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Sonntag, 17. April 2011

Sopron, am Beginn der Leidenswoche

Es ist bereits dunkel, als sich die Menschen an der St. Gyorgy-Kirche im Zentrum der Altstadt versammeln, und den Weg beginnen. Mit Fackeln und Kerzen in Pappbechern als Windschutz ziehen sie los. Vorne die Jugend, hinten die Erwachsenen, in der Mitte die vier Priester der beteiligten Pfarren, die Minstranten, die Vorbeter, die über Megaphone sprechen, und jene Männer, die das große Holzkreuz, zu dritt, tragen. Eine ganze Stadt scheint unterwegs, mit hineingenommen in das Gedächtnis.

Sopron/Ödenburg, St. Michaly
In Abständen von einigen hundert Metern bleibt der Zug stehen, längst sind es viele hundert Leute, die mitgehen und mitbeten und mitsingen, obwohl es sehr kalt ist, die Luft frisch nach Schnee sogar riecht, der Wind unangenehm scharf weht. Das Kreuz wird abgestellt und aufgerichtet, ein Priester spricht die bekannten Gebete, bekannt auch wenn man kein Wort versteht, der Rhythmus, der Klang erzählt alles, er trägt die Inhalte. Ötödig állomás: Cyrenei Simon segit Jézusnak a keresztet hordozni. Imádunk Téged, Úr Jézus Kristztus és álduk téged. Mert szent kereszted általmegváltottat a világot.

Wie bei den alten Liedern - sie tragen dieselbe Stimmung, wie die die wenige dutzend Kilometer weiter westlich gesungen wurden und werden. Dieses bittere, traurige, und doch so erhabene Klagen und Mitleiden mit dem Leiden Jesu, das im Kreuzweg nacherlebt, im Betrachten gegenwärtig und in der inneren Reaktion der Menschen wirksam, fruchtbar gemacht wird.

Vom Zentrum ausgehend, zieht die Prozession die alte Römerstraße entlang, die Richtung Bratislava führt, durch all die Gassen, über den großen Platz mit der Mariensäule, die anstelle der aus Angst vor den schon bei Güns/Köszeg angerückten Türken, zur besseren Wehrbereitschaft im Glacis geschliffenen Kirche errichtet wurde, wobei sie in Wahrheit den Pranger ersetzt hat, über die Ikva, den steilen Anstieg hinan, hinauf bis zur gotischen Kirche, oben am Hügel, dem eigentlich ältesten Teil der Stadt, am Rande der Weingärten, i Poncichter-Viertel, mit einer der größten gotischen Kirchen Ungarns, St. Michaly. Dort endet er, bei den verwitterten Kreuzwegstationen aus dem 15. oder 16. Jahrhundert.

Hier, am westlichen Rand eines geographischen, völkischen Raumes, der durch seltsame Wendungen der Geschichte gezwungen wurde, sich selbst mißzuverstehen: als "deutsch", als "schwobisch", einem schon fremdgewordenen Ursprung nationell zugerechnet. Ein Raum, der, geht man nach der Definition von Nadler, und sie scheint schlüssig, nach allen Regeln der Kunst gerade dabei war, sich (ähnlich dem Nordsächsischen im Friesischen und Englischen) zu einer eigenen Sprache, zu einer eigenen Kultur, zu einem eigenen Volk zu entwickeln, dem "Hoanzischen", den "Hoanzen". Das all diese Siedlungsräume ab der Leitha umfaßte, hinein in die Batschka, in den Banat, die Walachei, ins Siebenbürgische, in die Bukowina. Man konnte dort nicht begreifen, was nach 1918 passierte.

Tiszennegyedik állomás. Jézsus holttestét eltemetik. Dann gibt es noch den priesterlichen Segen, Hunderte knieen erneut nieder, dann zerstreuen sie sich. Die Karwoche kann beginnen, die in den hiesigen Pfarren mit einem Ernst begangen wird, der gerade weil er so normal ist, umso beeindruckender wirkt. Und als konzentrierte Mission - eigentlich: Selbstmission der Pfarrgemeinde - verstanden wird. Kehrt um, bekehrt Euch! Die Welt weicht zurück, sie ahnt, daß sie bis in ihre Grundfesten erschüttert wird.

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