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Donnerstag, 28. April 2011

Der Umbruch einer Welt

Große Trauer ergreift einen, wenn man bei Lafcacio Hearn - diesem Iro-Griechen, der zum Japaner wurde - liest, wie die Japaner den (gewaltsamen) Einbruch der westlichen Welt, in Gestalt der Amerikaner zur Mitte des 19. Jhds., erlebt haben. Aus ihrer Kultur heraus zutiefst zurückhaltend, defensiv, selbstvergessen weil selbsttranszendierend, waren sie zu Anfang nicht einmal sicher, ob es sich bei den ersten Weißen, die das Land betraten, überhaupt um Menschen handelte. Ihre Kleidung schien vielmehr den Verdacht zu bestätigen, daß es sich um Wesen aus ihren Sagen und Mythen handelte, an denen diese seltsamen Hosen und Hemden menschliche Gliedmaßen nur vortäuschen sollten.

Lafcadio Hearn (1850-1904)
Aber dann gelang es dieser alten Kultur nicht, dieses eine angelandete Schiff zu vernichten. Und obwohl das Land, seine Bewohner, der Kaiser betete, die Priester ihre Riten vollzogen, kam er nicht, der Kami-Kaze, der Götterwind, wie damals, als er das Land vor der Invasion der Tataren bewahrt hatte, deren Landungsflotte im Sturm unterging.

Also mußte es der Wille der Götter sein. Und der Kaiser ordnete an, daß von den Fremden zu lernen sei, was immer es zu lernen gebe. Was er seinem Volk erst noch verheimlichte.

Mit Todesverachtung aber lernte die Jugend - immer aber in strengster Wahrung der Sitte und Höflichkeit - die neue Sprache, besuchte die Universitäten in den USA, und sah mit Schrecken, was für eine abstoßende, sittenlose, unethische Welt, in einer gigantischen Zerspaltenheit, sich da der ihren so überlegen zeigte, daß die Japaner sich militärisch völlig chancenlos wußten, und die Amerikaner in einer technischen Überlegenheit, in einer Überlegenheit ihres Rationalismus, ihrer Art zu denken erfuhren, die sie nicht begreifen konnten.

Aber die Alten, die Weisen, die Priester, sie begriffen, daß damit Dämonen "unbeschwichtigt" freigesetzt wurden, die alles, wirklich alles umbrechen würden. Und die die Menschen um ihren Seelenfrieden bringen würde. Gewohnt, Religion zu teilen in eine Art Volksreligion, Gefühlsreligion, voller Aberglauben und Geheimnis, und Philosophie, die im Buddhismus Religiosität lediglich als Ethik begriff, konnten sie mit einem Christentum nichts anfangen, das offensichtlich so wenig ethische Durchdringungskraft hatte. Nur wenige begriffen die Art der Selbsttranszendenz, in der sich das Christentum verstand, Missionare waren meist nicht in der Lage, den japanischen Fragestellungen und Anforderungen schon rein intellektuell zu begegnen. Nur in Ausnahmecharakteren konnten sie jene Sittlichkeit finden, die sie dann sogar höher, wenn auch anders, einschätzten als ihre eigene.

Noch bis in den 2. Weltkrieg hinein verachteten die Japaner deshalb die Amerikaner, ja überhaupt den Westen, ob seiner Verweichlichung, seiner Dekadenz, seiner mangelnden Ethik. Ja, noch 1977 oder 1978 konfrontierte der Verfasser dieser Zeilen im Rahmen eines Referats an der Handelsakademie den (empört antwortenden) Botschafter Japans mit der damals alles beherrschenden Thematik, daß  diese auf Kosten europäischer und amerikanischer Ideen billigst produzierte japanische Ware, als schamlose Plagiate, den Westen ruinierte.
Ein Westen, dessen technisch-rationalistische Überlegenheit die Japaner offenbar aus einer alten Grundhaltung her einfach nur auszunützen versuchten, wo immer sie konnten, wozu sonst sollte er da sein. Dem sie aber ihre alte Kultur geopfert hatten. Konnte da anderes als Verachtung und eigentlich: Haß entstehen?

Hearn hatte übrigens davor gewarnt, vor 100 Jahren! Er schrieb, daß in dem Augenblick, wo die Japaner (und Chinesen!) besser mit dem westlichen Denken - das ihnen dezitiert fremd bleibt - zurechtkommen, sie in großem Ausmaß billige Produkte herstellen werden, die die westlichen Märkte überschwemmen, und ruinieren dürften. Aber vielleicht war er das, der Kami-Kaze, der Götterwind, der vor wenigen Wochen weite Teile des Landes verwüstete, und wo die Erde sich aufbäumte, um die fremde Last abzuschütteln.



*Für den Japaner ist das Christentum aus kulturell "verfleischlichten" Gründen schon prinzipiell kaum verstehbar, ist ihm bestenfalls eine Ethik, weil es tatsächlich den Leitideen - und solche sind es hier - seiner Kultur, die in hohem Maß verhaltenszentriert ist, widerspricht. Übrigens eine Erfahrung, die der Verfasser dieser Zeilen auch mit Muslimen gemacht hat, die sich ähnlich wie Hearn es beschreibt nicht vorstellen können, daß es eine Religion gibt, die nicht ZUERST Verhalten und Moral ist. Ihnen fehlt eine Metaphysik, dem Muslimen ist, wie dem Japaner s.o. die Natur der Dinge nur in Dogma, in Offenbarung zugänglich, die aber die Vernunft nicht erhellt - weshalb sie ausgeklammert, lediglich instrumentalisiert bleibt. Einen ähnlichen Weg hat ja der Protestantismus beschritten. Ihnen allen ist Vernunft und Offenbarung, Glaube und "irdisches" Wissen, nicht als EINES, als zwei einander aber nie widersprechenden Aspekte ein und derselben Medaille, vorstellbar. Für sie, und nicht nur für sie, ist ein Wissen vorstellbar, das Glausbensinhalten widerspricht. Und genau so beschreibt auch Hearn den japanischen Zugang: wo die "Volksreligion", als Religion fürs Gemüt quasi, ihren Wert und ihre Notwendigkeit und sogar ihre Wirklichkeit hat, und DESHALB hoch zu schätzen ist. Ganz ähnlich übrigens dem heutigen Selbstverständnis der Psychologie, wie sie der Autor dieser Zeilen an der Universität hörte: die ihren Gegenstand, die Psyche, als das definiert, was rein faktisch an Psyche vorhanden ist ... Psyche ist, was Psyche ist, also. Auf die Religion bezogen: Religion ist, was Religion ist. Der Rest ist Ethik, der Rest ist Utilitarismus.


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