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Donnerstag, 27. Oktober 2022

Filmempfehlung (2)

Hollywood, ja die weltweite Filmbranche heute würde über Billy Wilder für die Botschaft von "Ariane - Liebe am Nachmittag" Berufsverbot verhängen. 

Wilder war ein wahrer Meister in der Taktik der "Selbstverhüllung in der Darstellung." Er konnte damit Themen in seine Filme einbauen (man denke an "Some like it hot", welchen Film man als Vorgriff auf die heutige, 70 Jahre später stattfindende LGBTQ-Diskussion sehen kann) die aus jedem Rahmen der Zeitmoral fielen.  Damit verschuf er sich sehr rasch jegliche Freiheit in seiner Kunst Und daswiederum ging nur, weil er wirklich wußte, wie Film funktioniert. Nur deshalb konnte auf allen seinen Saiten spielen.
Das ist auch bei dem Film der Fall, der uns Anlaß für diese Auseinandersetzung mit dem Thema war: 
"Ariane - Liebe am Nachmittag". 
Die Art, wie dort Ehebruch und Promiskuität - auch bei Frauen! - thematisiert wurde, sprengte auch 1957, als der Film entstand, jeden echten Rahmen herrschender Moralauffassung. Und er tut es auch heute! Wenn auch ganz anders. 
Der Unterschied? Die herrschende Moralauffassung!
Ohne Zweifel wußte Goebbels um dieses Geheimnis von Wilde, denn es war das Geheimnis des Erfolgs der Juden in der Unterhaltungsbranche. Und er lehnte es aus Verstandesgründen ab. Aber er  kam fast schon zu spät, und versuchte ab 1933 in seinem Sinn zu retten, was zu retten war, denn auch in der deutschen Unterhaltungsbranche - man denke nur an den Sensationserfolg der "Comedian Harmonists", die nach exakt dieser Taktik vorgingen! - hatte sich diese so typische Art des Umgangs mit Moral durch Außenseiter, die nach Wegen suchen, dennoch zu überleben, etabliert. 
Man mag dazu stehen wie man will, wir beschreiben hier einfach Hintergründe und Tatsachen. und ich schreibe über etwas, das ich aus eigener Erfahrung sehr sehr gut kenne. Denn ich habe es genau so gemacht, und ich habe auch nur deshalb (bis heute) überlebt und sogar beträchtlichen Erfolg gehabt.
Denn mir ist es in Wien wie Wilder ergangen. Ich kam 2001 nach Wien, und sah meine Weltanschauung und religiöse Haltung vollkommen abgelehnt. In einer Branche, die ideologisch vollkommen vorbestimmt war, mußteich michzuerst einmal verbergen. 

Denn meine Sichtweisen hätten mich aus MORALISCHEN GRÜNDEN mit Schwierigkeiten und einer Front aus Ablehnung konfrontiert, die ich nur durch dieselben Methoden überwinden konnte - sofern überhaupt - wie Wilder sie anwandte. Um doch das tun zu können, was ein Künstler unbedingt tun MUSZ: Etwas aussagen. 'Was? Was in einem drinnen ist, was immer das ist.

Ich erfand dafür auch für mich eine Form. In der von mit so genannten "Schauspiel-Kabaretttragödie". Die nach strengen dramaturgischen Gesichtspunkten gebaut ist und "funktionierte", also ein sehr reales, sehr ernstes Thema durchträgt, und damit in eine Katharsis führt. 

Die ich in allen Details aber so unter Anführungszeichen setzte, daß das Reale überzogen wirken mußte, und sich damit selbstironisch präsentierte. Sodaß man ihren Ernst vergaß (wenn man nciht ideologisch bereits völlig fanatisiert war, auch das habe ich erlebt, und es hat mich mehr als einmal an die Saalaktionen der SA bei den Comedian-Harmonists erinnert), wiewohl man ihn doch sehen konnte. Damit konnte ich auf der Bühne durch die von mir selbst geschriebenen, produzierten und gespielten Stücke praktisch alles sagen, auch wenn es den herrschenden Ideologien vollkommen widersprach. 

Wie bei Wilder haben aber auch bei mir manche den Braten gerochen, und wie Wilder war auch für mich das Ende der Fahnenstange damit erreicht, als mich die Bühnen in Wien  sogar expressis verbis ausschlossen, und Schauspieler (die immer besondere Nutten des Zeitgeists sind, weil es zum Wesen des Schauspielers gehört, weich wie Wachs zu sein) verleumdeten und boykottierten.

