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Montag, 15. November 2021

Gedankensplitter (1535b)

Insofern war der Investiturstreit die frühe Entscheidung zur geistigen Katastrophe der Kirche. Als die Kirche den entscheidenden Ruck hin zur Selbst-Institutionalisierung ALS Behörde und weltliche Organisation bekam. Ich kann in diesem Punkt Martin Luther absolut verstehen. Denn das Reich Gottes IST NICHT von dieser Welt, und kann es nie sein.

Hier ist die Welt - dort ist die Kirche, die zu ihr "quer" steht. Also die Natur durchdringt und überhöht. Aber dazu muß es erst einmal die Natur "geben", und die findet sich nur in der menschlichen Gesellschaft ALS reale Hierarchie.

Die Entscheidung im 11. Jahrhundert aber hat wie ein langsames Ausrinnen die Dringlichkeit der Welt ALS ORT DES KREUZES verschwinden lassen. Und eine "Kirchlichkeit" bewirkt, die wie ein Rückzug von Golgotha zu sehen ist und wie in einem separaten Raum abläuft. Genauso hat sich heute auch die sogenannte Spiritualität ausgebildet. 

Weil sich die Kirche aber dermaßen aus der Welt zurückgezogen hat, ist sie damit IN DER WELT nicht mehr erkennbar geworden. (Das ist für viele Geistliche in der Kirche keine Neuigkeit, nur daß hier kein Irrtum aufkommt, und viele haben es auch in der Vergangenheit bereits gesehen.)

Aber das ist es eben - NICHT VON DIESER WELT und NICHT IN DIESER WELT bedeutet auch, daß die Existenz der Kirche vom sittlichen Zustand der Geweihten und Getauften UNABHÄNGIG ist. Und sie bleibt auch immer in den Sakramenten im Wesentlichen erhalten. Die Liturgie ist nur die praktische Geschichtlichkeit, in der sie die Gläubigen erhebt (oder nicht; nur darum kann es also in jedem Streit um die Form der Liturgie gehen.) Sprich, die Vermittlung der Gnaden ist eine Frage, in der die Liturgie ihre Rolle spielt, wenn bei weitem auch nicht die einzige.

Deshalb ist auch ihre Indefektibilität keineswegs "unglaublich", im Gegenteil: So wird sie noch plausibler. Auch wenn mit dem Zustand der Kirchen"Mitglieder" selber die Sichtbarkeit der Kirche immer mehr verweht.

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Als ich es erstmals erkannt habe, hat es mich zu Tode erschreckt. Mittlerweile ist mir klar, daß es eine Lösung nur in einer noch stärkeren Hinwendung zum Flehen um Barmherzigkeit finden kann. Die Rede ist von der Tatsache, daß jeder Mensch als "in sich geschlossene geistige Welt" gesehen werden muß. Die nur in eine Richtung offen wird - hin zur lebendigen, personalen Wahrheit in der Person (!) Christi. 

Aber ob man, und wieweit man in dieser Richtung ausgerichtet ist, ist von einem selbst fast nicht - ich meine eigentlich sogar: gar nicht, will es nur nicht voreilig ausschließen, zu viel ist da noch zu denken - feststellbar. Das heißt, daß man selber nicht weiß, ob man gerettet ist, weil man ins Leben der Heiligen Dreifaltigkeit hineingenommen ist, oder nicht. Man kann sich nur mühen (und das ist vor allem ein Mühen hin zur Wahrhaftigkeit, zur mutigen Offenheit hin zur Wahrheit also) und hoffen. 

Das verhält sich jedoch anders, wenn es um das Sehen des Anderen (als Anderen) geht. Ein wenig - nicht freilich absolut! - läßt sich dort feststellen, ob jemand auf dem Weg zu dieser Wahrheit ist, oder nicht. Und was da zu sehen ist, ist dermaßen erschreckend, daß ich über mich selbst erschrocken bin, wie erwähnt. Denn es reißt einen aus jeder Gewißheit des Heils sich selbst betreffend. 

Über die Lächerlichkeit sämtlicher Gutmenschen zu sprechen (die ja der Überzeugung sind, selbst gut, also gerettet zu sein) erübrigt sich noch mehr als früher jedes Wort. Umso mehr offenbart sich aber die Spaltung der Gesellschaft, die immer offensichtlicher wird, in seiner heilsgeschichtlichen Dimension als immense Gefahr. Weil es eine Festigung dieses Gutmenschentums bedeutet, und zwar auf JEDER der gegenüberstehenden Seiten. 


*101121*