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Samstag, 27. November 2021

Das Land, in dem man leben kann

Eine Frage, die mich seit drei, vier Jahrzehnten umtreibt, ist die nach einem Verlassen des Landes einerseits, den eines neuen Lebenskreises und Landes anderseits. Das sind zwei verschiedene Akte, die nur irgendwie miteinander zu tun haben, nicht hauptursächlich. Das eine hat seine Kraft aus Gründen, das andere aus Notwendigkeiten.
 
Aber die Würfel sind gefallen. Immer wieder gab es Anschübe, in denen mir diese Notwendigkeit aufschien, nun ist es entschieden, und ich hätte mich wohl schon vor dreißig Jahren entscheiden sollen, als die Frage wieder einmal virulent geworden war, und ich noch Kraft genug für Vieles hatte. Kraft, die mir jetzt aus Alters- und Gesundheitsgründen fehlt. Es geht nicht mehr ums ob, es geht nur noch ums wann. Dazu gibt es eine Reihe praktischer Gründe, die ich Stück für Stück abarbeiten bzw. abwarten muß. 

Was aber ist der Grund, auszuwandern, und was beantwortet die Frage, wohin? Es ist heute nicht anders als in früheren Zeiten. Und schöner als mit dem Aberwitz des "Lockdowns für Ungeimpfte" hätte man es kaum deutlich machen können: Wenn das gesunde, normale, gewohnte und selbstverständliche Leben nicht mehr möglich ist, ja sogar sanktioniert wird, ist der Zeitpunkt gekommen.  

In der Andeutung der Kriterien der Antwort nach dem "Wohin?" aber, da wird der Leser vielleicht überrascht sein. Ohne, daß bereits ein Land genannt werden soll, sind aber die Kriterien jenes Lebenskreises, in dem ich "leben möchte", beschreibbar geworden. Und sie haben eine Prioritätenliste, die jener ähnelt, die das Menschsein selbst in seiner Ontologie definieren. 

Um es anzudeuten: Es beginnt das Menschsein mit der Ordnung von Mann und Frau. Und hier gibt es noch Kulturkreise und Länder, in denen diese erste Selbstverständlichkeit, die so grundlegend für ein friedliches Leben ist, noch recht intakt ist. Dazu muß man nur die Oberfläche etwas wegkratzen, die nämlich durchaus täuschen kann. Weil sie eine gewisse Affiziertheit vom Westizismus zu haben scheint, die aber unter dieser Oberfläche noch ein sehr ursprüngliches Menschsein verbirgt. 

Um eine weitere Andeutung zu geben: In Gesprächen in Wien habe ich immer wieder festgestellt, daß die so fundamentale Ebene des Religiösen - nicht im "Darüber quatschen", sondern in der Geneigtheit des Herzens - mit wirklich religiösen Muslimen auf eine dermaßen ruhige Art ausgelebt werden kann, daß ich im Grunde gar nicht mehr weiß, warum ich in Österreich "katholische Kreise" jemals gesucht habe. Ein Menschsein, das ich in Europa zwar rudimentär da und dort noch finden kann, durchaus, das aber hier nie mehr zu Kraft kommen kann und wird, und vfon der Überlagerung zu sehr erdrückt wird, keine Wesentlichkeit mehr erlangt, sondern den Rang von Dekor oder Katakombenromantik erhält.

Dabei unterscheide ich strikt. Eine Dominanz von "Muslimen" in Europa wird ein völlig anderes Kultur- und Lebensbild zeigen, als jenes ist, das ich in anderen Ländern sehe. Die weit, ja sehr weit südlich oder sehr weit östlich liegen.*

Was ich damit sagen will ist nicht, daß sich jeder gleich mir mit solchen Plänen befassen soll. Das muß individuell entschieden werden, und für die allermeisten gilt, daß sie auszuharren haben, ob es ihnen gefällt oder nicht. Aber ich nehme mir die Freiheit, sie mit meiner sehr persönlichen Berufenheit und Lebensaufgabe in Zusammenhang stehend zu bewerten. 

