Jeanette war sehr ungehalten über diese Verkürzungen. Sie, von der meine Großmutter scherzend behauptete, sie halte für jeden, den niemand mehr zu loben wußte, immer noch einen kleien Orden oder ein Krönchen dritte Klasse unter der Schürze bereit, konnte sich über böse Nachrede ziemlich aufregen; ja es war diese vielleicht überhaupt das einzige, wogegen sich ihre Sanftmut empörte, denn sie sah darin ein besonderes schweres Verbrechen gegen die Liebe[...] Alsdann sagte [sie], daß große und seltene Menschen immer am ehesten Gefahr liefen, verleumdet zu werden, weil ihre Schicksale meistens ebenso ungewöhnlich seien wie sie selbst, und weil auch ihre Haltung zum Schicksal oft nicht ohne weiteres dem entspreche, was jedermann mühelos einsehen könne.
Eigentlich wollte ich endlich wieder nur eine schöne Literaturstelle zitieren. Aber dann ließ mir der Beitrag keine Ruhe. Denn die Frage ist nicht zu unterdrücken, wie man heute solche Aussagen noch tätigen kann. Nicht, daß sie nicht stimmten! Im Gegenteil, es fehlt gerade an Größe und vor allem am Mut, sich dzau zu bekennen. Wie bei der Heiligkeit, ist das aber der erste Schritt dazu.
Aber wie geht man in einer Zeit mit so einer Aussage als Selbstaussage um, die als Urteil nie mehr als ultimo ratio sein kann - das Möglichste der letzten noch verbleibenden Kriterien, und deshalb das Wahrscheinlichste - die sich zu dem schrecklichen Gefängnis der allgemeinen Existenzsimulation entwickelt hat?
Einem Gefängnis, das noch dazu ansteckend wie die schlimmste Pestepidemie ist, udn von Generation zu Generation eine Steigerung erfahren hat und erfährt, an deren Endpunkt der blanke und verzweifelte Wahnsinn unerreichbarer - deren Sein zuerst stets immanent, also als Ziel indirekt ist - Identität bleibt.
Und doch muß eine Bresche gebrochen werden, es ist höchst an der Zeit. Jene Bresche, die wieder einen Zugang schafft, von sich das Höchste zu verlangen, und sich nach dem Höchsten auszustrecken. Eine Bresche, die wieder der "schweigenden Existenz" ihren Raum gibt. Denn nur dort kann die Größe existieren, die sich auf der ständigen Flucht vor dieser alles Humane vernichtenden Grundhaltung der Gegenwart befindet, der Simulation. Die mit ungeheurem Fintenreichtum den Zuugang zum wirklich Wirklichen abschneiden will.
Die schlimmste Karrikatur des Großen ist die primitive Larve des Gutmenschen. Wer aber groß sein will, muß im Namen der Aufgabe, der Wahrheit gleichgestaltig zu werden, auch bereit sein, "nicht gut" und verleumdet - eine Form der Tötung - zu sein.
Dann bleibt nur noch das, was ich in der Kunst so erschüternd wiederspiegelt: Die Erhebung des Nierigen zum eigentlich Humanen. Damit aber wird der Mensch von seinem Sinn entfremdet, und per Gewöhnung in die Selbstverfehlung, in den Verzicht auf das ihm Mögliche treibt: Den Menschen, der den Geist des Heiligen atmet, und von ihm durchdrungen das Licht des Göttlichen in die Welt durchscheinen läßt.
Der Fluch der Sünde, der zum Fluch des Irrtums, der Lüge und der Täuschung wird, ist aber genau das: Er schneidet von der Wirklichkeit ab. Kraft der psychischen Dynamik, die aus dem ontologischen Drängen zum Selbsterhalt stammt (als Eigenleistung, als Existenzform des Geistigen), beginnt nun der (ohne Wahrheit vereinzelte) Mensch sich auf tragische Weise (tragisch heißt, das "Richtige" zu tun, um das Falsche damit zu erreichen) von der Realität abzukoppeln und sogar eine Mauer zwischen sich und der Wahrheit zu errichten.
Aber nicht nur die Wahrheitt wird damit zur existentiellen Bedrohung, sondern auch die Größe. Als die Treue zum Wahren, die allen Umständen zum Trotz und ohne auf irdischen, das heißt kleinlichen Ertrag zu schielen im damit notwendigen Schweigen durchgetragen wird. Ohne Transzendenz ist Größe nämlich undenkbar und unbegreifbar.
Mehr aber noch: Größe heißt, in jeder Situation die Gestalt durchzutragen, der man sich im Namen der Sachlichkeit verpflichtet sieht, gleichgültig ob die Situation gegeben oder geschaffen ist. Das heißt nämlich erst, ihre Handlungsdimension und damit ihre weltschaffende wie welterhaltende Dimension zu vertreten. Größe heißot also Welterhaltung.
Niedrigkeit hingegen reißt Welt ein, will ihr die Gestalt entreißen. Damit sucht sie einen Weg, sich die Welt auch ohne Tugend anzueignen, eine Form des Raubes. (Darum habe ich seit langem gesagt, daß wir in einer Welt des Diebstahls leben.)Dieser Krieg gegen die Gestalt erst bringt die Größe zum Verschwinden, und die menschliche Welt- die Kultur - versinkt in die Niedrigkeit der innerweltlichen Berechnendheit, zu der "Denken" damit wird. Und eine der gefährlichsten, ja kontradiktischesten Forderungen nennt sich nun die nach der Forderung nach "Transparenz". Erwachsen aus der Unfähigkeit, die einzige Tür zum Ewigen im Kreuz zu begreifen. Nur im Kreuz wird nämlich die Welt in die Hand des Unendlichen, Unbegrenzbaren gelegt. Und DAS ist dann Größe..
Erstellung 12. August 2022 - Ein Beitrag zur