatrie ist normaler als die Wissenschaft



Der erste Fall ist der des charismatischen Psychologen David Rosenhan. Der 1973 mit seinem Buch "On Being Sane in Insane Places" schwerste Erschütterungen in der Psychiatrie auslöste. Rosenhan veröffentlichte darin die Ergebnisse einer "Studie", in der er mit sieben seiner Studenten ein Experiment durchgeführt hatte. Alle diese waren in verschiedenen psychiatrischen Kliniken und haben sich dort als psychisch gestört vorgestellt, eine vorher abgesprochene psychologische Pathologie von sich behauptet, und um Behandlung gebeten. Das Ergebnis war ein Schock für die amerikanische psychiatrische Gesellschaft: Einmal für pathologisch erklärt, gelang es ihnen nicht mehr zu beweisen, daß sie normal waren! Erst mit massivem Druck von außen konnten sie den Fängen der Psychiatrie wieder entkommen. 

Die Folgen waren gravierend. Rosenhans Studie hat dazu geführt, daß der Ausbau von psychiatrischen Anstalten zum Erliegen kam. Das geht so weit, daß man heute davon spricht, daß es in den USA gut hunderttausend psychisch schwerkranke Menschen gibt, die "im normalen Leben" ihr Dasein fristen, für deren dringende Behandlung und Hilfestellung aber keine Kapazitäten mehr frei sind.

Dabei war Rosenhans Behauptung ... eine Lüge. Das weiß man heute. Rosenhan hat nicht nur keine neun anderen Studenten als Probanden ins Rennen geschickt, sondern NEBEN IHM SELBST bestenfalls zwei weitere, von denen er einen aber überhaupt unterschlug. Zudem hat er seine psychischen Symptome dermaßen übertrieben, daß den Psychiatern keine andere Wahl blieb als ihn unter Kuratel zu stellen. Beim zweiten Probanden war es ähnlich. Die gesamte Geschichte, die Rosenhan aber nun der Welt erzählte, war eine literarisch zwar interessante Erfindung und Projektion "eines Möglichen", aber keineswegs "wissenschaftlich" und in der Realität amerikanischer Psychiatrie begründet. 

Was war mit dem zweiten Pseudopatienten? Harry Lando, so hieß er, machte völlig andere Erfahrungen als Rosenhan recht war. Lando beobachtete, daß sich in einer psychiatrischen Anstalt auch schwere Fälle (etwa von Schizophrenie) innerhalb weniger Wochen beruhigten und für die Patienten zu einem eindeutig einfacheren, besseren Leben führten. Sie waren froh, in solche geschützten Umgebungen gekommen zu sein, in denen man sich um sie kümmerte und ihnen die schlimmsten Leiden linderte. Auch die Medikation (eine der angeblich schrecklichsten Seiten der Psychiatrie, wie Rosenhan behauptete) war deutlich zurückhaltender, und ging in allen Fällen nach Ersteinlieferung auch zurück. Das Horrorbild, das der Psychologe Rosenhan gezeichnet hatte, existierte also gar nicht.

Dennoch hatte seine Neudefinition dessen, was "psychische Gesundheit" ist, und welche Rolle psychiatrische Anstalten als gewaltsame, brutale Normalisierung hin auf Gesellschaftsstandard darin spielen, weltweit und bis heute die Psychologie beeinflußt und sogar bestimmt. Psychische Normalität hatte nun kein objektives Fundament mehr, sondern war RELATIV zum Narrativ einer Gesellschaft. Es gab fortan keinen Zustand seelischer Normalität mehr, sondern nur noch insgesamt relative Zustände, in denen niemand mehr zwischen gesund und krank unterscheiden konnte, weil alles alles sein konnte. Je nachdem, wie der Interpretationsstand einer Gesellschaft eben war. 

Ein schwerer Irrtum! Denn sehr wohl gibt es auch im Seelenleben eines Menschen objektive Maßstäbe, die in der Natur des Menschen begründet liegen. Und die ist NICHT relativ, sondern lediglich auf die Gesellschaft BEZOGEN: Rosenhan WOLLTE einfach diese Interpretation, seine Ausgangsthese, und was an Daten dagegen sprach wurde einfach unter den Tisch fallen gelassen.

Etwas sehr Ähnliches läßt sich zum Fall eines (vorgeblichen) Experiments sagen, das in der Literatur wie im Film unter dem Titel "Die Welle" bis heute als maßstäblich gilt, und auch hier: Für das, was NORMAL ist. Durchgeführt hat es der niederländische Psychologe Diederik Stapel, der sich erst durch eine Studie einen Namen machte, in dem er einen Zusammenhang zwischen dem Verwahrlosungszustand des Utrechter Bahnhofs und Rassismus aufgezeigt hatte. Stapel wurde fortan in weltweiten Kooperationen zur Koryphäe im Bereich "Vorurteil und Rassismus" erklärt, und arbeitete in zahlreichen Projekten, die dieses angeblich bewiesene menschliche Fehlverhalten zu politischen Maximen umgoß. Ehe er 2011 endgültig zum Ruhm, aber zu dessen fraglichster Seite, gelangte. Denn es stellte sich heraus, daß er die Daten zu einer legendären Studie weitgehend erfunden oder völlig willkürlich interpretiert hatte. Stapel wollte eben, daß es so ist, wie er "herausfand", aber er hatte dafür nie und nimmer wissenschaftlichen Beleg.

Morgen Teil 3) "Die Welle" - ein wissenschaftlicher Niederschlag