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Mittwoch, 22. Januar 2020

Laßt uns ein wenig kritisch plaudern (1)

Norbert Bolz hat zweifellos Unterhaltungsfaktor. Aber auch fast nur solchen. Insofern ist es manchmal durchaus amüsant und entspannend, ihm zuzuhören. Denn innerhalb gewisser Grenzen sagt er recht trefflich, wo der Schuh drückt. Richtig, werter Leser dieser Zeilen, das hatten wir ja schon ... als Merkmal des Liberalen. Bolz ist einer, und er ist Protestant. Beides sind die schlechtesten Voraussetzungen, um den Problemen, eben dem Stein im Schuh, ontologisch auf den Grund zu gehen. 

Insofern hilft nicht viel weiter, was er sagt, außer daß es für gewissen Small-Talk und Geplaudere im Kaffeehaus oder in Talk-Shows präpariert. Aber das macht er ordentlich, und dafür ist er auch sympathisch genug. Außerdem sagt er da und dort ja Richtiges, vor allem wo er als Wissenschafts-Insider spricht, und er ist in seinem Rahmen wahrhaftig, das ist ihm auf jeden Fall positiv zuzuschreiben. Man sollte nur nicht den Fehler machen, es sich in der Blase solcher Kritikplaudereien allzu wohlig einzurichten.

In diesem Vortrag spricht er etwas an, das freilich nicht nur für den Wissenschafts- und Politikbereich gilt. Die Blase, in der sich solche Leute befinden, geht nahtlos vom Schul- auf den Universitätsbetrieb, und von dort auf den Berufsbereich über. Aber das betrifft heute sehr viele Menschen, auch in früher alltäglichsten Bereichen. Der Bereich jener, die wirkliche Wirklichkeitserfahrung haben, die also von ihrem Tun einerseits, und der Reaktion der Welt anderseits, existentiell abhängig waren und sind, wird immer kleiner. Was dann die Lücken zwischen Schule, Universität und Leben betrifft, werden die von permanentem Medienkonsum, vor allem durch pausenlose Eingebundenheit in social media gefüllt. Damit bleibt die Membran der Entwirklichung (als Entwurzelung) intakt.

Ein Wort sei herausgegriffen, das Bolz anführt: Das vom "Phantomproblem". In solchen abgeschlossenen Blasen passiert es allzu leicht, daß sich Probleme ergeben, die in der Wirklichkeit gar keine sind. Die aber kraft der Medienmacht dieser Berufsfelder (die bevorzugt entwirklicht sind), kraft der Autorität, die sich mit ihrer Stellung verbindet, zu "wirklichen" Problemen hochstilisiert werden und den Diskurs beherrschen. Der dann zur sinnlosen Quatscherei - zum BULLSHIT - wird, der von völliger Indifferenz, ja Ignoranz der Wahrheit als (auch: gemeinschaftsbildendes) Kriterium getragen ist.

Ganz am Anfang zitiert Bolz noch etwas, das zu wichtig scheint, als daß es unterginge, es scheint sogar das Hauptpünktchen auch der political correctness zu sein: Die Menschen, das Volk läßt sich von Medien gar nicht beeinflussen. Was tagein-tagaus gehört wird, ist genauso schnell wieder vergessen und hat oder hätte keine Relevanz. Die hat es nur für opinion leader, Führungskräfte, Autoritäten, Intellektuelle, Politiker, die den Medienquatsch ernst nehmen. Und erst im Blick auf diese Autoritäten folgt dann das Volk in der Einschätzung der Weltdinge. 

Man kann deshalb sehr oft beobachten, daß ein alltäglicher Disput über dies oder das gar kein Streit über die Dinge selbst ist. Dazu wissen die Menschen in der Regel viel zu wenig Relevantes zu sagen. Es ist vielmehr ein Streit über den Rang und die Stellung der Autorität, von der sie diese Einschätzung übernommen haben. Die Menschen folgen also gar keinem Urteil, sie folgen Personen, denen sie folgen.

Entsprechend ist ein Streit unter "Fachleuten" selbst fast immer kein Streit um sachliche Fragen, sondern einer um die größere Autorität der sich behauptenden Personen als Gestalt. Es ist ein Streit um den Ort, an dem man in der Schöpfungsordnung steht, und den man verdient zu haben meint. In jedem Fall ist dieser "höher" - nach dem Autoritätsschema, das sie in der Kindheit erfahren haben - als der, an dem sie ursprünglich standen oder an dem sie sich erfahren haben. Der ihnen aber nicht gereicht hat. Es ist also ein Streit um den Platz zur Rechten und Linken Gottes DURCH Leistung.

Das ist zugleich schon der tiefere Sinn der political correctness. Sie ist eine Erfindung von Minderheiten, gewissermaßen, von Gruppen, die sich aufgrund der Gruppenidentität, der Stellung dieser Gruppe in einer größeren, umfassenderen Gruppe untergeordnet erleben.

Morgen Teil 2)