Wilder ist es nicht anders ergangen. Außer als Ghostwriter kam er in Europa kaum zum Zug. Also nutzte er den politischen Anlaß der Machtergreifung der Nazis 1933, um über Paris (wo er ähnliche Erfahrungen machte), 1934 nach den USA auszuwandern. 

Wo man ihn in Hollywood mit offenen Armen aufnahm, und ihm rasch Arbeit zukommen ließ, weil man seine Kompetenz - mit dem Hintergrund der damals qualitativ unerreichbaren Filmkultur der deutschsprachigen Länder - erkannte. 

Wilder mulßte sich alledings nicht iin Hollywood vestecken, sondern er mußte Hollywood DEM CHRISTLICHEN AMERIKA verbergen. Nicht zuletzt war Hollywood längst Sammelbecken einer ganzen Riege von deutschen und österreichischen Regisseuren und Filmfachleuten - ein überwiegender Teil davon Juden - geworden. Wo man auch gierig nach der Kompetenz griff, die man selber nicht hatte, und die sich nun aber in reichem Maß anbot. 

Der wahre Aufstieg Hollywoods begann mit österreichischen Regisseuren und Drehbuchautoren. Sie haben gezeigt, wie sich Hollywood's Grammatik verstecken konnte. 

Durch europäische Migranten wie Wilder, Zinneman etc. etc. (sogar Fred Astaire ist im Burgenland geboren), die "gebraucht" wurden. Und als Bedarf entstand, sogar US-patriotische Filme machten. Wie sie ab 1943 folgten, und die ebenfalls von diesen europäischen Regisseuren hergestellt wurden. Eine der bekanntesten Produktioen Wilders war ein Film über den Pazifikkrieg, und er war es auch, der den (neben einem Film des Engländers Hitchcock) den das gesamte Holocaust-Narrativ bis heute prägenden Film über deutsche Konzentrationslager redigiert und herstellt hat.

Wilder lohnte also die ihm gegebenen Möglichkeiten zu arbeiten reichlich. Schon 1936 drehte er seinen ersten Fim als Regisseur, und er hatte augenblicklich damit Erfolg. Diese Verbindugn von klassischer Kenntnis und "moderner" Ironie als Distanz zu den ernstenProblemen - das war neu, das hätte Amerika nicht aus sich selbst hervorbringen können. Schon 1939 beschloß Wilder, nur noch Filme zu machen, zu denen er selber die Drehbücher schrieb, weil er sich überhaupt nicht mehr dreinreden lassen wollte. Es waren sämtlich ... Komödien.

Die Frau ist ohne Schutz ausgeliefert. Eine selbstbestimmte Frau gibt es nicht. - Auch "Ariane - Liebe am Nachmittag" (1957) ist eine Komödie, die aber - siehe oben! - einen sehr ernsten Untergrund hat. Der Film behandelt n#mlich die Ausgeliefertheit der Frau, wenn sie für sich zu stehen versucht. Was diese Botschaft inmitten des heutigen Feminismus bedeutet ist wohl kaum jemadem klar. Daß Wilder es wußte, zeigt sich aber im Film selbst. 

   Am Plakat wurde die Hepburn "erwachsener" gemacht   
Denn SO kann man das Thema nicht inszenieren, wenn man nicht die Frau in ihrer Angewiesenheit auf den Mann begreift, wirlich begreift. Die von Audrey Hepburn derart überzeugend gespielt wird, daß ich - ich muß es eingestehen - in der letzte Szene, in der die Dramaturgie sich endgültig auflöst, richtig geweint habe. So sehr hat mich die Frau erfaßt, die von Hepburn so bewegend gespielt wurde.

Eine Szene, in der die hohe Kunst der dramatischen Regie erkennbar wird, die Wilder beherrschte, und die sich im Grunde - und auch das wußte Wilder, ich bin absolut sicher - mit der Besetzugn bereits entschieden ist. Die heutige Echauffiertheit, mit der man "Schauspiel" verlangt, ist blanker Ahnungslosigkeit zuzhuschreiben. Im Film wird durch die Besetzugn gespielt, wobei es auch am Theater nur wenig anders ist. Ab dem Moment kann der Regisseur kaum noch etwas beitragen, außer Unreinheiten ausputzen. Aber vor allem im Film spielen - die Gesichter (und die Gestalten) selbst.

