Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1939-2011) |
Kaltenbrunner war nicht einfach ein Traditionalist, das wäre völlige Verkennung, und schon gar kein Konservativer, der einfach bewahren wollte, was wertvoll sei. Auch wenn man ihn so bezeichnet, ihn als einen der Väter der "Neuen Rechten" sieht. Seine Entwicklung zeigt, daß das für ihn alles keine angestrebten Ziele oder Stadien waren, gar Kategorien, in die eingeordnet zu finden ihm wichtig gewesen wäre.
Zum Gegenteil. Es waren alles nur Durchgangsstadien, Momentaufnahmen, Schnappschüsse der anderen, in denen sie ihn in ihr Familienalbum einordneten. Denn er war stets und einfach ein Sucher des gegenwärtig Wirklichen, das aber für ihn (und nicht nur für ihn) unter einer tiefen Schichte von historischem Schutt und Filz, der den heutigen Menschen bedeckt, zunehmend schwerer zu finden ist. Er ahnte wohl, was in der beginnenden zweiten Hälfte des 20. Jhds. regelrecht diffundierte, sich verflüchtigte, sich zu verabschieden drohte, um eine ungeheure Wüste zurückzulassen. In der wir uns selbst immer fremder, unverständlicher werden.
Insbesonders seine 76bändige Reihe "Initiative" zeigt sein Bemühen, die gesellschaftlichen, geistigen, lebensartlichen Phänomene der Gegenwart konsequent neu der Wirklichkeit zu öffnen, zu hinterfragen, neu zu durchdenken. Um einen überzeitlichen geistigen Standpunkt zu gewinnen, in dem der Mensch sich geistig-sittlich wieder verankern kann, weil ohnehin verankert ist. Diese Bändchen sind damit zugleich zu einem Kompendium des geistigen Europa der Gegenwart geworden.
Insofern ist sein Einfluß auf unseren geistigen Raum kaum zu überschätzen, und noch gar nicht absehbar - ohne daß man ihn als Urheber vielleicht je wird groß feiern. Denn er war Katalysator, im Grunde Diener des Wortes, das er freilegte und weiterreichte. Das merkt man gerade in jenen insgesamt 6 Essay-Bänden, in denen er nichts anderes tat als Denker und Geister des Abendlandes zu bestaunen - nie hat man den Eindruck, daß er selbst Stellung bezieht, sich in den Vordergrund drängt, im Gegenteil: immer erfährt man, wie er voller Ehrfurcht versucht, das Gute desjenigen, dem er sich zuwendet, zu bergen, neu zu entdecken, selbst wenn so manches Problematische gerade von dem Besprochenen ausging - das Gemeinsame aller ist unübersehbar, und wertvoll, und braucht gerade deshalb seinen richtigen Platz im Gesamtkosmos unseres Denkens. Immer hat man also den Eindruck, daß er im Hintergrund sagt: hier, nimm, lies, entdecke, staune, wie klein sind wir doch dagegen!
Deshalb sind seine eigentlichen, seine wirklich eigenen Arbeiten, in die hinein er allerdings die ungeheure Menge seiner Gedankenarbeit destillierte, in den späten Jahren entstanden, in seinen Büchern über Dionysius Aeropagita, in seinem Buch über den Priesterkönig Johannes, mit deren Abschluß er auch mehr oder weniger verstummt ist, mit denen er an die Grenze des von ihm Sagbaren gelangte. Nur mit einem Büchlein über die Heilig Philomena, die Heilige des Humors, ist er noch an die Öffentlichkeit getreten. Kaltenbrunner hat seit 1996 nichts mehr publiziert, sondern sich nur noch in sein Haus, das in Lörrach in Schwaben steht, zurückgezogen - und gelesen. Gedacht, gebetet, und gelesen. Und damals war es auch, als ich zum ersten mal ein Buch von ihm gekauft - und noch lange nicht gelesen (sein Dionysius hat über 1300 Seiten!) - habe. Und erst in den letzten paar Jahren - viel zu spät? - habe ich dann seine übrigen Bücher entdeckt, aber vermutlich nur, weil eben ich nicht früher war.
Aber da war von ihm nichts mehr zu hören. Seine Bücher - vor allem die aus seiner "enzyklopädischen" Phase - gibt es zum größeren Teil nur noch antiquarisch. Zurückgezogen, weil er, wie er in einem seiner letzten Interviews, einem Gespräch mit einem Priester, der ihn besucht hatte, meinte, ihm eines Tages klar geworden sei, daß Gott von ihm persönliche Antwort verlange. Seither lebte er völlig zurückgezogen, ohne Telephon und neuzeitlichen Komfort, ohne jeden Kontakt zur Außenwelt, soweit er über den Horizont seiner Wahlheimat hinausging. Kein Fernsehen, kein Radio, kein Auto, kein Computer, ja nicht einmal eine Türklingel. Täglich ging er zum Postamt, um seine Briefe abzuholen.
Man muß nicht in allem seiner Ansichten sein, man muß nicht in allem für gut heißen, was Kaltenbrunner schrieb und dachte. Aber die Haltung, die Leistung dieses Mannes, dem auch der Verfasser dieser Zeilen viele viele Hinweise verdankt, unter denen so manche Schlüssel sind, die ganze Türfluchten eröffneten, dessen Werke eine fast unerschöpfliche Fundgrube, ein Bergwerk unseres heutigen Denkens sind, kann einen nur respektvoll schweigen, und den Hut ziehen lassen.
R. i. p
Link: Eine Begegnung mit Kaltenbrunner - Aus: Junge Freiheit
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