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Sonntag, 21. August 2022

Gedankensplitter (1433)

Es gehört zu den beglückendsten Erfahrungen eines Mannes (wir mich) am Beginn seiner 60er, zu erkennen, daß uns die Schrifte und Heiligen Texte so immens weit voraus sind, daß wir täglich mit neuer Erwartung in dieses Spannungsfeld treten dürfen. Um uns dann mit neuen Einsichten beschenken zu lassen. 

Ich vermute, daß diese Haltungsveränderung, die darin ihren Ausdruck findet, mit der bloßen Tatsche zusammenhängt, daß ich wieder und wieder nicht nur die Unzulänglichkeit des eigenen Planens und Denkens erfahren habe, sondern auch, daß ich Texte, die ich vor zwanzig, dreißgi oder fünf Jahren las, immer wieder und wieder wie neu auftreten. Und ich Wahrheiten darin erkenne, die mir vor fünf oder zwanzig Jahren vollkommen verschlossen geblieben waren. 

Obwohl ich zuzeiten doch schon so sicher war, daß ich sie verstünde, habe ich oft und oft gesehen, daß ich damals weit davon entfernt gewesen bin. Nicht, daß ich sage, es wäre falsch gewe3sen, aber unzureichend, völlig unzureichend, ja oft beschämend unzureichen. 

Und diese wieder und wieder gemachte Erfahrung ist es wohl, die mit der Zeit die größte Vorsicht wachsen hat lassen, die fast Gewißheit ist, daß das wirkliche Verstehen der Wahrheit und Weisheit, die in der Kirche von Generationen und über Jahrtausende gesammelt wurde - und immer in einer inhaltlichen Linie, immer in einer Stringenz des Aufeinanderbauens, noch mehr Erweiterung des Bestehenden, nie als "Kehrtwende", die das Vergangene verwerfen lassen mußte - noch weit weit vor mir liegt. So weit, daß ich es zeut meines Lebens nicht mehr austrinken werde können. Daß ich aber mit jedem Tag mehr hören und staunen kann, weil ich daran gewinne.

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Damit ist aber auch die Sicherheit gewachsen - und auch dies hat sich wieder und wieder und wieder bestätigt - daß wenn es solches Verwerfen kirchlicher Urteile gegeben hat (wie im Fall Galileo Galilei), dieses Verwerfen falsch war, und nicht die kirchliche Aussage. In der man vielmehr der eigeen Tradition und damit dem eigenen Fundament hätte treu bleiben sollen, als vorschnell zu meinen, man hätte sich irgendwelcher irdischer, (scheinbar) verstandesgemäßer (weil "wissenschaftlicher") Wahrheiten anpassen müssen. Die sich doch immer und immer wieder als schon gar nicht das erwiesen haben. Als Wahrheit und als Wissenschaft.

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Ich staune heute bei jedem Vers der Psalmen, bei jeder Zeile alter Gebete, bei jeder lliturgischen Anordnung und bei jeder Feinheit in Ritus und überlieferter Gebetsweise, wie unendlich die Weisheit, die unermeßlich und unschätzbar die Erkenntnisse sind, die darin doch liegen. Sodaß schon das bloße und gehorsame Befolgen eie Teilhabe an einer Größe und Göttlichen Weisheit bedeutet, die ich dankbar auf- und übernehmen darf. Auch wenn ich immer gewisser darin wurde, daß ich nur einen Teil davon verstehe.

Was ich freilich nicht verstehe, oder sagen wir es besser: welcher Dummheit ich mich aber nicht anschließoen will, ist diese Selbstverstümmelung, in der diese eigene abendländisch-katholische Weisheit mit dermaßen grotesken, lächerlichen "Argumenten" entkräfte sein soll (was ausnahmslos heßt: verleumdet wird), von denen sogar ich mit Sicherheit sagen kann, daß sie vollkommener Nonsense sind, der aus einem absoluten Unverständnis entstanden ist.

Und wenn es eine Generalhaltung gibt, die mit der Entwertung der Kirche in den Augen des westlichen Menschen diretk zu tun hat und in der sie sogar gründet, dann ist es das völlige Unverständnis, das zu allermeist auch alle Grenze zur Dummheit überschritten hat. Und Dummheit ist die Frucht einer unsittlichen Haltung. Und DAS ist der wahre(re) Grund für die Ablehnugn der eigenen Kutlurweisheit. 

Denn diese zu sehen würde uns abverlangen, das eigene Fehlen anerkennen zu sollen. Da ist es einfacher, den Maßstab zu verwerfen, als das Urteil zu ertragen. Aber diese Attacke auf unseren Stolz - als die proklamierte, in kindischem Trotz gegen alle Evidenz behauptete Eigenmächtigkeit -  ist dem Gegenwartsmenschen kaum noch erträglich. Der Graben zu seinem Eigensein ist bereits immens, und er findet keinen Weg zurück. 

Denn der in Stolz und Eitelkeit hoch erhobene Kopf findet nie den Weg.

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Umso eingebrannter in meine Erinnerung ist eines der wohl letzten Filmprortraits, das von Paula Wessely angefertigt worden sein dürfte. Darin ist die betagte Schauspielerin (mit ihrem in der geistigen Schule ihrer Rollen so gütig gewordenen Mund) in ihrer Bibliothek sitzend zu sehen. Sie liest in einem Buche, während im Hintergrund ihre Interview-Aussage läuft. In der sie preis gibt, daß sie allmählich nur noch ein Buch schätzt, weil schätzen gelernt hat. Und das ist die Bibel.