So geschieht es in einer Kultur, die keine Mechanismen mehr hat, um zu entschulden. Wo die Religion, der Bezug auf einen Gott, fehlt, demjenigen, der letzte Station ist, demgegnüber man fehlt, fehlt man einem Teil seiner Schöpfung gegenüber. Denn das Vergehen macht uns Gott unähnlicher, und damit fern.
Eine der schlimmsten Erscheinungen der Gegenwart ist diese Unfähigkeit, Schuld (durch Sühne und Vergebung) abzubauen. Vor diesem Umstand sollte man sich wirklich fürchten. Er staut den Haß.
Also hört man es nicht selten, genau in dieser Kombination: Du bist verachtenswert. Ich schulde Dir nichts. Ich hatte das Recht und die Pflicht, Dich zu töten. Dabei liegt dem Haß immer unterdrückte Bewunderung zugrunde, genährt von der Angst, dem anderen nicht zu genügen - also Selbstverachtung: wer haßt, will der Prägung durch den anderen entkommen. Denn wer haßt, wird vom Gehaßten geformt.
In der Regel sucht er sich eine Position, die er verabsolutiert, und die ihn vom gehaßten Objekt unterscheidet - die er aber mit größter Akribie und Hingabe erfüllt. Damit gaukelt er sich Orthodoxie vor, die das Recht hat, das Unrechte auszumerzen.
Haß ist damit ungeordnete Liebe, die ihr Objekt fürchtet, weil sie ihm nicht ankommt. (Von Luther ist der Ausspruch bekannt, daß er in Zeiten innerer Lauheit sich den Papst vorstelle, und schon könne er mit größter Inbrunst beten.) Es ist bekannt, daß die Amerikaner den Japanern zu Anfang ihres Krieges 1941-45 deshalb unterlegen waren, weil ihr Lebensgefühl zu selbstsicher war - sie konnten weniger hassen, als die Japaner alles Amerikanische haßten, und rechneten nicht mit so grenzenlosem Fanatismus.
Die Abgrenzung gegen das - im Haß - Bewunderte ist nur möglich, indem das "Eigene" zur völligen Überlegenheit hochstilisiert wird. Stilisiert - das heißt: zum abgrenzenden, überlegenen Lebensstil (monomanisch) ausgebaut, der auch die übernommenen Teile neu "tauft", umwandelt, von der zu verachtenden Lebenssphäre entmantelt und neu kleidet.
***