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Samstag, 13. November 2021

Der Außenseiter und der Sklave

Es ist doch so, daß der völlige Verzicht auf das, was von einem verlangt ist gleichermaßen, wie es das Leben des Menschen zur Vollgestalt bringt, dem Baume durch Würgen, durch den Tod abgepreßt wird. Eine Drahtschlinge wird ihm um die Mitte gelegt, und der Bauer dreht mit seinen klobigen Händen das Stück Latte, an das er die Enden des Metallstreifens geknotet hat, wieder und wieder, und noch einmal, bis nichts mehr geht. Dann wartet er zwei Atemstöße lang, denn es geht nun noch einmal, das entscheidende mal. Erst jetzt ist es getan. Der Baum kämpft ab hier still ums Überleben.

Nur der aber, der der Gewalt unterliegt, bringt die Blüte, in der er sich zusammenfaßt, um sich in der Frucht fallend vom Baume zu lösen. Nur der, der im Herbst zum Sterben geht, schließlich das Haupt in den Nacken sinken läßt, und zur Leiche erstarrt.  

So ist er zum Sklaven geworden, zum Sklaven des Bauernlümmels, der aus dieser Sklavenfrucht dann den Schnaps brennt, an den langen Winterabenden, mit dem er seine herben Feste feiert. Vielleicht zwei Stunden währt der Rausch, oder acht, dann folgt die Stille, und's Vergessen. Zur Weihnacht, zum Jahrauskehr, zur Frostesnacht, in der die Geister umgehen. Die Maische wirft man dann den Schweinen vor. Die lachen und spotten und unterhalten sich angeregt, während sie schmatzen und schlürfen. 

So viel Macht über so wenig das einmal so viel, haha, sagen sie. Und der Eber erzählt von der Garotte, von der ihm sein spanischer Fellkollege berichtet, wie lustig es aussehe, wenn die Delinquenten die Zunge heraushängen ließen, so! Und er macht es nach. Worauf die Lehne ungehalten lacht, während ihre Farken auseinanderstieben um nicht erdrückt zu werden: Letzthinnig hat sogar sie mehr Rechte, gehört sogar sie mehr zu als der Rechtlose, der Außenseiter, der ein Sklave ist.

Nichts bleibt, nichts das an ein menschliches Dasein noch erinnerte. Der Sklave ist der Außenseiter, dem sein Menschsein brutal abgenommen wird, und der es doch duldet. Kein Dichter je, der kein Sklave, dem nie gehört, was von ihm kommt. 

Aber wenn auch der Weg scheinbar umsonst gegangen, wieder und wieder alles zum Umweg wurde, an dessen Ende der Anfang steht, wieder und wieder, Lebensjahr um Lebensjahr, das sich so selten mit den Tagen der Uhr deckt, die doch gar keine Zeit kennt, deren Blätter, die am Abend abgerissenes Diebesgut sind, das den Tanz der Täuschung einer Ehe dreht, die nie im Buch der Ewigkeit verzeichnet war. 

Dieses Ende des Kreises ist der Anfang, der aber nie umsonst getan war. 

Denn wenn auch kein Meter voranging, keine Meile in neues Land geführt hat - mit jedem Ende, das der alte Anfang, sieht er plötzlich diesen Anfang mehr, und neu, und sieht aber nicht Brunnen in Brunnen und merkt nicht Tiefe in Tiefe, weil die Höhe ersetzt, was an Länge fehlt, aber selbst diese Höhe nur dem Fremden gilt. Denn das eigene Auge steigt nicht. Nur die Sehnsucht wird eisener zum Frost, mehr von Jahr zu Jahr, das immer leichter und immer feiner dem andern klingt, dem solcher Ton immer unbrauchbarer wird.

So sitzt er am Abend mit seinen Genossen ums Feuer im tiefen Wald, und teilt sein hartes Brot mit dem Sündenbock, der als Gast schon fast gleiche Rechte hat, um ein paar Augenblicke zur Ruhe zu kommen. Man schweigt und kaut gut, denn ihr aller Los ist auswechselbar. Ob ein Frühjahr wieder kommt, fragt dann der eine? Dieses Dirn, deren Liebe so wählerisch ist, den einen läßt, den anderen nimmt, den einen zieht, den anderen ansieht, aber dann doch nicht wählt, mit der einzigen Gnade - daß er es nicht mehr erfährt.


*111121*