Irgendwann, ich schwöre es, suche ich die Stelle aus den SChriften Goethe's wieder raus, in der er über die Wissenschaftler spricht. Die, wie er feststellt, zwar in ihrem bzw. einem sehr sehr engen Spezialgebiet gut bescheid wissen mögen, in allem aber, was darüber hinausgeht - also so gut wie in ALLEM - kaum einmal über das Geistesniveau der dümmsten Tageszeitungen hinauskommen. Es muß in den Gesprächen mit Eckermann sein, oder in der Korrespondenz mit Schiller, für mich sowieso die Lieblingsschriften des großen Dichterfürsten.
Aber ich, der ich die mit akademischer Würde und Standeserhöhung belohnte, universitäre Wissenschaft nach ein etlichen Semestern von meinem Lebensprogramm strich, und mich zwar dann zwar erst recht und mit ungeheurer Leidenschaft der Wissenschaft, aber nicht mehr dem Identitätsmerkmal eines Titels widmete, habe in diesen Themen wenig mitzureden.
Nicht in den Augen der offiziellen Schokoladerie der Wichtigkeiten, in der drei winzige Buchstaben vor dem Namen kundtun, daß man fortan zu den Ausgewählten zählt. Das war mir zu gefährlich, udn was ich vor dreißig, vierzig Jahren noch mehr geahnt als gewußt habe, weiß ich heute umso fester. Nicht nur ist das, was sich im universitären "Ausbildungsbereich" abspielt, so neu, daß es jedem Jungsprecht, der "was werden" will und deshalb wie 60 Prozent seiner Altersgruppe eine Universität besucht, sondern ich habe geahnt und bald gewußt, wie gefährlich das ist.
Wie oft habe ich das bestätigt gesehen. Als Mitmenschen, die mit mir viele Jahre als Freunde durchs Leben waneelten, und mit denen gemeinsam ich viel Weisheit gekeltert, viel Fragen gewälzt, viel Erkenntnis gesammelt hatte, mit dem Erhalt ihres in Pergament gefaßten "Bildungsnachweises", von einem Tag auf den anderen unerreichbar überlegen waren - und (das vor allem!) von Stund an AUFHÖRTEN, noch irgendwie zu denken.
Denn nun, nun wußten sie ja alles. Aber nun war auch das Ende der Fahnenstange für eine gedeiliche Inbesitznahme der Welt durch Analyse und Erhellung zu zweit. Nun war ich der, der "keinen Titel" hatte, udn damit nichtmerh mitreden konnte. Ich habe das sogar wörltich so gehört, und konnte es kaum fassen. Genaud deswegen nämlich hatte ich meine vielsemestrigen Universitätsstudien nie in einen Abschluß münden lassen, genau das hatte ich auch bei mi rbefürchtet. Es ist ein Mechniamus, dem man kaum entkommen kann, weil die faktische Kultur darauf ausgerichtet ist, sich so ihre Eliten zu schaffen.
Dennoch schwanke ich zwischen Bitterkeit und Dankbarkeit. Bitter, weil ich selbst mit einen Autoritätsnachteil verschafft hatte, der ich doch genau wußte, wie eng Autorität und Erkenntnis zusammenhängen, und dann aber auch, weil ich so wirklich frei genug war, um ein Lebesthema, nicht ein durch Regeln festgelegtes, vieleicht sogar winziges Teilproblem (und sonst nichts) studieren zu müssen. So wenig ich mir je die Detailarbeit erspart habe, beileibe nicht, im Gegenteil.
Ichhabe soger erlebt, wie in diesen Zeiten die eigenen Kinder kraft eines universitätren Diploms innerhalb eines Tges dieselben Aussagen, die ihnen gestenr noch Aiusdruck väterlicher Weisheit waren, am nächsten Tag als irrelevant verwarfen, und sich aus der Beziehung zum Vater (der nicht einmal die Schrödinger-Gleichung oder die Heisenbergsche Unschärferelation mathematisch diskutieren konnte, aber sie dennoch deutete und sogar "Wahrheiten" über die metaphysische Verfaßtheit der Welt von sich gab, dabei weiß doch jeder Gebildete, daß es gar keine Wahrheit gibt) verabschiedeten.
Was ich also eher meine ist, daß das Ziel der Studierenden an den Unviersitäten von den Kriterien für die Titelerringung abhängig gewordne ist, nicht mehr von Themen, von Fragen, von Wißbegierde, von innerer Unruhe, weil man meinte nicht weiterleben zu können, wenn man diese und jene Frage nicht geklärt habe. Und ich sehe mich so nebenbei auch dadurch bestätigt, daß die Wissenschaftsgeschichte eine Geschichte der Außenseiter, der Nicht-Wissenschaftler (im heutigen Sinn) ist. Nahezu, vielleicht sogar alle wirklich großen Entdeckungen der Menschheit sind außerhalb der offizielllen Betriebe entstanden. Meist durch leidenschaftliche, von einer Frage "besessene" Menschen, die einer Idee nachgejagt sind, von NICHT-Akademikern wurden die weltbewegenden Dinge entdeckt. Von Akademikern die, die zwar oft dann den Diskurs beherrscht haben, aber eine bereits totgekaute Materie behandeln, um auf den nächten Schub durch Außenseiter warten zu müssen,
Die Akademiker des heutigen Zuschnitts sind zwar "erste Elite", aber Innovationen kommen ach wie vor von Nicht-Akademikern. Einen Abschluß, das Um und Auf des heutigen Geselschaftshierarchien, gibt es ja keineswegs schon so lange, und es war auch nie wirklicher Bestandteil der Wissenschaft. Noch vor dreihundert Jahren haben nur die wenigsten Studenten "ein Studium abgeschlossen", sondern es zählten bestenfalls Dinge wie "!drei Jahre Medizin in Jena" oder "zwei Jahre Jurisprudenz in Prag, samt Studien bestimmter Fragen in Bologna", und es zählten die Lehrer, die Vorbilder, die Urbilder, die Themen, die Denkresultate. Nicht wenige, ja viele sogar, brachten es zu Forschungsruhm, die überhaupt nie eine Universität besucht hatten, sondern gleich direkt bei einem Doktor, einem Lehrer in die "Lehre" gegangen waren.