Ich meine jedoch den Umstand, daß ich lange gebraucht habe um zu entdecken (und ich arbeite immer noch an der Liste), was wirklich (und nicht einfach "gedanklich") jene Grundlagen sind, die ein gutes Leben vor Gott ermöglichen. 

Dazu gehört aber auch ein Losreißen von diesen allzu vielen Bequemlichkeiten, mit denen uns der Teufel das Hemd abgekauft hat. Auch möchte ich fast warnen vor all den vielen Ausreden, die wir uns mit den Jahren zurechtgelegt haben, wo wir doch in diesem oder jenem eine Aufgabe erfüllen könnten. 

Sodaß wir "mit guten Argumenten" lieber im Schlaf unserem Ableben entgegendämmern als nüchtern zur Kenntnis zu nehmen, daß wir Ausgestoßene sind. Die deshalb das Recht haben, jenen Lebenskreis zu suchen, in dem sie weiterleben möchten, und in den sie in ihren fundamentalen SELBSTVERSTÄNDLICHKEITEN passen. Wo nicht jeder Blick, jeder Gang auf die Straße zur psychischen und kardialen Belastung wird. Das konfrontiert mich mit einer Situation von der ich behaupte, daß sie zu Zeiten echten Martyriums noch vollständig anders waren. Da wurden Leute verfolgt, die in ihrer alltäglichen Lebensweise nicht anders waren, als man selbst. Mit denen eine weitgehende Übereinstummung der Alltagswerte, des Selbstverständlichsten bestand, trotz allem, von Randständigkeiten udn Spezialfragen (etwa in der Ehe, aber natürlich im Kult) abgesehen. 

Nicht zuletzt aber ist ein Motiv endgültig vor Augen gekommen, das genau weil es so natürlich war so schwer zu entdecken blieb: Zu erkennen, daß man noch nie hierher gehörte, immer ein Fremder war, und daß eines Aufgabe "an diesem Ort" (dem man nie untreu sein darf; ebenso wenig wie die Religion, kann man den Ort selber wählen; Identität ist ein Gegebenes und eines Leben Vorgängiges, immer) war, "seinen Ort zu suchen."**

Nachbemerkung: Dieser Artikel sollte mit dem morgen erscheinenden "Dennoch auf den Weg gemacht" zusammengeschaut werden.


*Unter den möglichen Kandidaten befindet sich allerdings auch ein Land mit genuin christlicher Prägung, das aber noch geschlossen genug ist, um nicht im Westizismus bereits auch geistig abgesoffen zu sein.

**Im Grunde ist diese Entscheidung bereits vom Vater getroffen worden. Der nach Schlesien auswanderte, zum Ort meiner Mutter also. Und dort wollten sie auch bleiben! Als die Russen  1944 am Horizont aufschienen, sollte die zum zweiten Kidn schwangere Mutter in sichere Gefielde - auf den Herkunftshof des Vaters - verbracht werden, wo auch eine allfällige zukünftige Versorgungslage besser eingeschätzt werden konnte. ABer hier mußte auch der Vater wieder zu einem Inventar der Lebenswirklichung greifen, das doch bereits verabschiedet war?! Es mußte halt sein. Für eine gewisse Zeit. 

Aber aus einer gewissen Zeit" wurde ein immer länger währender, und schließlich absehbar ein Dauerzustand,. Trotzdem blieb noch ein Funke Hoffnung. Der erst erlosch, als Willy Brandt die Anerkenntnis der Oder-Neiße-Linie ins deutsche Stammbuch schrieb. Das traf die noch lebende Muttter wie ein Dolch ins Herz. Nun wr es endgültig: Nie mehr würde es die Heimat zurückgeben. Bis zu ihrem Tod 2009 war Brandt ihr deshalb ein "Verräter an Deutschland." Und an unserer Familie.


*151121*