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Montag, 1. November 2021

Als die Götter stumm waren (1)

Die Eroberung Mexikos, die Fernando "Hernán" Cortés 1519 begann, hatte dieser ausdrücklich gegen den Befehl des Gouverneurs von Cuba, dem er unterstellt war, in die Wege geleitet. Im Nachhinein ist sie sogar wie eine Verzweiflungstat "weil eh schon alles wurscht war" zu begreifen, denn nun hatte er in der zivilisierten Welt nichts mehr zu verlieren. Das Abbrennen der Schiffe, wie es die Fama erzählt, mit dem er die paar Hundertschaften Soldaten, die nun bei ihm waren, von einem Davonlaufen abhielt (das in Wahrheit so ablief, daß er die Schiffe auf Sand setzte, sodaß man sie wieder flottmachen hätte können) wird so noch schlüssiger.

Die Geschichte seiner Eroberung Mexicos ist allseits bekannt, nehme ich an, sodaß ich sie nur kurz zusammenfasse: Verbündung mit dem Volk der Tlaxcala, Marsch (aber nur seiner Spanier) auf Mexico (Stadt), damals noch eine Insel. Unterwegs teilt er seine Männer, die eine Hälfte schickt er zurück, um gegen die vom Gouverneur entsandte "Korrektionsarmee" zu kämpfen. Die andere Hälfte steht in Mexico bald einer so gewaltigen und aggressionsbereiten Übermacht an Azteken-Soldaten gegenüber, daß sie sich zurückzieht und einbunkert. 

Gegen jede Erwartung versuchen sie den Genietrick, und tatsächlich: Es gelingt ihnen, den "Kaiser" der Azteken, den prächtig-mächtigen Montezuma zu bewegen, zu Verhandlungen in ihre Festung zu kommen. Wo sie ihn natürlich sofort gefangensetzen und als Geisel halten. Dennoch greifen die Azteken nicht an. Erst als Montezuma auf bis heute nicht geklärte Weise umgebracht wird (wahrscheinlich im Getümmel erstochen) bricht der Sturm los. 

In der Zwischenzeit hat die von Cortés geschickte Hundertschaft tatsächlich die Schlacht gegen die viel zahlreicheren Soldaten des Gouverneurs gewonnen. Die Überlebenden werden überredet, sich den Eroberern anzuschließen, und sie marschieren zurück nach Mexico. Dort befreien sie die Eingeschlossenen, die von ein etlich Zehntausenden bedrängt sind, und aus der Verteidigung wird ein Triumph, dem nach etlichen weiteren siegreichen Schlachten ein Zurückdrängen der Azteken auf Mexico folgt. 

Nach zwei Jahren Belagerung, in denen die Spanier mit Schiffen, die sie bauen, ihren Rüstungen und Waffen (die Azteken kennen keine Eisenverarbeitung) immer überlegener werden, und der Hilfe der Tlaxcala, wird Mexico erobert, und die Herrschaft der Azteken endet. Mit allem, was einem Verlierer in einem Krieg blüht - Vernichtung ihrer Schriften, ja ihrer gesamten Kultur. Die aber - das muß gleich nachgeschickt werden - eine hundertjährige Schreckensherrschaft über Yukatan war, die sich als legitimes Erbe der Tolteken verstand. Die aber nach allen Berichten so schlimm gewesen ist, daß selbst der Schrecken, zu dem die Herrschaft der Spanier nach und nach werden sollte, erträglicher für die Bevölkerung Mexicos war. 

Eine Frage ist aber Historikern bis heute ein Rätsel, und sie konnte nie überzeugend genug geklärt werden. Wie war es möglich, daß Cortés mit ein paar hundert spanischen Soldaten, eine Staatsmacht, die hunderttausende Soldaten mobilisieren konnte, dermaßen vernichtend schlagen konnte. Es gibt jede Menge von Erklärungen, und Tzvetan Todorov führt sie in "Die Eroberung Amerikas" auch an, aber alle zusammen sind nicht restlos überzeugend. Auch nach dem Studium sämtlicher dieser Erklärungen kommt Todorov zu dem Schluß: Es muß einen Faktor gegeben haben, den wir nicht kennen, und den wir bis heute nicht berücksichtigt haben. 

Das beginnt ja beim rätselhaften Verhalten von Montezuma selbst. Der sich eigenartig zögerlich gibt, und der sich schließlich sogar noch taufen läßt. Nur hat der spanische Priester "gerade keine Zeit", weil er sich mit den Soldaten um das Gold streitet, das zur Auslösung von Montezuma ins Fort geliefert worden ist (Montezuma wird bekanntlich in Gold aufgewogen). Draußen stehen dreißig-, vielleicht sechzigtausend Aztekenkrieger, bereit und willens und brüllend vor Haß und Wut, die Spanier niederzumachen. Aber Montezuma gibt kein Zeichen, daß sie losschlagen sollen, obwohl er mit Sicherheit klug genug ist um zu wissen, daß es auch ihm an den Kragen gehen wird. 

Bis er, so schreibt Todorov, die Chronologie der Ereignisse liest, die als eine der wenigen Schriften der Azteken die Bücherverbrennung der Eroberer überstanden hat. Dort fallen ihm Passagen auf, die bislang noch kaum Beachtung gefunden hatten, weil sie etwas rätselhaft sind. Denn da schreiben die Chronisten, daß die Götter zu all dem Unglück ... geschwiegen hätten. Die Orakel wären stumm geblieben. 

Morgen Teil 2) Die Priester hörten keine Stimmen mehr. Ratlosigkeit brach aus. War Gott noch auf unserer Seite? Was wir heute erleben, ist es nicht genau das?