Wer heidnische Völker aber kennt, weiß, welche Rolle die Botschaften der Götter für sie spielten. Nichts haben die Römer und Griechen unternommen (und sie sind nur angeführt, weil wir von ihnen so viele Schriftzeugnisse haben, daß wir ihre gesamte Kultur so gut rekonstruieren können, daß wir darüber diskutieren, ob Caesar am Morgen seines Todestages Rühreier mit Speck an Olivenparfait oder gekochten Schinken à la Gallia brut aß, und warum, die zahlreichen Schriften widersprechen sich nämlich) ohne die Götter nach ihrem Willen zu befragen, nichts ohne von ihnen zu erfragen, was zu tun sei.
Die Orakel der Menschheitsgeschichte als Heiden - deren Thematik aber für den Menschen konstitutiv, also selbstverständlich auch heute brandaktuell ist - waren ausgebucht, in denen Priester ihre Sinnsprüche vom Stapel ließen, die den Befragern sagten, wohin sie ziehen sollten. Und ohne den Vogelzug gedeutet zu wissen, ohne zuvor noch rasch die Innereien einer Gans studiert zu haben, hätte auch kein Römer seinen Fuß vor die Tür gesetzt.
Nicht anders andere Heidenvölker, und nicht anders vermutlich - die Azteken. Aber nun, mit der Ankunft der christlichen Spanier gewissermaßen, war die Antwort der Priester, was zu tun sei, was die Götter sprachen und wohin sie den nächsten Schritt machen sollten, ein kräftiges Achselzucken. DIE GÖTTER WAREN STUMM.
Vielleicht erinnern wir uns aber nun an ein Ereignis, von dem ebenfalls Chroniken berichten. Die niederschrieben, was sich ab dem Tag bei den "Rest-Juden" zutrug, an dem Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Gott und Mensch zugleich war, ans Kreuz genagelt wurde. Schon vom Todesmoment Christi wird berichtet, daß "der Vorhang im Tempel mitten entzwei riß". Außerbiblische Zeugnisse aber gehen dann weiter, und berichten von Ereignissen, die den Pharisäern und Hohepriestern des Jerusalemer Tempels der Faden, der zuvor immer nach dem Pascha-Fest rot geworden war, als Zeichen, daß Gott das Sühnopfer für sein Volk angenommen hatte, ist so ein Zeichen, oder die Tore des Tempels, die fortan jede Nacht aufsprangen, was immer man unternahm, um sie wieder zu befestigen. Die Orakel schwiegen. Gott schwieg. Gott war ... nicht mehr da. Er hatte sein Volk verlassen.
Wer diese Dinge nicht ernst nehmen möchte, versteht nicht, von welcher Bedeutung sie für ein heidnisches Volk sind. Und dort noch einmal mehr für alle Verantwortungsträger. Denn die Frage nach der Legitimität ist sowohl für das Handeln als auch für die unbestreitbare Stellung der Machthaber in den Augen und Herzen des Volkes, über das sie herrschen - wenn die Machthaber und Priester nicht mehr beweisen können, daß Gott bzw. die Götter bei ihnen sind, dann müssen sie weichen!
Und genau das haben die Azteken, die man sich wie eine Führerschicht vorstellen muß, die mit brachialer Gewalt über die Menschen herrschte, damals erlebt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal Jacques Ellul zitieren, der aber nicht der einzige ist, der als eines der Hauptmerkmale, die das bevorstehende Ende einer Herrschaft ankündigt der Umstand ist, daß sie ihr Selbstbewußtsein verliert. Daß sie die Selberverständlichkeit nicht mehr hat, in der sie ein Volk regiert.
Oder bedenke man die alles entscheidende Bedeutung der Handauflegung, der persönlichen Weitergabe der sakramentalen Priesterweihe in der Katholischen Kirche! Ohne Autorisierung keine Autorität, und ohne Autorität- keine Macht! Ohne Autorisierung, ohne definitive Zustimmung Gottes zur Innehabung eines Amtes - keine Gewißheit in der priesterlichen Handlung.
Und wem das immer noch nicht profan genug heruntergebrochen ist, der möge sich einen Bezirkshauptmann vorstellen, dessen Beglaubigungsschreiben vom Präsidenten nie einlangt.
Die Götter haben plötzlich geschwiegen, und sie haben damals die Elite der Azteken in tiefste Zweifel gestürzt, wie sie nun vorgehen sollten. Und sie haben ihr jedes Selbstvertrauen geraubt, was sich sofort und unmittelbar auf die von ihnen befehligten Soldaten ausgewirkt hat. Die nun nicht mehr sicher sein konnten, ob ihre Sache gerecht (weil Gottes Willen erfüllend) war, sodaß ihr möglicher Tod im Kampf ein Heiliges Opfer war - und keine Frucht der Schande, die göttergewirktes Unheil über sie und ihre Familien bringen würde.
So wurde Kampf um Kampf, der immer an einen Punkt kommt, wo er sich neigt - so hin, oder so hin - und wo es in einem Moment darauf ankommt, gerade jetzt noch einmal alles zu mobilisieren, wozu man in der Lage ist, der Zweifel größer, weil die Niederlage immer logischer und unausweichlicher.
Und so gelang es 350 Spaniern, eine Staatsmacht, die nach manchen Schätzungen locker 200.000 Soldaten mobilisieren hätte können (und die Wirkung der spanischen Waffen, etwa, mag im Einzelfall furchtbar gewesen sein, aber eine Muskete schießt vielleicht zwei Mann tot, auf einen Streich, und die Spanier hatten sicher fünfzehn, wenn nicht zwanzig, aber ist es das dann nicht?
Vor dem Hintergrund, daß die Götter plötzlich und das erste Mal in der Geschichte der Azteken geschwiegen hatten, die Orakel keine Botschaften mehr hören ließen, die Priester nichts mehr hörten wie sonst doch immer, zu einer Botschaft der Delegitimation. Wie eine Abberufung hallte es unhörbar und doch so laut über die Mauern und Felder, und wie eine Abberufung wußte auch das Volk, daß die Zeit der Tyrannis vorbei war.
Warum denke ich bei diesen Zeilen plötzlich an Wahlen ...? Und warum aber sogleich an unsere Zeit des Corona-Remmidemmi? Erleben nicht auch wir dieses Schweigen Gottes, der uns auf uns zurückwirft? Ein Schweigen, das die Kartenleser und Statistikbeschwörer mit umso wortreicheren Nebelschwaden verbergen wollen, weil sich ohne Wort Gottes keine Tat mehr legitimiert, vor allem aber nicht und nicht klären läßt, wie der Feind überhaupt aussieht, wie die Aussichten auf Siege in Schlachten sind,
und wie ernst man seinen Anspruch auf Herrschaft nehmen muß, aber ob er nicht aus ein paar hundert ausgemergelten Spaniern besteht, die ein bissel Schießpulver in Rauch aufgehen lassen und meinen, die Hunderttausende - also die echten, geerdeten Gewissen, die die Stimme Gottes im Ohr haben, wenn sie sie hören wollten - beeindrucken zu können? Erleben wir nicht jetzt gerade den Eroberungsfeldzug von ein paar hundert Wenigen, die ein Reich von Milliarden Menschen stürzen?