Zu sehr wußte man damals noch, was und wie von ganz persönlichen Eigenschaften abhängig Wissen war, und wie damit Gewußtes einzuordnen war. Wissenschft ist nicht aus absolvierten Fachstudien entstanden, sondern aus den Fragestellungen von Menschen. Was jemand wert war, so man ihn in der menschlichen Ordnung einzuordnen hatte, zeigte sich daraus, wie er eine Aufgabe bewältigte.
Dann war oder wurde er Doktor, Lehrer, wenn ihn eine Universität dazu auswählte, weil sie seine Meinungen zu diesem oder jenem Thema ain ihrem Geistesraum wirken sehen wollten. Noch heute sollte ja eine "Verteidigung" im Rahmen einer Dissertation genau das sein - ein wissenschftlicher Austausch, in dessen Rahmen Umfassendheit des ins Thema Eingeflochtenen, Kenntnis über den Wissensstand in der Disziplin überhaupt, also weltweit, und die Fähigkeit "geprüft" (angesehen) wurde, ob die Forschungsarbeit des Kandidaten (noch heute in vielen Ländern - z. B. in Rußland, aber etwa auch an den römischen Universitäten gibt es im "Lizenziat" Ähnliches: zweijährige Vorstufen zum Akademiker - der erste vorakademischer Titel: Kandidat; einer meiner Bekannten, ein kanadischstämmiger Dozent an einer türkischen Universität, hat sich sehr gewudnert und lustig darüber gemacht, daß in unseren Lädnern "Magiter" als akademische Qualifikation gilt; das sei lediglich Vorschule, Ausbildungslehre, was sei dabei Leistung, hatte er gemeint?) sorgfältig genug den Anforderungen der (sittlichen) Logik genügten, und die Fragen und Antwortsuche der Universität selbst vorantreiben konnten.
Der Spruch (mir ist entfallen, von wem er stammt) hat seine Wahrheit: Heute weiß man viel - von nichts. Schon der Wegfall eines Studium Generale zeigt den tragischen Paradigmenwechsel im Verständnis von Wissen, und hat dafür gesorgt, daß Eigenschaften an die Spitze der gesellschaftlichen Diskurse kommen, die ganz andere Ergebnisse erzielen, als der Wissenschaft selbst dienlich wären. Wer Karriere machen will, muß heute zwar studiert haben, aber was das überhuapt wert sein soll, steht in einem ganz anderen Kapitel.
Es ist aber überall so, ein Mechnaimsu, der die Eliten deshalb ruiniert hat. Sie sind nur noch "Erfüller von Karrierekriterien", keine Eliten mehr.
Wissenschaftler im heutigen Sinn sind in den Wissenschaften deshalb immer und lediglich im Nachschweif gekommen, und haben dann zunehmend ihr Gewerbe so (und als Karriere für sich) betrieben, daß sie die Geistestrümmer anderer aufgesammelt, und geschickt zur Lorberverihung assembliert und dann eingereicht haben. Auch ich habe in dieser Hinsicht viel bittere Erfahrung gemacht.
Aber so ist es nun einmal. Und deshalb ist es angeraten, daß ich mich anderer Mittel bediene, wenn ich an der universitär gebauten Wissenschaft mit Titel und Beamtenschema-Ranking Kritik äußere, weil sie Ansprüche erhebt, die sie gar nie erfüllen kann. Daß sie in Autoritätsstände gehoben werden, die ihnen nicht im Geringsten zustehen. Nach wie vor lebne die Denker woanders. Aber was zählt das, wenn es kein Akademiker sagt?
Das Thema Bildung, Wissen, Wahrheit zu diskutieren ist einerseits umfangreich, vor allem propädeutisch (alleine die medizinische Propädeutik Albert Niedermeyers über die Medizin zu lesen IST bereits mehr Medizin, als ich bei Ärzten in der Regel finde; aber erklären Sie das einmal einem Sohn, der gerade zum Doktor der Medizin promoviert wurde und "weiß", das das Kiki ist?!), also voraussetzungsreich, aber genau deshalb heute fast umöglich zu diskutieren. Und deshalb lasse ich da besser andere sprechen.
Deren einer mein lieber Freund (er selber bezeichnete mich jüngst sogar als "Bruder", was ich tatsächlich als Ehre empfand) Wiliam M. Briggs ist, der mittlerweiel emeritierte (aber noch hoch aktive) Statisiker,-Mathematiker, Philosoph und Theologe (man beachte die Kombination) und langjährige Universitätslehrer aus Neu York. er in einem seiner jüngsten Blogbeiträge (und in dieser Themenreihe sicher zum hundertfünfzigsten mal) die katastrophalen Zustände der universitären Wissenschaft kritisiert. Er (und mit ihm viele andere, sehr bekannte Namen, ja Nobelpreisträger dabei) fordert sogar eine neue, parallele Universität, mit neuen (dabei: den alten) Urteilskriterien, weil die bestehenden Universitäten in unseren Ländern nicht mehr zu retten sind.
Morgen Teil 2) Die Briggsche Kolumne auf deutsch - "Blindgemacht / von der Wissenschaft"
Erstellung 04. Oktober 2022 - Ein Beitrag zur