Und das wird in dieser bewegenden letzten Szene endgültig klar. Wo Hepburn, die diese junge, sehr junge Frau spielt, die sich rettungslos in den reifen Amerikaner verliebt hat, während sie dem bereits im Zug stehenden, abreisenden Mann mit Worten zu halten versucht, sogar mit läuft, als der Zug bereits anfährt, imme rnoch versucht, die abgebrühte, männermordende, äußerst erfahrene Frau zu spielen, die sie ihm in den Nachmittagstreffen vorzuspielen versucht hat. 

Aber mit jedem Wort schreit der Subtext lauter, den Hepburn spielt, nein darstellt, also "wirklich" ist (und das ist eben erst Kunst, genau das, wo man meint, das spiele der Akteur nicht, das "sei" er ja: Ich bin Frau, ich brauche den Mann, ich brauche den reifen Mann, der mir jene Festigkeit als Mensch gibt, der mich erst zur Frau werden läßt. Der Zuschauer spricht es selber!

Und in einem Schwall von Gefühlen erlebt man die Erlösung, als Cooper das Mädchen in den Zug zieht. Sie versuchtimmer noch die Scheinfiugur zu bieten, weil sie meint, es sei notwendig. Er aber nimmt sie in den Arm. "Sag nichts mehr."

Nicht weniger beeindruckend dieser Finnegan, den Gary Cooper spielt. Mir ist schleierhaft, warum er für diese Rolle so kritisiert wurde. Er sei zu alt für einen Liebhaber, hieß es damals (Coopoer war 55 Jahre). Im Gegenteil. Genau durch diese Altersdifferenz zwischen dem Mädchen und dem reifen, welterfahrenen Lebemann lebt die Spannung. Wird die Sorge des Vaters (entzückend gespielt von Maurice Chevalier) Weil man zu zittern beginnt, ob dieses unschuldige Ding, das er da auf gekonnte, ja routinierte Weise verführt, durch ihn nicht zerbrechen wird. Das kann nur ein älterer Herr so spielen, eine zweite Vaterfigur. 

Die es nämlich auch psychologisch so richtig glaubwürdig macht, weil das Mädchen doch vom Vater großgezogen wurde, und an ihm so hängt. So SIND Vater-Tochter-ezhiehungen, wenn sie so eng wurden. Und solche Töchter - ja, welche Tochter denn überhaupt nicht? - wollen den Vater, suchen ihn, wenn sie den Ehemann suchen.

Dem steht das Mädchen gegenüber, das durch die fehlende Mutter vom Vater so geprägft ist, daß sie ähnlich dem Mann ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen beginnt. Und dabei sieht man dem Vater (Chevaliers Gesicht - umwerfend!) mit jedem Wort, bei jedem Blick an, wie besorgt er um dieses zerbrechliche Wesen ist, das versucht, selbst ihr Leben in die Hand zu nehmen - und nicht weiß, wie hart, wie brutal die Welt ist. Da mag sie noch so viele pikante Aktendetails kennen, noch so sehr das detektivische Gespür des Vaters zu imitieren suchen, noch so sehr "die Realität" dem Worte nach kennen. 

Denn gleich zu Beginn ihrer Recherchen sagt ihr der Polizist, den sie erst einzuschalten versucht, daß in Parid derzeit wohl rund 40.000 ähnliche Vorgänge in den rund 210.000 Hotelzimmern von Paris ablaufen; kann man eine wirkliche Aussage noch pefekter verpacken, noch besser als vor dem Hintergrund dieses einen zerbrechlichen Wesens das tragische Potential dieser Aussage ermessen? 

Und wie zittert man dann mit, wenn sie DENNOCH diesen routinierten Beau aufsucht, um ihn erst "zu retten", und ihm dann hoffnungslos zu verfallen, wie nur ein junges Mädchen der Liebe in ihrer ersten und unschuldigen Verliebtheit verfallen kann. 

Wie begreift man da, daß es der Vater sein muß, der die Tochter beschützt (und Chevalier tut es, so gut und behutsam er kann, weil er sie nicht erdrücken will und ihm als Mann die passende Hand dazu fehlt, weil die nur die Mutter hat), und der Vater es sein muß, der dann diese behütete junge Frau dem Mann am Altar - und nciht früher - übergibt. Auf daß nun der Ehemann sie hüten und beschützen weil unter seinen Namen stellen möge.

Morgen Teil 3) Der Film - Beginn der Geschichte